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Stolpersteine Konstanz

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Dr. Adolf KATZENELLENBOGEN, 1901 - 1964

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„SCHUTZHAFT“ 1938

DACHAU

FLUCHT 1939

SCHWEIZ

USA

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Ruppanerstrasse 13
heute (10.12.2022)

Bild: Rejana Brausse

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Stolperstein für Dr. Adolf KATZENELLENBOGEN
verlegt am 17. November 2022

 

 

Verlegungsrede des Sohns

Kurzbiografie

Im Oktober 1935 bezog Adolf Katzenellenbogen mit seiner Frau Elisabeth, geborene Holzheu, das neu erbaute Haus mit großem Grundstück im rechtsrheinischen Allmannsdorf.

Nach bisherigen Erkenntnissen war Adolf Katzenellenbogen zu der Zeit wohl der einzige jüdische Einwohner in diesem Konstanzer Teilort. Seine Frau Elisabeth war eine nichtjüdische Schweizerin aus Zürich. Beide Ehepartner kamen aus einem vermögenden Elternhaus.

Der finanzielle Rückhalt durch die Eltern ermöglichte dem jungen Ehepaar ein sorgenfreies Leben trotz einge­schränkter eigener Erwerbstätigkeit. Denn das vom NS-Regime verfügte Berufsverbot für Juden versagte dem Wissenschaftler Adolf Katzenellenbogen jede Forschungs- und Lehrtätigkeit an einer deutschen Hochschule.

Seine Frau Elisabeth, eine Konzertpianistin, konnte dagegen gelegentlich Unterricht an einer Musikschule im schwei­zerischen Winterthur geben. Im Laufe des Jahres 1938 versuchte das Ehepaar, das mittlerweile eine Tochter bekommen hatte, in die Schweiz auszuwandern. Das Gesuch wurde jedoch vom Kontrollbureau Winterthur abgelehnt.

Im Zuge des November-Pogroms wurde Adolf Katzen­ellen­bogen dann am 09.11.1938 von der Gestapo in Haft genommen und zusammen mit den meisten jüdischen Männern aus dem süddeutschen Raum in das eingeliefert.

Durch einen glücklichen Zufall gelang es seiner Frau, einen SS-Offizier auf ihrem Weg nach Dachau zu treffen und diesen zu bewegen, ihren Mann am 01.12.1938 frei zu lassen. Für die lebensrettende Behandlung seiner Lungen­erkrankung, die in einem Schweizer Spital durchgeführt wurde, erhielt die kleine Familie die Ausreisegenehmigung aus Deutschland am 06.01.1939. Die Familie blieb mit einer temporären Aufenthaltserlaubnis in der Schweiz, musste sich aber um eine Ausreise in ein anderes Aufnahmeland bemühen. Adolf Katzenellenbogen erholte sich bald von dem operativen Eingriff und konnte auf Einladung seines Doktorvaters Erwin Panofsky im August 1939 eine Vortragsreise in die USA antreten.

Durch einen glücklichen Umstand brauchte er die vorge­sehene Rückreise nach Europa nicht zu machen. Er blieb auf Dauer in den USA, musste jedoch noch gut zwei Jahre warten, bis er seine Frau und Tochter im August 1941 in New York in Empfang nehmen konnte. Die Familie lebte in der Folge im Staat New York und später in Baltimore/MD, wo Adolf Katzenellenbogen zuletzt einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Johns Hopkins Universität hatte. Im Jahr 1944 wurde der Sohn John geboren, der heute eine Professur im Bundesstaat Illinois hat.

 

Dr. Adolf Katzenellenbogen starb am 30.09.1964 in Baltimore / USA.

 

[Langfassung der Biografie]

Die wundersame Befreiung des jüdischen KZ-Häftlings
Dr. Adolf Katzenellenbogen aus dem Lager Dachau

Als der im Anschluss an die Pogromnacht vom 9. November 1938 von Konstanz in das verbrachte Adolf Katzenellenbogen nach rund drei Wochen wieder freigelassen wurde, hatte sich ein kleines Wunder vollzogen. Denn die Befreiung aus der Haft, die zugleich lebensrettend war, hatte der Konstanzer Kunsthistoriker einer Zufalls­begegnung seiner Frau Elisabeth, geborene Holzheu, mit dem SS-Offizier Bauer zu verdanken. Bauer gab als seine Dienststelle das Lager Dachau an.

Ungewöhnlich an der Freilassung waren mehrere Umstände: Zum einen wurde sie von einem Mitglied der Schutz-Staffel (SS) veranlasst, also jener Kampfeinheit des NS-Regime, deren ideologische Zielsetzung die „Ausmerzung aller rassenbiologisch minderwertigen Elemente“ vorsah.2 Und in dieser Ideologie galten die Juden als minderwertig, als „Untermenschen“. Ungewöhnlich war auch, dass die Befreiungsaktion heimlich erfolgte. Der Häftling verließ das Lager nicht mit einer regulären Abgangsbescheinigung, sondern er wurde im Schutz der Nacht mit einer schweren Limousine auf einer Münchener Straße abgelegt. Schließlich musste auch der Zeitpunkt der Freilassung überraschen. In der Regel wurden die nach dem Pogrom internierten jüdischen Männer sechs bis acht Wochen im Lager festgehalten. Die Haftzeit von drei Wochen für Adolf Katzenellenbogen, vom 11. November bis zum 1. Dezember, war vergleichsweise kurz. Ein solches „Privileg“ wurde sonst nur jenen sogenannten „Schutzhäftlingen“ zugestan­den, die sich im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfer mit besonderer Tapferkeit ausgezeichnet hatten. Welches Ereignis hatte nun die Freilassung von Adolf Katzenellen­bogen bewirkt?

