Ernst
BÄRTSCHI

1903 - 1983 I
Schäflerstraße 11, Kreuzlingen
Stolperstein verlegt am 08.09.2013
Ernst BÄRTSCHI Schäflerstraße 11, Kreuzlingen

1938 verhaftet wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“

Ernst Bärtschi wurde am 25. Februar 1903 in Tuttlingen geboren. Sein Vater war Schweizer Staatsbürger, gebürtig aus Dulliken, Kanton Solothurn. Er war Schuster und hatte in Deutschland sein Geld beim Bau der Schwarzwaldbahn verdient. Seine Frau war eine Deutsche aus Tuttlingen.

1920 kehrte die Familie mit ihren drei Kindern in die Schweiz zurück. Der Vater arbeitete in der Schuhfabrik Rigi, die Stiefel für die Schweizer Armee herstellte, der Sohn war zunächst Arbeiter in einer Parfümfabrik. Die Meinung des Vaters, dass die Arbeiter sich orga­nisieren müssen, um ihre Forderungen durch­zusetzen, fiel bei seinem Sohn auf fruchtbaren Boden. Ernst Bärtschi fand dann eine Anstellung als Aluminiumdreher in der Aluminiumwalzerei Dr. Lauber, Neher & Cie. in Emmishofen, einem Ortsteil von Kreuzlingen. Die Firma war spezialisiert auf Alufolien. Durch seine gewerk­schaftliche Tätigkeit und gute private Kontakt zu Konstanzer Arbeitern (er war in jungen Jahren Tambourmajor bei einer Konstanzer Musikgruppe gewesen) lernte er früh die menschen­verachtende Politik der Nazis kennen.

Zusammen mit seinen deutschen Freunden Karl Durst und Andreas Fleig, seinem deutschen Nachbarn in Kreuzlingen, schmuggelte Ernst Bärtschi seit 1933 politische Broschüren, zum Teil auch Filme, nach Konstanz. An der Spitze der Emigranten stand der ehemalige Frankfurter Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts­bundes, Anton Döring. Die Zeitschriften hießen „Der Funke“ und die „afa-nachrichten“, das „Informations- und Diskussions­organ der Frei-Gewerkschafter Süd-West-Deutsch­lands“. Diese Zeitschriften waren denkbar einfach aus vervielfältigten Schreibmaschinenseiten herge­stellt.

Die Akteure, die den „Funken“ nach Deutschland, speziell in den Großraum Frankfurt am Main, schmuggelten, wurde die „Funkentruppe“ genannt. Zur Funkentruppe gehörten Ernst Bärtschi, Alfred Munz, Andreas Fleig, Karl Durst und Pauline Gutjahr in Konstanz, alles Sozialdemokraten. Auch die Kinder des inhaftierten badischen SPD-Landtags­abgeordneten Karl Großhans, Hans und Klara Großhans in Konstanz, unterstützten die Funkentruppe. Wenn der Postversand innerhalb Deutschlands zu gefährlich schien, brachte Ernst Bärtschi 1936 selbst mehrmals einige Exemplare des „Funken“ nach Frankfurt und nahm Nachrichten entgegen. In Konstanz war die Sozialdemokratin Pauline Gutjahr bis zu ihrer Verhaftung im Jahr Mai 1938 die Anlaufstelle für die „Funkentruppe“.

Ernst Bärtschi hat nicht nur Broschüren nach Deutschland, sondern auch illegales Material von Deutschland in die Schweiz geschmuggelt. „Am Anfang habe ich nur Briefe hinübergebracht, später dann kofferweise illegales Material nach Deutschland. Aber auch Material aus Deutschland in die Schweiz, für die Zweite (sozialistische) Internationale nach Paris, für Friedrich Adler… habe ich Nachrichten übermittelt„, so Ernst Bärtschi. Friedrich Adler war Sekretär der sozial­demokratisch orientierten Sozialistischen Arbeiter­internationale in Paris, die sich von der kommunis­tischen Dritten Internationale scharf abgrenzte.

Für den Kampf der SPD gegen Hitler war wichtig, dass die Schriften des Exilvorstandes der SPD in Prag (Sopade) an die illegal tätigen Arbeiter und Gewerk­schafter im Südwesten Deutschlands verteilt wurden. Obwohl Bärtschi nicht Mitglied der Sozialdemo­kratischen Partei der Schweiz war, war er doch eine der verlässlichsten Stützen der deutschen Sozialdemo­kratie im Grenzgebiet. So schmuggelte er nicht nur die „Sozialistische Aktion“ nach Konstanz, mehrmals hat Bärtschi auch Pakete aus Prag an seine Heimatadresse in Kreuzlingen erhalten, die den vom Exilvorstand der SPD herausgegebenen „Neuen Vorwärts“ enthielten. Den „Neuen Vorwärts“ brachte er nach Konstanz zu Karl Durst, der sie dann an Kuriere weitergab oder selbst zur Post brachte.

