Clothilde
NEUMANN, geb. BILLIGHEIMER

1881 - 1942 I
Hussenstraße 31
Stolperstein verlegt am 12.07.2011

Moritz und Clothilde Neumann: Chancen- und glücklos in die Gaskammern von Auschwitz

Schicksal

Von allen Konstanzer Juden gehörte das Ehepaar Moritz und Clothilde Neumann sicherlich zu jenen, die der „Undank“ des Vaterlandes am stärksten traf. Nachdem Moritz Neumann mit anderen jüdischen Kameraden aus Konstanz während des ganzen Ersten Weltkriegs Frontdienst geleistet hatte, nahm er nach Rückkehr aus dem Krieg seinen bereits im Jahre 1914 begonnenen Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr Konstanz wieder auf.

Den Einsatz zum Schutz und für die Sicherheit der Bürger und der Gebäude seiner Heimatgemeinde Konstanz übte er bis Herbst 1935 aus – bis zu seinem erzwungenen Ausscheiden aus der Veteranenabteilung der Konstanzer Feuerwehr.

Gemäß Anordnung des Innenministers mussten alle „nichtarischen“ Feuerwehrmänner binnen kürzester Zeit nach Verkündigung der Anordnung „freiwillig“ ihren Austritt erklären. Für Moritz Neumann endete damit eine über 20-jährige Mitgliedschaft in der Feuerwehr, für die er aktiv als so genannter „Wassermann“ tätig gewesen war und wofür er noch im Jahre 1929 für 15 Jahre „treue Dienste“ mit einer Gedenkmünze geehrt worden war.

Die nächste Stufe auf der Skala der eskalierenden Diskriminierungen der jüdischen Bürger mussten die Neumanns mit dem erzwungenen Verkauf ihres Geschäfts für Feuerlöschgeräte betreten. Im Zuge der „Arisierung“ von jüdischen Geschäften ging Ende der 30er Jahre die von Moritz Neumann geführte Firma Friedrich Blersch Nachf., mit Sitz in der Unteren Laube 6, auf den Konstanzer Kaufmann E. über.

Zum 01. November 1939 wurde an den Neumanns der nächste Akt in der Reihe der Entrechtungen vollzogen: Die Gottmadinger Brauerei A.Bilger Söhne A.G., Eigentümer des Wohnhauses in der Konstanzer Hussenstrasse 31, kündigte auf Veranlassung der Konstanzer Stadtverwaltung den Mietvertrag mit dem Ehepaar Neumann. Damit wurden die Bestimmungen des am 30. April 1939 erlassenen Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden, mit dem der Mieterschutz für Juden aufgehoben war, zeitnah exekutiert. Die Neumanns zogen aus einer 4-Zimmer-Wohnung in eine 3-Zimmer-Wohnung in die Schützenstrasse 16 (damals in Franz-Seldte-Straße umbenannt).

Knapp ein Jahr später gehörten Moritz und Clothilde Neumann zu den 108 Konstanzer Juden, die am 22. Oktober 1940 im Zuge der so genannten Wagner/Bürckel-Aktion in das am Fuße der Pyrenäen gele­gene französische Internierungslager Gurs abge­schoben wurden. Dort wurden sie dann getrennt untergebracht, Moritz im Männerlager, Ilôt E, Baracke 16. Clothilde kam in das Frauenlager, Ilôt K, Baracke 12. Einziger Trost: die Konstanzer Frauen und Männer blieben jeweils zusammen.

Über das weitere Schicksal der Neumanns in Gurs gibt es keine gesicherten Nachweise. Wir wissen nicht, ob und mit wem sie aus dem Lager heraus Nachrichten ausgetauscht haben. Das kinderlos gebliebene Ehepaar hinterlässt keine Nachkommen, die befragt werden können. Auch sonstige Verwandte, Bekannte und Freunde konnten bisher nicht ermittelt werden.

[Nachtrag Juli 2013: neuere Nachforschungen führten zu Clothildes Schwester, Gisela Guggenheim]

Lediglich ein paar dürftige Eintragungen in die Lagerkartei lassen einige Vermutungen zu: Ende März 1941 wurden beide Neumanns im Lager wieder erfasst bzw. registriert – wahrscheinlich im Zuge einer breiten gesundheitlichen Untersuchungsaktion, die nach dem harten Winter, der zu einer großen Zahl von Todesfällen geführt hatte, angeordnet wurde. Möglicherweise kamen beide vorübergehend in eine Krankenstation innerhalb oder außerhalb des Lagers.