Als die Gestapo-Männer Adolf Katzenellenbogen am Abend des 9. November 1938 in seinem Haus in der Konstanzer Ruppanerstraße 13 verhafteten und mitnahmen, teilten sie der überraschten Gattin nicht mit, wohin ihr Mann gebracht werden sollte. Erst nach etlichen Tagen erfuhr Elisabeth Katzenellenbogen, dass ihr Mann, wie auch die meisten jüdischen Männer aus dem süddeutschen Raum, in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert worden war. Und dann fasste die verzweifelte Frau, die erst vor gut einem Jahr Mutter eines Mädchens geworden war, am 1. Dezember den Entschluss, nach Dachau zu fahren, um ihren Mann aus dem Lager zu holen und mit ihm nach Konstanz zurück­zukehren. Bei der damaligen strengen Absicherung des Lagerkomplexes muss dieser Plan als ein hoffnungsloses Unterfangen gesehen werden. Angehörige von Häftlingen kamen unangemeldet nicht in das Lager. Und was das größte Hindernis war: Elisabeth konnte keine Referenzperson aus lokalen oder regionalen Parteikreisen benennen, die als Fürsprecher ihres Vorhabens wirken konnte.

Auf der Zugfahrt von Konstanz nach München muss ihr klar geworden sein, dass sie keine Chance hatte, ihren Mann zu sehen. Sie brach in Tränen aus. In dieser Situation sprach sie der mitreisende Offizier an und erkundigte sich nach dem Grund ihrer Verzweiflung. Elisabeth Katzenellenbogen schilderte ihre Situation. Der Offizier, der sich als Sturmbannführer Bauer vorgestellt hatte, versprach ihr, dass er sich um die Freilassung des Häftlings Katzenellen­bogen kümmern werde. Er benötige nur eine Adresse, wohin der Häftling gebracht werden solle. Elisabeth nannte das Haus ihrer Verwandten, der Familie Albert in der Münchener Dunantstraße Nr. 8, eine ruhige Nebenstraße nahe dem Englischen Garten.

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Dunantstr. 8, München
Quelle https://www.google.com/maps/place/Dunantstraße+8+80805+München,
Abruf 6.11.2022

 

Den weiteren Ablauf schilderte die Augenzeugin des Geschehens, die junge Tochter der Familie Albert, in einem Brief an John Katzenellenbogen wie folgt:3

Ihre Mutter fuhr vom Bahnhof sofort in die Dunantstraße und nun wartete man in Sorge und Hoffnung, was kommen würde. In der Dämmerung fuhr tatsächlich ein großer, schwarzer Mercedes vor, hielt einen Moment an. Aus der Tür fiel ein Mann auf die Straße und der Wagen rauschte davon. Mein Vater, Ihre Mutter und unsere Rosa stürzten auf die Straße, hoben den Kranken auf und schleppten ihn so schnell wie möglich ins Haus.“

Der Offizier Bauer hatte also Wort gehalten. Ausgerechnet der Angehörige der selbsternannten „Herrenrasse“, die den Juden das Existenzrecht im Deutschen Reich absprach! Was hatte den Sturmbannführer zu dieser Tat bewogen?

War es Mitleid mit der verzweifelten Mitreisenden? Oder war es möglicherweise stiller Protest gegen die unmensch­liche Behandlung der jüdischen Häftlinge durch die Wachmann­schaften im Lager Dachau? Das wirkliche Motiv des Sturmbannführers bleibt im Dunkel: Alle Klärungs­versuche der Familie Katzenellenbogen schlugen fehl, sie konnte auch nach dem Krieg keinen Kontakt zu dem SS-Mann herstellen. Gerüchte besagten jedoch, dass Bauer mehrfach jüdische Häftlinge aus der Haft geholt hätte, wodurch er dann erhebliche Probleme mit seinen Vorgesetzten bekommen hatte.4

 

 

Rettung in der Schweiz

Mit der Freilassung in München waren jedoch für Adolf Katzenellenbogen die Probleme noch nicht vorbei. Der am 9. November in Konstanz verhaftete Familienvater war am 11. November 1938 bei guter Gesundheit ins Lager Dachau eingeliefert worden. Als er drei Wochen später, am 1. Dezember, in München frei kam, war er stark abgemagert und schwer krank. Eine erste Diagnose bestätigte eine lebensbedrohende Rippenfell- und Lungenentzündung, verbunden mit erheblichen Kreislaufproblemen und hohem Fieber. Innerhalb kurzer Zeit hatten die brutalen Haftbedingungen – konkret: Nahrungsentzug in den ersten drei Tagen, langes Appellstehen im Freien bei widrigstem Wetter5 - Adolf Katzenellenbogen gesundheitlich zugrunde gerichtet.

 

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Appellstehen in Dachau

Quelle: https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/wp-content/uploads/2018/11/haeftlinge_appell.jpg, Abruf 5.11.2022

 

Eine sofortige ärztliche Behandlung vor Ort in München, ambulant oder auch stationär, kam nicht infrage. Das Risiko, dass die geheime Freilassung entdeckt werden könnte, war sowohl für die Helfer als auch für den Häftling selbst zu groß.

