Pauline
GUTJAHR, geb. MAUS

1878 - 1957 I
Brauneggerstraße 42
Stolperstein verlegt am 04.10.2007
Pauline GUTJAHR, geb. MAUS Brauneggerstraße 42

Pauline Gutjahr nutzte ihre guten Kontakte in die Schweiz, um Bedrohte und Verfolgte über die Grenze in die Schweiz zu bringen

Pauline, nach der Geburtsurkunde Paulina, Gutjahr, wurde am 2. Dezember 1878 in Kreuzlingen/Schweiz, nahe an der deutsch-schweizerischen Grenze, geboren. Ihr Vater hiess Simon Maus und war Schreiner, ihre Mutter hiess Karolina, geb. Scheuch. Obwohl in der Schweiz geboren, waren Pauline und ihre Eltern deutsche Staatsbürger.

Mit 14 Jahren machte Paulina Gutjahr eine Lehre als Weißnäherin bei der Firma Arnold in der Rosgarten­strasse in Konstanz. 1910 trat sie in die SPD ein.

Mit 19 Jahren heiratete sie den Zuschneider Jakob Gutjahr. Beide waren vor dem Ersten Weltkrieg sehr aktiv in der Konstanzer SPD. 1916 starb ihr Mann Jakob Gutjahr und Pauline musste als Aushilfe in einem städtischen Lebensmittel­geschäft in der Hussen­strasse arbeiten, um den Lebensunterhalt für sich und ihre beiden Töchter Martha (3. November 1898 – 26. Januar 1980) und Frieda (März 1904 – 25. November1996) zu verdienen. Trotz dieser Belastung war Pauline weiterhin im Vorstand der örtlichen SPD als Kassiererin und in der Pressekommission aktiv. Ausserdem war sie Mitglied der „Freien Turnerschaft“ und der Arbeiterwohlfahrt.

Im März 1921 wurde sie von der Konstanzer SPD als eine von zwei Frauen von insgesamt 14 Kandidaten im Wahlkreis 1 für die Landtagswahlen in Baden im Oktober 1921 nominiert. Während des Landtags­wahl­kampfes ist Pauline Gutjahr nicht als Rednerin auf­getreten. Entweder war sie keine gute Rednerin oder aber sie hatte als Witwe und berufstätige allein erziehende Mutter zweier halbwüchsiger Mädchen nicht die Zeit dafür. Jedenfalls schaffte Pauline Gutjahr nicht den Sprung in den badischen Landtag. Als einziger Sozialdemokrat aus Konstanz wurde Karl Großhans gewählt.

Trotz ihrer familiären Belastung als alleinerziehende Mutter übernahm Pauline Gutjahr in den Jahren 1928 und 1929 den Vorsitz der Frauenabteilung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Konstanz. Ursprünglich eine Untergliederung der SPD, war die AWO seit 1925 ein eigener Verein, der sich um die Not sozial bedürftiger Menschen kümmerte.

1933 übernahm Pauline Gutjahr den Vorsitz für die weiblichen Mitglieder der SPD in Konstanz.

Während der Nazi-Diktatur nutzte Pauline Gutjahr ihre guten Kontakte in die Schweiz, um Bedrohte und Verfolgte über die Grenze in die Schweiz zu bringen. Gleichzeitig schmuggelte sie auch sozial­demo­kratisches Propagandamaterial, das in der Schweiz gedruckt wurde, nach Konstanz und leitete es weiter zur Verteilung im Reich. Die Schriften hiessen u. a. „Der Funke“ oder „Informa­tionen der Freigewerk­schafter Süddeutsch­lands“ und waren für Funktionäre bestimmt. Deshalb wurden die Genossen, die den Schmuggel und die Verteilung der sozialdemo­kratischen Broschüren organisierten, auch die „Funken­truppe“ genannt.

Pauline Gutjahr scheint überhaupt eine zentrale Rolle beim illegalen Broschürenschmuggel gespielt zu haben. Ihr Name wurde in zwei Prozessen genannt, die am 22. und 27. August 1938 beim Volksgerichtshof in Berlin stattfanden.
 
Im Prozess vom 22. August 1938 gegen drei Frankfurter Widerstandskämpfer hieß es in der Beweisaufnahme, dass Pauline Gutjahr Kuriere bezahlt habe, die illegale Broschüren im Auftrag des ehemaligen Sekretärs des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB), Anton Döring, aus der Schweiz nach Deutschland geschmuggelt hätten. Dieser Broschürenschmuggel wurde ihr schließlich zum Verhängnis.
 
Am 17. Mai 1938 wurde sie von der Gestapo in ihrer Wohnung in der Schlageterstraße (jetzt Braunegger­straße) 42 verhaftet; bei der Hausdurch­suchung wurde eine größere Anzahl verbotener Broschüren gefunden.
 
Im Prozess vom 27. August 1938 gegen den Schweizer Staatsbürger Ernst Bärtschi (der zu 13 Jahren Zuchthaus, davon 6 Jahre Einzelhaft, verurteilt wurde) und die beiden Deutschen Andreas Fleig aus Kreuzlingen und Karl Durst aus Konstanz wurde der Name Pauline Gutjahr als Anlaufstelle für den illegalen Broschürenschmuggel genannt.
 