Ernst Bärtschi war ein integrer, mutiger und besonnener Mann. Er verhalf zahlreichen Menschen zur Flucht in die Schweiz, teils mit seinem Klepper-Faltboot über den Bodensee, teils mit Tages-Passierscheinen über die Grenze. Im Mai 1936 z.B. brachte Ernst Bärtschi den Offenbacher Sozialdemokraten Paul Nusch in seinem Faltboot über den See in die Schweiz.

Pauline Gutjahr hatte Paul Nusch am Vorabend des illegalen Grenzübertritts in ihrer Wohnung in der Brauneggerstraße 42 beherbergt.
 
Durch seine häufigen Besuche in Konstanz war Bärtschi den Grenzposten gut bekannt, so dass er so gut wie nie kontrolliert wurde. Bei seinen Bootsfahrten über den See hatte Ernst Bärtschi meist (Schweizer)-Schokolade und Zigaretten bei sich, die er den Zöllnern zuwarf, wenn sie ihn kontrollieren wollten. Das brachte ihm den Spitznamen „Schoggi-Bärtschi“ ein.
 
In Ernst Bärtschis Haus in der Schäflerstr. 11, CH-Kreuzlingen, das er zusammen mit seiner Mutter bewohnte, fanden nach Aussagen von Nachbarn häufig 2 bis 4 Emigranten Unterschlupf.
 
Wenige Tage vor dem 8. Mai, einem Sonntag, erhielt Ernst Bärtschi einen Anruf von Hans Lutz, einem von den Nazis verfolgten Gewerkschaftsfunktionär und ehemaligen Betriebsrat bei den Offenbacher Elektrizi­täts­werken, er möge ihn über die Grenze in die Schweiz bringen. Ernst Bärtschi und Andreas Fleig machten sich auf den Weg nach Konstanz zum Bahnhof, um Hans Lutz abzuholen. Was Bärtschi und seine Kameraden nicht wussten: Hans Lutz hatte unter der Folter alle Namen der „Funkentruppe“ im Konstan­zer/Kreuzlinger Grenzbereich an die Gestapo verraten. Prompt wurden alle drei von der Gestapo verhaftet. Noch am selben Tag wurden auch die übrigen Mitglieder der „Funkentruppe“, Josef Anselm, Paulina Gutjahr und Bruno W. Schlegel in Konstanz verhaftet. Gefesselt und streng bewacht wurde Bärtschi über Frankfut/Main ins Gefängnis Berlin-Moabit überstellt.

Am 12. Oktober 1938 wurde er vom Volks­gerichtshof in Berlin zu 13 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt. Die Anklage warf Ernst Bärtschi vor, versucht zu haben, „die Verfassung des Reichs mit Gewalt zu ändern“. Bitter merkte Ernst Bärtschi nach dem Krieg an, dass er von Seiten der Schweizer Regierung keinen Rechts­beistand erhalten hatte.
 
Von diesen 13 Jahren saß Ernst Bärtschi nach eigener Aussage sechs Jahre in Einzelhaft. Seine Strafe verbüßte er größten­teils im Zucht­haus Ludwigs­burg. Von Septem­ber 1941 bis Anfang Mai 1942 wurde Ernst Bärtschi nach Garsten bei Steyr, ca. 30 km südöstlich von Linz, in Oberösterreich, verlegt. Im Gefängnis von Garsten waren hauptsächlich politische Gefangene, vor allem Kommunisten, inhaftiert. Wahrscheinlich wurden auch hier kriegswichtige Güter für die Hermann-Göring-Werke, heute VOEST-Werke Linz, produziert, für die man Facharbeiter benötigte.
 