Die Ehefrau organisierte einen Transport des Kranken per Auto in die Konstanzer Wohnung. Aber auch in Konstanz gestaltete sich die ärztliche Versorgung zu einem Problem. Eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik scheiterte daran, dass im Städtischen Krankenhaus in Konstanz keine jüdischen Patienten aufgenommen wurden, es andererseits aber keine jüdische Klinik in der Umgebung gab. In ihrer Not gelang es Elisabeth Katzenellenbogen immerhin, einen Arzt zu finden, der bereit war, ihren kranken Mann zu Hause zu behandeln. Es handelte sich um den Internisten Dr. Hans-Werner Langendorff, selbst ein Halbjude, der kurz zuvor, im Jahr 1937, auf Grund böswilliger Verleumdungen seinen Dienst als Direktor der Konstanzer Klinik quittieren musste.6

 

 

Bald wurde jedoch klar, dass der kritische Zustand des Patienten dringend eine Operation in einem Krankenhaus erforderte. Es gelang, Aufnahme in einem Schweizer Spital, im Kantonsspital Winterthur, zu finden. Am 6. Januar 1939 konnte der schwerkranke Adolf Katzenellenbogen dort eingeliefert werden, nachdem alle Ausreiseformalitäten erledigt waren. Gleich am nächsten Tag wurde er operiert. Die Einreise in die Schweiz war nicht nur dem Kranken, sondern gleichzeitig auch seiner Ehefrau und der jungen Tochter Ruth ermöglicht worden. Wesentliche Unterstützung hatte dabei einer der Brüder Reinhart7 geleistet, Angehörige der Winter­thurer Unternehmerfamilie, die durch ihr Mäze­natentum, insbesondere für verfolgte jüdische Künstler, bekannt wurde. Hilfreich war wohl auch eine Verbindung, die die aus einer Zürcher Fabrikantenfamilie stammende Elisabeth Katzen­ellen­bogen zu der Familie Reinhart herstellen konnte.

Mit dem Auszug aus Konstanz kehrte die kleine Familie Katzenellenbogen zugleich dem für sie ungastlich gewordenen Deutschland für viele Jahre den Rücken. Während der gesamten noch gut sechs Jahre andauernden NS-Herrschaft kehrten die Katzenellenbogens nicht wieder in die alte Heimat zurück. Von der Schweiz aus konnten sie die mehr Sicherheit bietende USA erreichen. Für den bei den Nazis als „Volljuden“ geltenden Adolf war dies ein logischer, weil lebensrettender Schritt: In der Schweiz konnte er nicht auf Dauer bleiben, die Familie hatte nur eine temporäre Aufenthaltsbewilligung erhalten. Im Zuge der ab Herbst 1941 mit voller Kraft betriebenen so genannten „Endlösung der Judenfrage“ hätte er sich in Deutschland und auch in den meisten europäischen Ländern in ständiger Lebensgefahr befunden.

Die Überfahrt in die USA konnte die Familie allerdings nicht gemeinsam antreten. Während Adolf durch glückliche Umstände im Herbst 1939 in die USA einreisen konnte, dauerte es noch knapp zwei Jahre, ehe ihm seine Frau mit der Tochter nachfolgte.

 

 

Die Zeit vor der Verfolgung

Adolf Katzenellenbogen wurde am 19. August 1901 in Frankfurt/M. in eine wohlhabende Familie hineingeboren. Sein Vater Albert war Bankdirektor bei der Commerzbank mit Aufsichtsratsposten in mehreren größeren Banken und Industrieunternehmen. Die Mutter Cornelia, geborene Doctor, stammte aus einer alteingesessenen Frankfurter Familie. Zur Familie gehörten noch die zwei älteren Töchter Gretel und Martha. Die Mutter Cornelia  hatte sich – wie auch die drei Kinder des Ehepaars – schon 1918 evangelisch taufen lassen. Dies sollte alle Mitglieder der Familie jedoch später nicht vor der Verfolgung durch die Nazis schützen. Die ab 1935 geltenden Rassengesetze hoben auf Religions­zugehörigkeit der Großeltern ab. Und da war bei der Familie Katzen­ellen­bogen der jüdische Anteil dominierend.

Adolf studierte zunächst Jura mit Promotion in Gießen im Jahr 1924. Nach kurzzeitiger praktischer Tätigkeit in der Rechtsberatung von Unternehmen begann er das Studium der Kunstgeschichte. Für dieses Fach hatte er schon frühzeitig eine große Vorliebe entwickelt. Das Studium absolvierte er in Leipzig und Hamburg. 1933 wurde er in Hamburg bei dem bedeutenden Kunsthistoriker Erwin Panofsky promoviert.  Während seines Studiums der Kunstgeschichte in Leipzig lernte Adolf um 1930 herum auf Abendveranstaltungen, so genannten Soireen, die Verwandte von ihm ausrichteten, der Wirtschaftshistoriker Alfred Doren und dessen Frau, seine spätere Frau Elisabeth Holzheu kennen. Elisabeth, eine Schweizerin, geboren am 7. Dezember 1904 in Zürich, war die Tochter eines Möbelfabrikanten in Zürich - und sie war nichtjüdisch. Sie studierte in Leipzig Klavier.

Bei diesen Abenden trafen Elisabeth und Adolf mit berühmten Vertretern der Kulturszene zusammen. Die jüdischen und nichtjüdischen Gäste repräsentierten beispielhaft die oft gerühmte deutsch-jüdische Symbiose in der Weimarer Republik. Für die Musikstudentin Elisabeth waren dabei besonders interessant Begegnungen mit so weltberühmten Künstlern wie dem Pianisten Artur Schnabel, dem Dirigenten Otto Klemperer und dem Komponisten Ernst Krenek. (siehe Abbildung mit Widmung)8. Ein anderer prominenter Künstler, der sie später bei ihren Meisterkursen in Paris unterrichtete, war der Pianist Robert Casadesus.

 

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Prominente Gäste bei A. Doren und Widmung von Adolf Katzenellenbogen
Quelle: Privatarchiv J. Katzenellenbogen

 

Auch Adolf Katzenellenbogen fühlte sich im Kreis dieser gesellschaftlich anerkannten Menschen ausnehmend wohl und dokumentierte dies mit Dank in dem ausgelegten Gästebuch. Viele der anwesenden Gäste, die nach 1933 von den Nazis wegen ihres jüdischen Glaubens verfemt wurden oder deren Kunst als „entartet“ galt, gingen später in die Emigration.

