Ludwig
WOLF

1867 - 1953 I
Rosgartenstraße 16
Stolperstein verlegt am 17.11.2022
Ludwig WOLF Rosgartenstraße 16

Ludwig Wolf wurde 1943 befreit, die genaueren Umstände sind nicht bekannt

Ludwig Wolf wurde am 8. August 1867 als ältester Sohn des aus Wangen (Höri) stammenden Handelsmanns Markus Wolf und seiner Ehefrau Regina, geb. Picard, in Stockach geboren. Ludwig hatte 11 Geschwister. Vermutlich zog die Familie im Jahr 1878/79 nach Konstanz, wo Hortensia Wolf 1879 geboren wurde. Eine Zeit lang wohnte die Familie in der Bodanstraße 21, später in der Zogelmannstraße 2.

Ludwig Wolf besuchte die Realschule und wurde ein sehr erfolgreicher Kaufmann. Er war Mitinhaber dreier Geschäfte: „Wolf & Comp.“ führte Herren- und Knabenkonfektion und fertigte Kleidung nach Maß an. Das 1895 von Ludwig Wolf und Max Spiegel gegründete Geschäft befand sich ursprünglich in der Rosgartenstr. 31, dann in der Rosgartenstr. 12.

„Spiegel & Wolf“ war auf Damen- und Mädchenkonfektion spezialisiert und zunächst in der Rosgartenstr. 8 ansässig, bevor das Geschäft in die Rosgartenstraße 16 umzog.

Außerdem gab es ein weiteres Konfektionsgeschäft „Spiegel & Wolf“ in Lindau, dessen Mitinhaber er ebenfalls war.

Am 25. Mai 1904 heiratete Ludwig Wolf in Wangen Ricka Stern. Die junge Familie wohnte zunächst in der Rosgartenstraße 8. Hier wurden 1904 die Zwillinge Walter und Kurt geboren und 1905 die Tochter Fanny. Walter starb im Alter von nur 6 Jahren, Kurt stieg später ins Geschäft ein.
 
Die Familie Wolf war eine der wohlhabendsten Familien in Konstanz, außer den Geschäften gehörten dem Ehepaar Wolf die Häuser Rosgartenstraße 11 und 12, in denen sich auch Lagerräume befanden.
 
1907 erbaute der Konstanzer Architekt Hans Dahme das repräsentative Gebäude in der Rosgartenstraße 16. Die Familie Wolf zog in die 2. Etage des neu errichteten Hauses, die Verkaufsräume von „Spiegel & Wolf“ befanden sich im Erdgeschoss und 1. Stock. Im 3. Stock wohnte Ludwigs ledige Schwester Hortensia, die als Verkäuferin im Geschäft arbeitete. (Sie starb 1939 im Krankenhaus Konstanz.) 1912 wurde Sohn Sigmund geboren.

In den 1930er Jahren wurde die Situation der Juden in Deutschland immer schwieriger. Im Juni 1938 kam es in Konstanz zu organisierten antisemitische Ausschreitungen.
 
„An den Ladeneingängen zu Geschäften jüdischer Eigentümer wurde über Nacht in großen Lettern die Parole „Jüdisches Geschäft“ auf den Gehweg gepinselt. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni starteten Unbekannte eine Aktion gegen das älteste, noch immer wegen der Beratung sehr gut frequentierte Konfektions­geschäft Spiegel & Wolf. Unförmig und dick­aufgetragen standen auf Fenstern die Schmäh­ungen „Saujud“ und „Juda verrecke“ geschmiert. Offensichtlich wurden die Täter gestört, denn eines der Fenster war nur hastig unter Zurücklassung der Farbkübel vollge­spritzt. Tags zuvor hatte bereits ein Lastwagen der SS die ausgefahrene Markise des Fach­geschäfts angefah­ren und deren Trag­winkeleisen in eine schließlich berstende Schau­fensterschreibe gedrückt. Die Reaktion der Passanten, unter ihnen viele Schweizer, fiel äußerst heftig aus, wie ein sozialdemokratisch gesinnter Beobachter notierte: „Alle Leute schimpften über die Verschmierungen und Zerstörungen. Die Vorbei­promenierenden machten ihrem Unwillen laut und ungeniert Luft.“
[Klöckler S. 310, das Zitat stammt aus dem Bericht Nr. 7 der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom Juli 1938; Kapitel „Der Terror gegen die Juden“
, in: Deutschland-Berichte, 1938, S. 750 f.]
 
Ludwig Wolf musste seine Konstanzer Geschäfte Ende 1938 aufgrund der Verordnung zum Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben schließen, sie wurden „arisiert“. Das Geschäft in Lindau hatte er bereits zum Jahresende 1937 aufgeben müssen. Im Dezember 1938 übernahm Maria Keller „Spiegel & Wolf“ mit dem gesamten Warenlager und der Geschäftseinrichtung. Die Geschäftsräume von „Wolf & Comp.“ vermietete Ludwig Wolf ab Januar 1939 an die Eheleute Erndwein, die darin ein Hut-, Mützen- und Militäreffektengeschäft sowie ein Geschäft für Kürschnerei und Pelzwaren betrieben.
 
