Berthold Wieler wurde am 7. Juni 1876 als Sohn von Adolf und Berta Wieler, geb. Mayer, in Konstanz geboren. Sein Vater war 1873 von Randegg nach Konstanz gezogen und hatte zusammen mit seinem Bruder Pius die Firma „Gebrüder Wieler“ gegründet. Der Sitz der Firma für Garne und Kurzwaren en gros an der Oberen Laube (heutige Hausnummer 64) war zugleich das Wohnhaus der Familie. Hier wuchs Berthold mit seinen Schwestern Bella, Irma, Therese und Anna auf.
Er besuchte die Primar- und Realschule in Konstanz und machte dann eine kaufmännische Lehre bei Nestlé in Vevey. Danach war er im väterlichen Geschäft tätig, zunächst als Reisender. Später übernahm er die Firma zusammen mit seinem Cousin David Wieler und führte sie schließlich alleine. In den Dreißigerjahren musste er die Firma auflösen.
1904 heiratete er Anna Guggenheim. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Das Ehepaar wohnte zunächst in der Emmishofer Straße 10 und der Bodanstraße 34, ab 1913 dann 26 Jahre lang in der Schützenstraße 30 im 1. Stock.
Laut Erich Bloch war Berthold Wieler wegen seiner allgemeinen Leutseligkeit in Konstanz sehr beliebt und bekannt. Ein Idealist, der in bescheidenen Verhältnissen lebte, „weil er seine Zeit mehr den sozial Bedürftigen widmete als seinem eigenen Geschäft.“ (Bloch, S. 120) Auch der Konstanzer Frauenarzt Semi Moos beschreibt ihn als einen uneigennützigen, hilfsbereiten, gutmütigen und freundlichen Menschen.
Berthold Wieler war in seiner Heimatstadt Konstanz gesellschaftlich und politisch engagiert. Lange Jahre war er Stadtverordneter der Sozialdemokratischen Partei und im Bürgerausschuss.
In den 1930er-Jahren wurde er zum Ziel von Anfeindungen: Die 1932 gegründete nationalsozialistische „Bodensee-Rundschau“ hetzte gegen ihn und bezeichnete „den Juden Wieler“ in der Ausgabe vom 1. April 1933 als einen „der Hauptgeldgeber der SPD“, eine Behauptung, die völlig aus der Luft gegriffen war. (Bloch, S. 119)
Darüber hinaus engagierte sich Berthold Wieler stark in der jüdischen Gemeinde. Von 1920 bis zum 10. Oktober 1940 war er Vorsitzender des Bruderschaftsvereins (Chewrah Kadischah), der u.a. bei Verstorbenen die rituellen Verrichtungen vornahm und Notleidende unterstützte. Semi Moos lobte seine Verdienste mit den Worten: „Er war ein Freund den Lebenden und ein guter Freund den Toten.“
Berthold Wieler war außerdem Synagogenrat und nach dem 10. November 1938 bis zur Deportation Vorstand der jüdischen Gemeinde. Sein Vorgänger, der Anwalt Moritz Bloch, war in den Seerhein geworfen und von der Gestapo in der Mainaustraße misshandelt worden, sodass er auf einem Auge erblindete.
Als Gemeindevorsteher musste er sich nicht nur um die jüdische Gemeinde in Konstanz kümmern, sondern auch um zahlreiche Flüchtlinge: Bereits 1938, als viele österreichischen Juden nach Konstanz flohen, wurden Rechtsanwalt Bloch und Berthold Wieler als Vertreter der israelitischen Gemeinde in Konstanz zur Gestapo beordert und es wurde „ihnen eröffnet, dass diese jüdischen Flüchtlinge aus Österreich aus Konstanz zu verschwinden hätten.“ (Bloch, S. 152/153) Auch aus den sogenannten „Wiedergutmachungsakten“ ist zu entnehmen, dass Berthold Wieler in vielen Fällen den Flüchtlingen mit Hilfe der Gestapo (!) den Übertritt in die Schweiz ermöglichte. Seine Frau Anna erinnerte sich später, dass er der einzige Jude war, dem damals in Konstanz die Benutzung des Telefons gestattet war.
Am 5. Oktober 1939 zog das Ehepaar Wieler in die Döbelestr. 4 um. Es ist davon auszugehen, dass dieser Umzug nicht freiwillig war, sondern eine Folge des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30.4.1939. Das Haus in der Döbelestraße 4 war ein sogenanntes „Judenhaus“, in das Juden zwangsweise einquartiert wurden.
Am 22. Oktober 1940 wurde Berthold Wieler zusammen mit vielen anderen Konstanzer Juden nach Gurs in Südfrankreich deportiert und im Ilôt (Block) E, Bâtiment (Baracke) 16 untergebracht.
„Das Lager Gurs war das größte der fünf oder sechs Internierungslager in Frankreich. Längs einer fast 2 km langen Straße befanden sich auf beiden Seiten hinter Stacheldrahtumzäunungen und voneinander abgegrenzt 13 gleich große Unterabteilungen, „Ilôts“ genannt, welche je 25 eng aneinandergereihte Baracken enthielten. Die Baracken waren 25 m lang und 5 m breit. In einer Baracke waren 50 bis 60 Menschen untergebracht, männliche und weibliche Insassen in verschiedenen Ilôts voneinander getrennt.
Als wir in Gurs ankamen, wurden wir von der französischen Polizei auf Lastwagen ins Lager gebracht. Die Männer kamen in die erste Hälfte, die Frauen in die zweite. Berthold Wieler, der Vorsteher der ehemaligen jüdischen Gemeinde, suchte alle Konstanzer zusammen, damit wir in eine Baracke kamen, was sich als sehr gut erwies. Man kannte sich, während in vielen anderen Baracken alle fremd waren …“ (Hugo Schriesheimer in Roy Wiehn: Camp de Gurs, S. 135)
Die Konstanzer Wohnungseinrichtung der Eheleute Wieler wurde bereits kurze Zeit nach der Deportation, im November 1940, versteigert.
Berthold Wieler und seine Frau lebten von Oktober 1940 bis März 1941 im Lager Gurs, dann wurden sie – wohl aus gesundheitlichen Gründen und wegen ihres Alters – ins Krankenhaus/Pflegeheim „Le Blancat“ in Gan bei Pau verlegt. Es ist anzunehmen, dass sie dort unter polizeilicher Aufsicht standen.
Am 7. Juli 1942 wurden sie entlassen und reisten in die Schweiz, die genaueren Umstände sind nicht geklärt. Noch im selben Monat meldeten sie sich in Lengnau im Kanton Aargau an, wo sie ein Altersheim bezogen. Ende Oktober 1944 zogen sie dann nach Baden/Schweiz.
Berthold Wieler war nach seiner Rückkehr aus Südfrankreich physisch und psychisch krank. Er verbrachte mehrere Monate in der Psychiatrie in Oberwil bei Zug und im Krankenhaus in Baden.
Am 15. März 1948 starb Berthold Wieler in Baden/Schweiz im Alter von 72 Jahren.