Nach dem Wechsel an die Universität Hamburg setzte Adolf das Studium bei dem bedeutenden Kunsthistoriker Erwin Panofsky fort. Erwin Panofsky wurde nicht nur 1933 sein Doktorvater, sondern auch sein Mentor im beruflichen Fortkommen und – ganz wichtig: zum Fluchthelfer vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten.

 

 

 

Die Jahre in Konstanz (1935 – 1938)

Die von den Nazis ab 1933 für jüdische Wissenschaftler verhängten Lehrverbote trafen auch den frisch promovierten Kunsthistoriker Adolf Katzenellenbogen. Er und Elisabeth Holzheu, die ein Paar geworden waren, beschlossen daraufhin, sich in Konstanz, an der Grenze zur für Elisabeth heimatlichen Schweiz, ein Eigenheim zu errichten. Der finanzielle Rückhalt beider Elternhäuser ermöglichte es dem jungen Paar, eine schöne Immobilie zu erwerben und ein in materieller Hinsicht sorgenfreies Leben zu führen. Adolf konnte es sich erlauben, einige Jahre ohne eine Festanstellung privater Forschungs­tätigkeit nachzugehen. Er glaubte fest daran, dass die Herrschaft des NS-Regimes nicht von langer Dauer sein würde. Elisabeth hatte als Nichtjüdin und Schweizerin die Möglichkeit, Klavierunterricht an der Musikschule im schweizerischen Winterthur zu geben.

Im Nachhinein mag es schwer erklärlich erscheinen, dass das Paar Domizil in Konstanz gesucht hatte. Beide hatten bisher keine Beziehung zu dieser Stadt oder zu bestimmten Einwohnern dort geknüpft. Auch wurden die Planungen für den Hausbau zu einem Zeitpunkt begonnen, als es noch möglich war, das zunehmend judenfeindlichere Deutschland problem­los zu verlassen. Hinzu kam, dass Elisabeths Zugehörigkeit zur Schweiz es nahe legte, dort Wohnsitz zu nehmen.

Da auch die Angehörigen keine Erklärung liefern konnten, bleibt nur zu vermuten, dass Konstanz als Wohnort erwählt wurde, weil hiermit mehrere Ziele umgesetzt werden konnten: Zum einen sahen beide Partner ihre berufliche Zukunft weiterhin in Deutschland, zum anderen schien der Grenzort Konstanz die Chance zu bieten, schnell in die sichere Schweiz zu kommen, und schließlich – die reizvolle Umgebung der Stadt am See versprach eine hohe Lebensqualität.

Für den Bau ihres Eigenheims in Konstanz hatte das Paar als Standort nicht den von der jüdischen Einwohnerschaft bevorzugten linksrheinischen Teil der Stadt gewählt, sondern den rechtsrheinischen Stadtteil Allmannsdorf. In diesem Ortsteil, der noch seinen ursprünglichen dörflichen Charakter beibehalten hatte, erwarben Adolf und Elisabeth einen Bauplatz mit Blick auf den Bodensee - in der ruhig gelegenen Ruppanerstraße 13. Sie waren damit in den 1930er-Jahren die einzigen Juden in der Einwohnerschaft von Allmannsdorf. Auf dem 1.000 qm Grundstück ließen sie ein 6-Zimmer-Haus mit einer Wohnfläche von 133 qm errichten.9 Dazu gehörte auch eine Garage für den PKW von Elisabeth.

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Haus Ruppanerstraße 13, Einfahrt mit Garage;
Adolf und Mutter Cornelia Katzenellenbogen
begeben sich ins Haus
Quelle: Privatarchiv JK

 

 

Der Einzug in das neue Haus ist in der Konstanzer Einwohner­kartei mit Datum 8. Oktober 1935 registriert. Offenbar hatte sich der Bezug des neuen Heimes verzögert. Denn der Zuzug in Konstanz erfolgte bereits im Mai 1935. In der Zwischenzeit war das Paar unter den Konstanzer Adressen Bahnhofplatz 6 und Hebelstraße 4 und 6 angemeldet.

Kurz vorher hatten Adolf und Elisabeth noch am 4. September 1935 in Zürich geheiratet. Es war der Monat, an dem elf Tage später, am 15. September auf dem Reichsparteitag in Nürnberg die gegen die Juden gerichteten Rassegesetze an­genommen wurden - eine zeitliche Koinzidenz, die das frisch vermählte Ehepaar sicherlich unangenehm überraschen sollte.

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Hochzeit von Adolf und Elisabeth in Zürich, Sept. 1935
Quelle: Privatarchiv JK

 

Die Eheleute Adolf und Elisabeth Katzenellenbogen lebten zurückgezogen an ihrem neuen Wohnort.10 Sie hatten kaum Kontakt mit anderen Mitgliedern der relativ großen jüdischen Gemeinde, die sich linksrheinisch, in der Konstanzer Altstadt, angesiedelt hatte. Adolf war zu der Zeit der einzige jüdische Einwohner in Allmannsdorf – einem Stadtteil mit einer starken Anhängerschaft der regierenden NS-Partei. Die Kontakte der neuen Bürger beschränkten sich auf gelegentliche Besuche bei oder von den unmittelbaren Nachbarn in der Ruppanerstraße. Ansonsten empfingen sie häufig Besuch von den Eltern und von Verwandten.

 

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Im Garten in der Ruppanerstraße, Adolf (2. von links),
Vater Albert (ganz rechts),
Quelle Privatarchiv JK

 

 

Die ausgebildete Konzertpianistin Elisabeth ging einer Tätigkeit als Klavierlehrerin an der Musikschule in Winterthur nach. Die Erleichterungen des kleinen Grenzverkehrs ermöglichten die problemlose Fahrt in die Schweiz. Sie fuhr im eigenen PKW von Konstanz nach Winterthur. Das Auto erregte einiges Aufsehen. Nicht nur dass es eines der ganz wenigen privat gehaltenen Fahrzeuge in Allmannsdorf war, der BMW 303 war hochmodern mit einem Sechszylindermotor ausgestattet und hatte eine auffällige Gelblackierung.