Ludwig und Ricka Wolf trafen Vorbereitungen für eine Emigration in die USA. Sie beantragten Reisepässe und verschickten einen Großteil ihres Hausrats. Doch sie hatten zu lange gezögert.
 
Am 22. Oktober 1940 wurde das Ehepaar Wolf nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Maria Keller, die das Geschäft übernommen hatte, berichtet, dass sie nach der Deportation zusammen mit einem Polizeibeamten in die leere Wohnung ging, um die Heizung einzuschalten. Dabei entdeckten sie, dass sich auf dem Tisch noch halb volle Kaffeetassen und nicht aufgegessene Brote befanden, denn das Ehepaar Wolf hatte die Wohnung überstürzt verlassen müssen.
 
Drei Tage später traf der Transport im Lager Gurs ein. Dort waren Männer und Frauen getrennt untergebracht. Ludwig Wolf kam wie die anderen Konstanzer Männer in Ilôt (Block) E, Baraque 16. Seine Frau Ricka starb nach knapp 3 Wochen aufgrund der schlimmen hygienischen Zustände im Lager an einer Durchfallerkrankung.
 
Der 73-jährige Witwer Ludwig Wolf erhielt aus Krank­heits­gründen im März 1941 die Erlaubnis, das Lager Gurs zu verlassen und in Morlaas im Hôtel Moderne zu wohnen. Ein Arzt bescheinigte, dass er an Arteriosklerose litt und zu 80% blind war. In Morlaas musste er sich alle 3 Tage bei den Behörden melden. Die Erlaubnis wurde viele Male verlängert.
 
In dieser Zeit bemühte sich Ludwig Wolf weiter, in die USA zu emigrieren. In einem handschriftlichen Brief an den Leiter des Lagers Gurs bittet er um eine Bestätigung seines Lager­aufenthalts, die er laut dem amerikanische Konsulat in Marseille zur Ausstellung eines Visums benötigte.
 
Ludwig Wolf wurde am 21. Juni 1943 befreit, die genaueren Umstände sind nicht bekannt. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er in St. Sébastien (Creuse), einer kleinen Ortschaft im französi­schen Zentralmassif, befand sich jedoch im Krankenhaus in Guéret, wo ihm das offizielle Schreiben mit der Bestätigung seiner Freilassung am 20. Juli ausge­händigt wurde. Wann genau er schließlich zu seinen Kindern in die USA übersiedeln konnte, ist nicht bekannt.
 

Nach dem Krieg erhob Ludwig Wolf Restitutionsklage. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen war nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 „dem Reich verfallen“, d.h. vom Deutschen Reich beschlagnahmt worden. Der Generalbevollmächtigte über das jüdische Vermögen in Baden hatte das Anwesen Rosgartenstraße 12 am 31. Januar 1942 an die ehemaligen Mieter, die Eheleute Erndwein, weiter­verkauft. Es folgte ein jahrelanges Verfahren, die Akten umfassen Tausende Seiten. Das Ende der juristischen Auseinandersetzung und die Zurückgabe des Anwesens sollte der Kläger nicht mehr erleben.
 
Ludwig Wolf starb am 2. Februar 1953 im Alter von 85 Jahren in Waterloo/Iowa, USA.

Recherche: Birgit Lockheimer
Patenschaft: Birgit Lockheimer

Quellen & Literatur:

Stadtarchiv Konstanz [STAKN]: Einwohnerkartei SXXXIII, Standesamtsregister STAKN SXXXII, Adressbücher, Manuskript Semi Moos, Konstanzer Zeitung STAKN KNZ, Bildsammlung Z1.
Stadtarchiv Stockach.
Stadtarchiv Wangen.
Staatsarchiv Freiburg [STAF]: STAF F 166/3 Nr. 3124/01 und 3124/02 und 6624; F 167/2 Nr. 36 und 232 und 654; F 196/1 Nr. 4903/1 und 4903/2.
Bundesarchiv Gedenkbuch.
Arolsen Archives.
Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques, Pau: 72 W 334, 72 W 70, Archives.le64.fr. Das Kopieren oder Herunterladen der oben abgebildeten Dokumente ist ohne ausdrückliche Genehmigung nicht gestattet.
Archives départementales de la Creuse, Guéret: 976 W 105.
Ancestry.com.
Erich Bloch: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Dokumentation, Konstanz 1971, 3. Auflage 1996.
Tobias Engelsing: Das jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung, Konstanz 2015.
Erhard Roy Wiehn (Hg.): Camp de Gurs. Zur Deportation der Juden aus Südwestdeutschland 1940, Konstanz 2010.
Claudia Scherer: Familie Stern. Elsa Sohlers Herkunft, Wangen 2021.
Jürgen Klöckler: Selbstbehauptung durch Selbstgleichschaltung. Die Konstanzer Stadtverwaltung im Nationalsozialismus, Ostfildern 2012.
Karl Schweizer und Heiner Stauder: Lindauer Gedenkweg – Verfolgung und Widerstand 1933-1945, Lindau 2010.
Postkartensammlung Karl Dietlein, Lindau.
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Familienmitglieder

Ricka
WOLF

1870 - 1940 I
Rosgartenstraße 16