Im Februar 1942 wurden beide dann in andere Unterkünfte innerhalb des Lagers Gurs verlegt: Moritz kam am 4. Februar in das Ilôt D, Baracke 8, Clothilde bezog Quartier im Ilôt I, Baracke 22.

Diese Entwicklung lässt den Schluss zu, dass beide – im Gegensatz zu anderen Konstanzer Gefährten – keine Unterstützer im Ausland hatten, die ihnen soweit helfen konnten, dass sich ihnen größere Über-lebenschancen eröffneten. Solche Hilfen bestanden konkret darin, dass zum einen Angehörige und/oder Freunde in Übersee Bürgschaften (Affidavits) für die Einreise in diese Länder zur Verfügung stellten. Daraufhin konnten dann die Ausreisewilligen in das Transitlager Les Milles in die Nähe des Ausreise­hafens Marseille wechseln. Hier lebten sie dann unter etwas günstigeren Bedingungen. Zum anderen gelang es manchen Internierten (aus Konstanz z.B. dem Ehepaar Goldmann und Frau Lina Hammel), mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland aus dem Lager Gurs „beurlaubt“ zu werden und unter wesentlich angenehmeren Bedingungen in einem Altenheim unterzukommen. Wie sich zeigen sollte, erwies sich solch eine Verlegung später als günstig im Hinblick auf die Erfassung zur Deportation in die Vernichtungslager. Das Fehlen eines derartigen Rückhalts verringerte somit die Überlebenschancen der Neumanns erheblich.

Damit aber nicht genug: Zu allem Unglück gehörten die Neumanns zu den ersten, die dann im Sommer 1942, als auch aus der Freien Zone Frankreichs die Juden in die Vernichtungslager in Polen deportiert wurden, im Lager Gurs erfasst wurden. Am 8.August 1942 fuhren sie mit einem der ersten von Gurs abgehenden Transporte in das Zwischenlager Drancy , um wenige Tage später, genau am 12. August, mit dem Transport Nr. 18 nach Auschwitz deportiert zu werden.

Ein Brief Ihrer Schwester, Gisela Guggenheim, geb. Billigheimer, vom 30. Juni 1942, ist noch erhalten (siehe Abbildung 4). Er kam als unzustellbar an die Absenderin zurück.

Die besondere Tragik bestand nun darin, dass beide Neumanns, die bereits 66 bzw. 61 Jahre alt waren, gemäß einer Anordnung der zentralen Polizeidirektion in Vichy vom 4. August 1942 gar nicht hätten erfasst werden dürfen. Denn „Greise über 60 Jahre“ sollten von der Abschiebung ausgenommen werden. Das Unglück aller Früherfassten war jedoch, dass diese und weitere Ausnahmeregelungen erst mit einiger Verzögerung von den einzelnen Präfekten an die Lagerleitungen weitergegeben worden waren. Für die Neumanns jedenfalls kam der „Greisenparagraph“ noch nicht zur Anwendung.

In Auschwitz kam der Transport Nr. 18 am 14. August 1942 an. Wegen ihres hohen Alters hatten Moritz und Clothilde Neumann keine Chance für den Arbeitsdienst selektiert zu werden.

Sie wurden mit großer Wahrscheinlichkeit am gleichen Tag in eine der Gaskammern geschickt. Sie wurden für tot erklärt.

Zur Schreibweise des Vornamens „Clothilde“:

Es gibt, auch in amtlichen Dokumenten, die Schreibweisen „Chlothilde„, „Clothilde„, und „Clotilde„.
Im Geburtsregister Karlsruhe (siehe Abbildung 3) wurde der Name als „Clotilde“ eingetragen.
Tatsache ist, dass alle vom Nazi-Regime als jüdisch erklärten Frauen gezwungen wurden, als zusätzlichen Vornamen „Sara“ anzunehmen (bei Männern: „Israel“).
Der Stempelvermerk darunter besagt, dass dieser Zwang am 28. Februar 1945 aufgehoben wurde, also lange nach der Ermordung von Clotilde Neumann.

Recherche: Hans-H. Seiffert
Patenschaft: Geschwister Dr. Jung

Quellen & Literatur:

n/a
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Familienmitglieder

Moritz
NEUMANN

1876 - 1942 I
Hussenstraße 31

Gisela
GUGGENHEIM, geb. BILLIGHEIMER

1883 - 1950 I
Obere Laube 54