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Ein BMW 303 aus den 1930er-Jahren
Foto-Lizenz durch Debbie Newhouse, Los Altos, CA/ USA

 

Am 8. April 1937 kam das erste Kind, die Tochter Ruth, in Konstanz zur Welt. In der Zwischenzeit hatte sich das Klima für die jüdische Bevölkerung weiter verschlechtert, die Diskriminierungen im Alltagsleben – wie zum Beispiel bei Einkäufen, bei Besuch von Geschäften, Freizeiteinrich­tun­gen, im Schulalltag - nahmen ständig zu. Diesem für die halb-jüdische Familie feindlichen Umfeld versuchten nun die Katzenellenbogens durch Auswanderung in die benachbarte Schweiz zu entfliehen. Es war ein Plan, der erfolgver­sprechend schien. Elisabeth war vor ihrer Verheiratung Schweizerin, dazu hatte sie eine Arbeitsstelle in der Schweiz und – ein weiteres gewichtiges Argument – sie konnte unterstützungsbereite Eltern und Verwandte in der Schweiz benennen.

Am 10. Mai und noch einmal am 27. Mai 1938 richteten die Eheleute an die Kantonale Fremdenpolizei in Zürich ein „Gesuch um Aufenthaltsbewilligung“ in Winterthur. Die Stellungnahme der zuständigen Behörden im Bund und in der Kommune Winterthur war von den Antragstellern sicherlich nicht erwartet worden. So wurde das ursprüngliche Gesuch von der zuständigen Eidgenössischen Fremdenpolizei in Bern abgelehnt; danach beschied am 7. Juli 1938 auch das „Kon­trollbureau Winterthur“ der Fremdenpolizei das „Wieder­erwägungsgesuch“ abschlägig, das Adolf Katzenellenbogen am 27. Mai 1938 eingereicht hatte.11 Wie in fast allen anderen Fällen wird auch hier die Ablehnung des Aufenthalts von Verfolgten des NS-Regimes mit dem Argument der „Überfremdung“ begründet – einem Argument, bei dem letztlich die Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen die humanitären Aspekte verdrängte. Mit Bezug auf die in der Schweiz aufgewachsene Elisabeth Katzenellenbogen muss folgende Bewertung des Kontrollbureau als zynisch empfunden werden:

„Die Verheiratung erfolgte am …., zu einer Zeit also, da sich die Schweizerin unbedingt   hätte Rechenschaft geben müssen über die Folgen einer Verheiratung mit einem deutschen Nichtarier, der im Deutschen Reich leben muss“12

Dass zeitgleich mit der Ablehnung dieses Aufnahmegesuchs durch das Kontrollbureau Winterthur die Vertreter der wichtigsten Staaten auf der Konferenz im nahegelegenen Évian am Genfer See eine großzügigere Aufnahme der rapide steigenden Zahl von jüdischen Flüchtlingen verweigerten, war eine bemerkenswerte, jedoch nicht geplante Koinzidenz von moralischem Versagen.

So kam es, dass nur wenige Monate später, am 9. November des gleichen Jahres, im Anschluss an das Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris, Adolf Katzenellenbogen und die meisten jüdischen Männer in Deutschland in genommen wurden. Dabei kamen die im Landesteil Baden lebenden Juden in das Konzentrationslager Dachau in Bayern. Adolf wurde am 11. November 1938 in Dachau eingeliefert und erhielt die Häftlingsnummer 22114. Die gesundheitlichen Schäden dieses Aufenthalts sollten ihn sein ganzes weiteres Leben begleiten.

 

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Deportation jüdischer Männer in Baden 9./10. Nov. 1938
Quelle:
https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/historischer-ort/kz-dachau-1933-1945 , Abruf 6.11..2022

 

 

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Lagerbuch KZ Dachau mit Eintrag des Zugangs von
Adolf KATZENELLENBOGEN (hier rot markiert),
Lagernummer 22114
Quelle: Gedenkstätte Lager Dachau

 

 

 

Emigration und Karriere in den USA

Nachdem Adolf Katzenellenbogen erst schwer krank werden musste und sich in akuter Lebensgefahr befand, gewann – dank der „Nachhilfe“ der einflussreichen Industriellenfamilie Reinhart in Winterthur - das humanitäre Gewissen der Schweizer Behörden die Oberhand. Wie vorher geschildert, konnten Adolf (mit einem Krankentransport) sowie seine Frau Elisabeth und die kleine Ruth im Januar 1939 in die Schweiz, nach Winterthur, einreisen. Allerdings hatten sie keine Einwanderungsbewilligung erhalten, sondern nur eine temporäre Aufenthaltserlaubnis – mit der damals gängigen Maßgabe, sich um die Ausreise in ein anderes Land zu bemühen.

Von der sofort vorgenommenen Lungenoperation erholte sich Adolf in den folgenden Monaten so weit, dass er noch im Frühsommer nach England reisen und auf Einladung des Warburg- Instituts in London wissenschaftliche Arbeiten zur Kunstgeschichte des Mittelalters veröffentlichen konnte.

