Hans Jakob
VENEDEY

1902 - 1969 I
Kanzleistraße 11
Stolperstein verlegt am 10.12.2002
Hans Jakob VENEDEY Kanzleistraße 11

Venedey stammte aus einer bürgerlichen Juristenfamilie mit langer radikal-demokratischer Tradition

Hans Jakob Venedey ist am 21. November 1902 in Luzern geboren. Seine letzte Adresse 1933 in Konstanz war die Beethovenstraße 11.

Sein Vater war der hoch geachtete Konstanzer Rechtsanwalt und langjährige badische Landtagsabgeordneter Martin Venedey (1860 – 1934), sein Großvater war Jacob Venedey (1805 – 1871), der sich 1848 als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung für die bürgerlichen Grundrechte wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz einsetzte.

Nach dem Abitur an der Zeppelin-Oberrealschule in Konstanz im Jahr 1922 studierte Hans Venedey Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg im Breisgau.

Hans Venedey hatte vier Brüder: Hermann (1904-1980), Jakob (1915-1996), Gustav (1916-1981) und Michael (1920-2005). Er war verheiratet mit Leni, geb. Frei, und hatte eine Tochter (geb. 1941) und einen Sohn (geb. 1946).

Während seines Studiums in Freiburg trat er in die Burschenschaft Alemannia ein, in der auch sein Vater und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Hermann Mitglieder waren. Als im Sommersemester 1925 ein Konvent der Burschenschaft die Unvereinbarkeit von gleichzeitiger Mitgliedschaft in der Burschenschaft und im sozialdemokratisch ausgerichteten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold beschloss, legten die Brüder ihre Bänder und Mützen auf den Tisch und erklärten ihren Austritt aus der Burschenschaft. Gleichzeitig trat auch ihr Vater Martin Venedey aus der Burschenschaft Alemannia aus.

Nach dem Studium trat er als Strafverteidiger in die Anwaltspraxis seines Vaters Martin Venedey in Konstanz ein. Bei der Beerdigung seines Vaters am 22. April 1934, der von 1891 bis 1921 Abgeordneter für die liberale Demokratische Volkspartei im badischen Landtag war, konnten seine beiden Söhne Hans und Hermann nicht anwesend sein, da beide 1933 vor den Nazis geflohen waren. Die Trauerhalle konnte die Zahl der Menschen, die Martin Venedey das letzte Geleit gaben, nicht fassen. Man kann die große Anteilnahme der Bevölkerung auch als einen stillen Protest gegen das NS-Regime werten.

Venedey war Mitglied mehrerer Organisationen, die für die Weimarer Republik eintraten. 1926 trat er in die SPD ein; von 1930 bis 1933 war er Mitglied des 14-köpfigen Stadtrats. Neben seiner Arbeit in der SPD war Venedey auch Vorsitzender der Eisernen Front in Konstanz. Die Eiserne Front war ein Zusammenschluss verschiedener republiktreuer Organisationen wie SPD, Gewerkschaften und anderer Verbände. Ihr Symbol waren drei Pfeile in einem Kreis, die für den Kampf gegen die Feinde der Demokratie standen: Monarchisten, Kommunisten und Nationalsozialisten standen. Auch im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war er Mitglied, einem 1924 in Magdeburg zur Verteidigung der Weimarer Republik gegründeten Bündnis verschiedener demokratischer Organisationen wie SPD, Gewerkschaften und des katholischen Zentrums. Außerdem war er Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft in Konstanz, die sich besonders für die Aussöhnung mit dem „Erzfeind“ Frankreich einsetzte. Auf dem XI. Internationalen Demokratischen Friedenskongress, der Anfang August 1931 in Konstanz stattfand, sprach er das Grußwort. Unter den Delegierten war auch der Friedensnobelpreisträger von 1927, Ludwig Quidde.