In Ludwigsburg musste er nach eigener Aussage kriegs­wichtige Motoren und Apparate der Firma Bosch zusammenbauen. Bis Kriegsausbruch wurden die Gefangenen im Zuchthaus Ludwigsburg ordentlich verpflegt, während des Krieges wurden ihre Rationen aber auf Hungerniveau reduziert. Zeitweise wog Bärtschi nur noch 48 kg. Als Schweizer war er zusätzlichen Schikanen ausgesetzt. Wenn er ins Schweizerdeutsch verfiel, wurde er von den Aufsehern mit dem Schlüsselbund geschlagen. In den letzten Kriegstagen wurde Ernst Bärtschi nach Ulm verlegt. Auf dem Transport ins KZ Dachau wurde er im Mai 1945 in Aichach (bei Augsburg) von den Amerikanern befreit.
 
Nach seiner Befreiung wurde Ernst Bärtschi nach Straßburg im Elsass gebracht. Jetzt konnte er sich frei bewegen. Er ging nach Paris, erhielt hier den Repatriierungsschein und reiste nach Les Verrières im Kanton Neuenburg. Danach kam er zur Erholung in ein Lager in der Innerschweiz; anschließend ließ er sich kurzzeitig in Wallisellen nieder und kehrte dann nach Kreuzlingen zurück wo er wieder Arbeit in der Aluminiumfabrik fand.
 
Ernst Bärtschi hatte während der Haft schwere gesundheitliche Schäden erlitten, er kam abgemagert und als gebrochener Mann zurück. Grundsätzlich sprach er nur selten von seiner Haft.
 
1950 wurde das NS-Urteil gegen ihn vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten aufgehoben. Vom deutschen Staat erhielt Ernst Bärtschi eine finanzielle Entschädigung für die geleistete Zwangsarbeit während seiner Haft. Im Septem­ber 1957 stellte Ernst Bärtschi auch in der Schweiz einen Antrag auf finanzielle Unterstützung. Die dafür im selben Monat geschaffene „Kommission für Vorauszahlungen an schweizerische Opfer der national­sozialistischen Verfol­gung“ in Bern wandte sich daraufhin an die Bundesanwalt­schaft in Bern mit der Bitte „zu berichten, was über die Einstellung des Genannten (Bärtschi) zur Schweiz bekannt ist“. Offensichtlich zweifelte die Kommission, an Ernst Bärtschis Loyalität gegenüber der Schweiz, weil er sich für deutsche Sozialdemokraten eingesetzt hatte und deswegen von den Nazis eingesperrt worden war. Fakt ist, dass Ernst Bärtschi keine finanzielle Unterstützung seitens der Behörde erhalten hat.
 
Von deutscher Seite erhielt Ernst Bärtschi 1950 eine bescheidene Entschädigung für die erlittene Haft. Der Deutsche Gewerkschaftsbund setzte für Ernst Bärtschi eine kleine Rente aus. 1981 besuchten ihn der Konstanzer Bürgermeister Willy Weilhard und SPD-Stadtrat Erwin Reisacher in Kreuzlingen, um ihm im Namen der Stadt Konstanz für seinen Einsatz und Mut in den Jahren 1933 bis 1938 zu danken. Die Konstanzer SPD organisierte eine Geldsammlung für ihn.
 
1986 beschloss der Konstanzer Stadtrat, im Stadtteil Petershausen eine Straße nach ihm zu benennen: Ernst-Bärtschi-Weg
 
Am 07. Dezember 1983 ist Ernst Bärtschi in Scherzingen/Schweiz verstorben.
 

Über die Verlegung des Stolpersteins für Ernst Bärtschi, am 08. September 2013, im Beisein von Angehörigen, berichteten u.a. die NZZ und das Schweizer Fernsehen.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Familie Alde

Quellen & Literatur:

Anklageschrift gegen Ernst Bärtschi, Andreas Fleig und Karl Durst vor dem Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof Berlin vom 27.8.1938.
Urteil des Volksgerichtshofs Berlin gegen Ernst Bärtschi, Andreas Fleig und Karl Durst vom 12.10.1938.
Beide Dokumente als Mikrofiche in: Widerstand als "Hochverrat" 1933 - 1945: [die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht] [Mikromaterial], Hrsg. Von Jürgen Zarusky. München: Saur, 1995 und 1998.
Mathias Knauer, Jürg Frischknecht, Die unterbrochene Spur: antifaschistische Emigration in der Schweiz von 1933 bis 1945. Zürich: Limmat Verl., 1983.
Hermann Wichers, Im Kampf gegen Hitler. Deutsche Sozialisten im Schweizer Exil 1933-1940. Zürich: Chromos Verlag, 1994.
Bundesarchiv Bern, verschiedene Dossiers über Ernst Bärtschi.

Ernst Bärtschi, Seemoz Archiv, Abruf 3.1.2024.
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