 

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Adolf Katzenellenbogen, in Winterthur / Schweiz;
sichtbar gezeichnet von der KZ-Haft

Quelle: Privatarchiv JK

 

 

Im Juni 1939 konnte das verwaiste Haus in der Konstanzer Ruppanerstraße verkauft werden. Als Verkäuferin trat Ehefrau Elisabeth auf, als Kaufpartei unterzeichnete Berta Einhart den Kaufvertrag, die Frau des Bodenseemalers Karl Einhart. Geldgeber im Hintergrund war jedoch Norbert Jaques, der Bruder von Berta Einhart. Die Zahlung des Kaufpreises von 30.000 Reichsmark (RM), der auch in der damaligen, für das Ehepaar Katzenellenbogen erschwerten Verhandlungsposition, einen fairen Wert darstellte, wurde für zehn Jahre kreditiert und mit 3 % p.a. verzinst.13

 

Im gleichen Zeitraum, im Juni 1939, erreichte Adolf Katzenellenbogen eine Einladung seines Doktorvaters Erwin Panofsky für eine Vortragsreise in den USA. Panofsky war bereits Jahre zuvor in die USA emigriert und hatte seit 1935 einen Lehrstuhl an der Universität Princeton inne. Das amerikanische Konsulat in Zürich stellte ein Besuchsvisum für Adolf Katzenellenbogen aus. Die Überfahrt trat er von Winterthur aus am 24. August 1939 mit dem Luxusdampfer „SS Washington“ vom französischen Hafen Le Havre an.14 Auf der Passagierliste ist Adolf Katzenellenbogen mit der Nummer 164 verzeichnet. Ein besonderer Zufall wollte es, dass das Schiff am 31. August 1939 in New York anlegte. Es war der letzte Tag vor Beginn des Zweiten Weltkriegs.

 

 

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Luxusdampfer SS Washington vor der Kulisse von New York

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Washington_(Schiff,_1933)#/media/Datei:SS_Washington_crop.png, Abruf 6.11.2022

 

 

 

So froh Adolf Katzenellenbogen einerseits war, nun das Traumziel vieler verfolgter Juden in Europa, die USA, erreicht zu haben, so mussten sich andererseits mit dem Ausbruch des Krieges bald Bedenken einstellen. Das Besuchsvisum galt nur für kurze Zeit, danach hätte er zurückreisen müssen. Aber der Seeweg für die geplante Rückreise war im Zuge der einsetzenden Angriffe der kriegsführenden Länder auf den Meeren wesentlich gefahrenvoller geworden.

Ein glücklicher Zufall kam ihm zu Hilfe: Auf der letzten Station seiner Vortragsreise, dem Vassar College in Poughkeepsie NY, wurde ihm die Vertretungsstelle für einen schwerkranken Professor angetragen. Das ermöglichte es ihm, sein Besuchsvisum mehrfach verlängern zu lassen. Der Preis, den er für seine Sicherheit zahlen musste, war die anhaltende Trennung von Frau Elisabeth und Tochter Ruth, die allerdings in der Schweiz ebenfalls unbehelligt von dem NS-Regime lebten.

 

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Vassar College Hauptgebäude in Poughkeepsie/NY

Quelle: Internet, Vassar-College BMCE Cuny.edu

 

 

Erst im April 1941 gelang es Adolf, regulär mit einem Einwanderungsvisum in die USA einzureisen. Es war ein etwas kompliziertes Verfahren: Die Einwanderungspapiere mussten bei einem US-Konsulat im Ausland beantragt und dort ausgestellt werden. In Betracht kam nur Kuba, das als eines der wenigen Länder noch freie Auswanderungsquoten für die USA hatte. Zu diesem Zweck reiste der Antragsteller Adolf Katzenellenbogen – mit dem Dampfer „Oriente“ - erst einmal aus den USA nach Kuba, um dann wieder mit dem Einreisevisum, welches das US-Konsulat in Havanna ausgestellt hatte, in die USA einzuwandern.

Die mit dem Einwanderungsvisum verbundene ständige Aufenthaltserlaubnis machte es nun möglich, dass Adolf auch für seine Frau und Tochter die Einreise in die USA beantragen konnte. Anders als zwei Jahre zuvor, als ein Besuchervisum für Adolf vergleichsweise einfach zu erhalten war, weil amerikanische Wissenschaftler den Besuch des deutschen Kollegen angefordert hatten, gestaltete sich die Auswanderung von Elisabeth und Tochter Ruth wesentlich schwieriger. Der Antrag für das Visum, den Elisabeth bei der amerikanischen Botschaft in der Schweiz einreichte, hatte eine hohe, somit ungünstige Vormerk­nummer. Eine weitere Erschwernis war, dass im Sommer 1941, im dritten Kriegsjahr mit Beginn des Russland-Feldzuges der deutschen Wehrmacht, die Fluchtwelle der Verfolgten des NS-Regimes aus Europa weiter anstieg. Es waren insbesondere die jüdischen Flüchtlinge, die Schutz in den nord- und südamerikanischen Ländern suchten. Hinzu kam, dass der Seekrieg im Atlantik die Überfahrten zu einem Abenteuer werden ließ, so dass die Zahl der Schiffspassagen zurückging.

Mit Glück und guten Beziehungen konnten die Hürden überwunden werden: Einflussreiche Freunde in der Schweiz, vermutlich wieder die Familie Reinhart,15 verhalfen dem Visum-Antrag zu höherer Priorität, und für die Ausreise gelang es, eine Passage für Mutter und Tochter auf dem Dampfer „Ciudad de Sevilla“ zu sichern, der den Hafen in Barcelona am 1. August 1941 mit Ziel New York verließ. Als Schutzmaßnahme gegen U-Boot-Angriffe waren an den Bordwänden des Schiffes große Aufschriften mit dem Hinweis auf ein spanisches Schiff angebracht. Nach fast dreiwöchiger Fahrt erreichte das Schiff den Hafen in New York am  20. August 1941.16 Die Ausreise war gerade noch rechtzeitig erfolgt. Wenig später, im Oktober des gleichen Jahres, erließen die Machthaber in Deutschland ein vollständiges Ausreiseverbot für die europäischen Juden nach Übersee.