Ende November 1931 richtete sich der Focus der Konstanzer Öffentlichkeit auf die Anwaltskanzlei Hans und Martin Venedey sowie auf Eduard Frank, einen jüdischen Rechtsanwalt und SPD-Mitglied. Die drei Anwälte hatten die Verteidigung von vier italienischen Antifaschisten übernommen, die Anfang November auf dem Konstanzer Flugplatz verhaftet worden waren. Die Männer gehörten der liberal-demokratischen Emigrantenorganisation „Giustizia e Libertà“ an, die ihren Sitz in Paris hatte. Zu ihnen gehörten Carlo Roselli, Alberto Tarchiani, Tiberio Ferraro und Giovanni Bassanesi. Ursprünglich hatten sie geplant, während des Staatsbesuches von Mussolini in Berlin im Herbst 1931 vom Flugzeug aus antifaschistische Flugblätter über der Hauptstadt abzuwerfen. Nachdem der Besuch Mussolinis abgesagt worden war, änderten die Männer ihren Plan und flogen von Berlin nach Konstanz. Von hier wollten sie zu einem Flug über Mailand und Turin starten und über den beiden Städten Flugblätter abwerfen, die zum Sturz des italienischen Diktator aufforderten. Wegen schlechter Wetterverhältnisse in Konstanz konnten sie nicht starten und wurden auf dem Flugplatz verhaftet. Das Konstanzer Landgericht verurteilte die Italiener zu milden Strafen wegen Passvergehens und unerlaubten Waffenbesitzes. Der ehemalige italienische Minister­präsident Francesco Nitti, der 1924 in die Schweiz emigriert war, dankte den Konstanzer Anwälten für die Verteidigung seiner Landsleute.

Anfang der 30er Jahre wurde die NSDAP stärkste Partei in Konstanz. Bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 feierte die NSDAP mit 43,9 % einen großen Erfolg. Zusammen mit dem Wahlbündnis kleinerer rechter Parteien (Kampfverband Schwarz-Weiß-Rot) reichte es für die NSDAP zur absoluten Mehrheit im Reich. In Konstanz erhielt die Partei zwar „nur“ 34,2 %, also fast 10 % weniger als im Reichs­durch­schnitt, wurde aber dennoch stärkste Partei. Obwohl nur etwas mehr als ein Drittel der Konstanzer Bevölkerung die Nazis gewählt hatten, hatte die Partei ihre Positionen in allen öffentlichen Einrichtungen seit Januar 1933, als Hitler Reichs­kanzler geworden war, systematisch ausgebaut, so dass sie jetzt praktisch das politische Geschehen in der Stadt bestimmte.

Am 6. März 1933, einen Tag nach den Reichs­tagswahlen, hissten einige Nationalsozialis­ten die Hakenkreuzfahne auf dem Dach des Konstanzer Rathauses. Dagegen protestierte Venedey in scharfer Form in einem Schreiben an den parteilosen Oberbürgermeister Otto Moericke: „Bei der roten Fahne mit dem schwarzen Hakenkreuz im weißen Feld… handelt es sich um eine Parteifahne, die keineswegs eine verfassungsmäßige Fahne, sondern ein ausge­sprochenes Kampfsymbol einer Partei ist. Dieses Kampfsymbol richtet sich in schärfster Form gegen alle Staatsbürger, die der NSDAP nicht angehören, insbesondere aber gegen alle Republi­kaner, die in der Stadt Konstanz immerhin noch die Mehrheit bilden. In der Hissung der national­sozialistischen Fahne liegt eine Herausforderung aller freiheitlich gesinnten Staatsbürger und eine Kränkung unserer jüdischen Mitbürger, da die Fahne das Zeichen des Antisemi-tismus, das Hakenkreuz, enthält.“ Erst am Abend desselben Tages wurde die Fahne auf Grund einer Verfügung des badischen Staatsministers des Innern wieder vom Dach geholt. In der Sitzung des Stadtrates vom 9. März 1933 rechtfertigte sich OB Moericke damit, dass Widerstand gegen die Hissung der Hakenkreuzfahne zwecklos gewesen wäre.

 

Nach einer vorläufigen Regelung des Reichs­präsidenten Hindenburg vom 12. März 1933 waren die schwarz-weiß-rote und die Hakenkreuzfahne gemeinsam zu hissen. Durch die Verkündigung des Reichsflaggen­gesetzes vom 11. April 1935 wurde die Flaggenfrage endgültig entschieden: Schwarz-Weiß-Rot, die Farben des Kaiserreichs, waren hinfort die Reichsfarben, und die Hakenkreuzfahne die National- und Handelsflagge. Damit waren die Farben von Weimar, Schwarz-Rot-Gold, aus der Öffentlichkeit verbannt.