Wegen Verbrechens der Vorbereitung eines hoch­verräterischen Unternehmens„, so heißt es in der Urteilsbegründung, wurde Pauline Gutjahr zu 4 Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehren­rechte verurteilt. Die beiden Mitangeklagten, Bruno Wilhelm Schlegel und Josef Anselm, bekamen 3 Jahre und 3 Monate bzw. 3 Jahre Zuchthaus. Die Verurteilten hatten auch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Pauline Gutjahr wurde ins Zuchthaus Ludwigs­burg eingeliefert.
 
Karl Großhans – badischer Landtagsabgeord­neter der SPD und von den Nazis wegen politischen Widerstands 1934 verurteilt und nach Aufenthalten in verschie­denen Konzentrationslagern 1946 an den Folgen der Haft gestorben – beschrieb sie als eine kluge, standhafte und mutige Frau, der der Gedanke an Verrat an eigenen Genossen fremd war.
 
Nach ihrer Haftverbüßung kam Pauline Gutjahr nicht frei, sondern wurde am Gefängnistor erneut verhaftet und am 28. Juli 1942 mit einem Sammel­transport in das KZ Ravensbrück (nahe Fürstenberg an der Havel) eingeliefert;  
Kurz vor der Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen zwangen die Wachmannschaften der SS die Häftlinge, das Lager zu verlassen. Die kranken Häft­linge blieben im Lager, darunter auch Pauline Gutjahr. Dieser Umstand rettete ihr wohl das Leben, denn auf den „Todesmärschen“ kam ein großer Teil der Häftlinge ums Leben. Als die sowjetischen Truppen am 30. April 1945 das Lager Ravensbrück befreiten, war Pauline Gutjahr unter den Geretteten.
 
Am 12. Oktober trat sie die Heimreise an, am 23. Oktober 1945 kam sie in Konstanz an, gesundheit­lich schwer geschädigt von der Haft. Sie hatte Rheuma, Gallenleiden, hatte eine Nervenentzündung am linken Arm und litt unter Erschöpfungsdepressionen.
 
Pauline Gutjahr war 6 Jahre, 11 Monate und 21 Tage eingesperrt. Für diese Zeit erhielt sie eine Haftentschädigung von 12.550.- DM.
 
Nach dem Krieg wohnte Pauline Gutjahr bis zu ihrem Tod wieder in der Brauneggerstraße 42.
 
Am 10. Mai 1946 fand die Neugründung der Sozial­demokratie in Konstanz unter dem Namen „Sozialistische Partei“ statt; neben Karl Großhans und dem 1933 von den Nazis entlassenen SPD-Bürgermeister Fritz Arnold war auch Pauline Gutjahr unter den Gründungsmitgliedern; sie übernahm jedoch kein Parteiamt mehr. Auch kandidierte sie nicht bei den Wahlen zum Gemeinderat im September 1946 und im November 1948.
 
Pauline Gutjahr starb am 4. März 1957 in Konstanz. Sie ist zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern auf dem Konstanzer Hauptfriedhof im Grabfeld 4 begraben.
 
Ihre Todesanzeige erschien im „Südkurier“ vom 6. März 1957. Anlässlich der Bebauung des Areals hinter dem Benediktiner-Platz in Petershausen wurde im August 1986 ein Weg in „Pauline Gutjahr-Weg“ benannt.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Brigitte Leipold, Jürgen Leipold

Quellen & Literatur:

Lachenmaier, Rolf: Politischer Neubeginn und Kommunalwahlen in Konstanz zwischen 1945 und 1953. Magisterarbeit an der Universität Konstanz, Philosophische Fakultät, FG Geschichte. Konstanz, im Mai 1992. (Signatur Universitätsbibliothek Konstanz: E 92/270).
Mathias Knauer und Jürg Frischknecht, Die unterbrochene Spur. Antifaschistische Emigration in der Schweiz von 1933 bis 1945. Zürich: Limmat Verl., 1983.
Widerstand und Verfolgung in Singen. Berichte, Lebensbilder und Dokumente. Stuttgart, VVN (o. J.), 271 S.
H. Zarusky und H. Mehringer, Widerstand als Hochverrat 1933-1945. Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht. München 1998 (gedruckter Registerband und Mikro-Fiches).

Akten zu Pauline Gutjahr:
Die Prozessakten des Oberlandesgerichts Stuttgart gegen Pauline Gutjahr wurden bei einem Bombenangriff am 12. September 1944 vernichtet. Im Staatsarchiv Ludwigsburg befinden sich so genannte "Ersatzakten", die nach dem Krieg angelegt wurden. Die Ersatzakte Pauline Gutjahr hat das Aktenzeichen E 311 Bü 822, ist aber wenig ergiebig. Der Urteilsspruch findet sich in der Gefangenenpersonalakte Bruno Schlegel (nur Urteilsformel ohne Begründung) unter der Signatur E 356 d V Bü 2463-2464.
Antrag auf Haftentschädigung im Staatsarchiv Freiburg unter der Aktennummer F 196/1, Nr. 428. Hier auch die Prozessakten gegen Paulina Gutjahr und die Mitangeklagten Josef Anselm und Bruno Wilhelm Schlegel.
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