 

 

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Adolf begrüßt Elisabeth und Tochter Ruth bei deren Ankunft in New York, August 1941

Quelle: Privatarchiv JK

 

Die nun wiedervereinte kleine Familie richtete sich in Poughkeepsie, dem Arbeitsort von Adolf, das gut 75 Meilen nördlich von New York City gelegen ist, wohnlich ein. Die Wiedersehensfreude wurde jedoch getrübt durch die Nachricht, dass Adolfs Mutter wenige Monate zuvor, im April 1941 in Frankfurt als Folge eines Schlaganfalls und der erlittenen Demütigungen gestorben war. Wie und wann der Sohn Adolf, dem zur gleichen Zeit die legale Einwanderung in die USA gelungen war, von dem Tod der Mutter erfuhr, ist nicht überliefert.

Beruflich war Adolf Katzenellenbogen nun für längere Zeit abgesichert durch einen Lehrauftrag an der Fakultät für Kunstgeschichte am Vassar College in Poughkeepsie. Hier sollten er und seine Frau Elisabeth auch einen gemeinsamen Bekannten aus der Studienzeit in Leipzig treffen. Der Komponist Ernst Krenek, dessen Musik bei den Nationalsozialisten als „entartet“ galt und in Deutschland nicht aufgeführt  werden durfte, hatte nach seiner Auswanderung in die USA eine Professur an der Musikfakultät des Vassar College erhalten. Er lehrte dort von 1939 bis 1942. Wie bereits erwähnt, war Krenek in den 20-iger Jahren ebenfalls Gast auf den Soireen im Hause Doren in Leipzig gewesen.

Im August 1942, als die „Endlösung der Judenfrage“ in Europa ihren grausamen Höhepunkt erreicht hatte, wurde Adolfs Vater Opfer des Holocausts. Der in ein so genanntes „Judenhaus“ eingelieferte, fast 80-jährige Albert Katzenellenbogen wurde am 18. August von Frankfurt zunächst ins Lager Theresienstadt deportiert und von dort in das Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk in Weißrussland gebracht. Dort wurde er am 25. August 1942 umgebracht. Von diesem Verlust und von den Umständen des Ablebens seines Vaters haben Adolf und seine Familie, die weitab vom Kriegsgeschehen in Europa lebten, erst nach Kriegsende erfahren – durch Nachforschungen und Benach­richtigungen des Roten Kreuzes.

Die nächsten Jahre lebte die Familie in Poughkeepsie, in sicherer Entfernung vom Kriegsgeschehen und geschützt vor dem Zugriff der „Endlösungsgehilfen“. Im Mai 1944 wurden Adolf und Elisabeth Eltern eines zweiten Kindes, des Sohns John.

Auch nach Ende des Krieges behielt die Familie ihren Wohnsitz noch längere Zeit in Poughkeepsie, wo Adolf weiterhin am Vassar College forschte und lehrte. Ab 1946 konnte die Familie Teile des wertvollen Hausrats, den sie bei der Auswanderung in Winterthur eingelagert hatten, nachschicken lassen.

1958 erhielt Adolf Katzenellenbogen von der renommierten Johns Hopkins Universität in Baltimore/MD einen Ruf als ordentlicher Professor auf den Lehrstuhl für Kunst­geschichte des Mittelalters.

Zwar gewährte das Leben in den USA nun sicheren  Abstand von den furchtbaren Geschehnissen des Krieges und von den Verbrechen der deutschen Machthaber in Europa. Die Nachwirkungen der schweren Misshandlungen im Lager Dachau aus dem Jahre 1938 begleiteten Adolf Katzenellenbogen sein ganzes Leben lang. Er blieb gezeichnet von den Folgen des mühsam auskurierten Lungenleidens. Im Januar 1946 und später in 1962 brach die Lungenentzündung wieder aus, von der er sich nicht mehr richtig erholte.17

 

Am 30. September 1964 starb Adolf Katzenellenbogen im Alter von 63 Jahren in Baltimore.

 

 

 

Epilog

Im Jahr 1950 stellte Adolf Katzenellenbogen beim Badischen Landesamt für Wiedergutmachung in Freiburg den ersten Antrag auf Wiedergutmachung und Restitution. Die Vertretung in Deutschland übernahm ein Verwandter der Familie, der in Frankfurt/M. ansässige Rechtsanwalt Dr. Erich Berndt. Gefordert wurde Ersatz für den materiellen Schaden, den die Familie durch die Verfolgungspolitik der NS-Machthaber erlitten hatte. Konkret genannt wurden Beträge von insgesamt RM 134.000 für erzwungene Abgaben für Reichfluchtsteuer, für die Juden­vermögens­abgabe und für die Ausfuhr von Haushaltsgegenständen.

Die Prüfung und Abwicklung der Wiedergutmachungs­verfahren durch die Landesämter in Deutschland erstreckte sich bekanntermaßen über einen langen Zeitraum, so dass häufig die Antragsteller die Erstattung ihrer Ansprüche nicht mehr erlebten.

Dies traf auch im Fall Adolf Katzenellenbogen zu. Erst in den Jahren 1968 und 1970, als Adolf Katzenellenbogen bereits mindestens vier Jahre tot war, fasste das zuständige Landesamt Baden-Württemberg für Wiedergutmachung Beschlüsse, die Ersatz für Schäden an beruflichem Fortkommen und an Vermögen zuerkannten. Elisabeth Katzenellenbogen, die Witwe und Alleinerbin ihres Mannes, erhielt die Entschädigung.

Keine Entschädigung wurde dagegen gewährt für den Freiheitsentzug und für die erlittenen gesundheitlichen Schäden, als Folge der erzwungenen Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau aus dem Jahr 1938. Die Begründung hierfür mutet zynisch an: Erstattungsberechtigt waren nur jene Häftlinge, deren Aufenthalt in Dachau mindestens 30 Tage dauerte. Adolfs „Verweilzeit“ von 21 Tagen erfüllte diese Voraussetzung nicht.18 Die Tatsache, dass auch die „nur“ 21-tägige Haftzeit gereicht hat, um den Häftling Adolf Katzenellenbogen in akute Todesgefahr zu versetzen und seine Gesundheit für sein restliches Leben zu ruinieren, blieb bei der Würdigung seiner Haft völlig außer Betracht.

Unabhängig davon, was und wie hoch erstattet wurde, eine volle Wiedergutmachung kann für das erlittene Unrecht ohnehin nicht geleistet werden. Die gezahlten Entschä­digungen sind nicht mehr als eine symbolische Geste, mit der das Wiedergutmachungsamt des Landes als Rechtsnachfolgerin die Schuld der NS-Vorgängerbehörde anerkennt.

 

Elisabeth Katzenellenbogen überlebte ihren Mann um mehr als zwanzig Jahre. Sie starb am 5. Februar 1987 in Baltimore/MD.

Auch in den USA war sie als Klavierlehrerin tätig geblieben, u.a. am renommierten Peabody Konservatorium der Johns Hopkins Universität. Dazu hatte sie Auftritte als Konzertpianistin. Im Jahre 2010 wurde ein Album mit sechs Bach-Sonaten von Apple und Amazon veröffentlicht. Sehr gut befreundet war sie mit der bekannten deutsch-amerikanischen Konzertpianistin Grete Sultan, eine Berliner Jüdin, die ebenfalls 1941 in die USA geflüchtet war.

 

 

 

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Elisabeth Katzenellenbogen am Klavier
Quelle: Privatarchiv JK

 

 

Die Tochter Ruth, verheiratete Clemens, starb am 15. Oktober 2014 in Towson/MD im Alter von 77 Jahren. Beruflich war sie tätig bei der Öffentlichen Schulverwaltung in Baltimore.

Der Sohn John schlug wie sein Vater eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Er ist Professor für Chemie an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign. Seine Forschungen befassen sich mit der Untersuchung von Wirkstoffen für die Behandlung von Brust- und Prostata-Krebs. John ist verheiratet mit der Professorin Benita Schulman und Vater von zwei Töchtern.

 

 

Recherche: Hans Seiffert

Patenschaft:  John Katzenellenboegn

Anmerkungen:

(1) Vom Autor angestellte Nachforschungen brachten keinen Nachweis für die Existenz eines Sturmbannführers  Bauer im Lager Dachau zur fraglichen Zeit. Möglicherweise hatte der Offizier aus Gründen der eigenen Sicherheit falsche Angaben zur Person oder zum Dienstort gemacht.

(2)  Bekenntnis eines hochrangigen SS-Führers gegenüber Eugen Kogon, zitiert in Eugen Kogon, Der SS-Staat, 13. Aufl., Heyne-Verlag, München 1983, S. 42.

(3) Brief Tita Stremlow an den Sohn John Katzenellenbogen (J.K.) vom 14.04.1998, Privatarchiv J. K.;

(4)  „Family history discussion with John Katzenellenbogen“, Protokoll 2016 (ohne Datum).  Privatarchiv JK

(5)  Bericht Elisabeth Katzenellenbogen, Eidesstattliche Versicherung vom 25.06.1966, Staatsarchiv Freiburg,  F 196/4382, Bd. 2;

(6)  Artikel „Südkurier“ Konstanz vom 23.11.1945, Stadtarchiv Konstanz, Personenakte

(7) B. Stark, Y. Hildwein „Dem See treu, Karl Einhart (1884-1967) und seine Weggefährten, Konstanz 2017, S. 20; Die Autoren benennen Werner Reinhart, den Förderer von Musikkünstlern, als Helfer. Dagegen verfügt die Familie J. K. über Hinweise, dass Oskar Reinhart, der bekannte Kunstsammler, Einfluss ausgeübt hatte.

(8) Privatarchiv J.K.

(9) Mitteilung des Finanzamts Konstanz vom 15.09.1951, Staatsarchiv Freiburg F196/4382, Bd.1

(10) Aussage des Nachbarn und Zeitzeugen Peter Mändlen im Gespräch mit dem Autor am 02.05.2022.

(11) Bericht des Kontrollbureau Winterthur an den Stadtrat Winterthur vom 07.07.1938, Quelle: Privatarchiv J.K.

(12) Ebenda

(13) B. Stark, Y. Hildwein, Dem See treu, a.a.O., S. 20, Fußnote 67

(14) Bericht Elisabeth Katzenellenbogen, Eidesstattliche Versicherung vom 25.06.1966, Staatsarchiv Freiburg,  F 196/4382, Bd. 2;

(15) „Family history discussion with John Katzenellenbogen“

(16) ancestry.de, Abruf 5.11.2022

(17) Elisabeth Katzenellenbogen, Eidesstattliche Versicherung.

(18) Staatsarchiv Freiburg, Wiedergutmachungsakte F 196/1-4382/2.

Literatur:

Kogon, Eugen, Der SS-Staat, 13. Aufl., Heyne-Verlag München 1983

Stark, Barbara, Hildwein, Yvonne, Dem See Treu – Karl Einhart, Städtische Wessenberg-Galerie, Konstanz 2017

Gedruckte und ungedruckte Quellen

https://juedische-emigration.de/de/emigration/fluchtrouten

Privatarchiv John Katzenellenbogen, Urbana-Champaign/Il, USA

Staatsarchiv Freiburg/Br., Wiedergutmachungsakte F 196/4382

Südkurier vom 23.11.1945

Interview vom 02.05.2022 mit Peter Mändlen und Dr. Ewald Weisschedel, Konstanz, Ruppanerstraße

Gedenkstätte Lager Dachau, Auszug Lagerbuch