 

Venedeys linke Gesinnung und sein Protest gegen die Hissung der Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus hatte zur Folge, dass er am 14. März 1933 von der Gestapo auf offener Straße verhaftet und im Konstanzer Gefängnis eingesperrt wurde. Nach Intervention seines Vaters Martin Venedey, der Abgeordneter zum badischen Landtag gewesen war, wurde er am 20. April 1933 anlässlich Hitlers Geburtstag entlassen, stand danach aber unter Polizeiaufsicht. Auch im fernen Berlin war die Gestapo mittlerweile auf Hans Venedey aufmerksam geworden. Sein Name steht auf einer reichsweiten Liste von Rechtsanwälten, die KPD-Mitglieder sind oder für die KPD bzw. Rote Hilfe arbeiteten.

 

Am 21. März 1933 wurde Venedey aus der Liste der beim Landgericht Konstanz zugelassenen Rechtsanwälte gelöscht.

 

Im Juli 1933 erfuhr er von seiner unmittelbar bevor­stehenden erneuten Festnahme und flüchtete über Basel nach Paris, wo er sich bis 1934 aufhielt.

 

Nächste Station seines Exils war dann Zürich, wo er bis 1936 mit seiner späteren Frau wohnte. Da seine Aufenthalts­erlaubnis nicht verlängert wurde, übersiedelte Venedey 1936 wieder nach Paris. Hier arbeitete er bis 1939 als Dolmetscher bei einer Regierungs­kommission für deutsche Flüchtlinge beim französischen Innenministerium. Außerdem war er für die jüdische Auswanderungs­organisation HICEM („Hebrew Immigrant Colonization Emigration“) tätig, die sich um Schiffspassagen für Flüchtlinge nach Südamerika und Palästina bemühte, und war Mitglied in einer sozialisti­schen Emigranten­organisation namens „Concentration“, dessen Vorsitzender der österreichische Sozialist Julius Deutsch war. Deutsch hatte als General der republika­nischen Truppen im spanischen Bürgerkrieg gekämpft.

 

1938 stellte Venedey bei der deutschen Botschaft in Paris einen Antrag auf Entlassung aus der deutschen Staats­bürgerschaft; damit wurde er staatenlos. Ostern hatte seine spätere Frau Leni eine Fehlgeburt. Im Juni 1939 heiratete er seine langjährige Freundin Leni, geb. Frei, die ihre schweizerische Staatsbürgerschaft behal­ten konnte, weil sie mit einem Staatenlosen und nicht mit einem Deutschen verheiratet war.

Mit Kriegsbeginn im Mai 1940 wurden alle Deutschen in Frankreich verhaftet. Venedey wurde zunächst mit Tausenden anderen deutscher Emigranten im Stadion von Colombes 10 km nordwestlich von Paris interniert. Danach wurde er im Lager Villerbon bei Blois in der Dordogne im unbesetzten südlichen Teil Frank­reichs (Vichy-Regierung) interniert. Dieses wie auch andere Lager im unbesetzten Teil Frankreichs war keine Vernichtungslager, wenngleich die Todesrate auf Grund der schlechten Verpflegung hoch war. In Villerbon z.B. tolerierte das französische Wachpersonal sonntags Familienbesuche. So erhielt auch Venedey Besuche von seiner Frau.

 

Im Oktober 1942 konnte er mit Hilfe eines bezahlten Fluchthelfers über Lyon in die Schweiz fliehen, wo er zunächst in Genf interniert wurde. Später kam er in das Lager Zürich-Seebach, wo er für ein geringes Entgelt zu Archivarbeiten dienstverpflichtet war. Seine Frau wohnte derweil in Zürich.

 

In Zürich schloss er sich der 1943 gegründeten Wider­standsgruppe „Bewegung Freies Deutschland“ an, in der Antifaschisten, Sozialdemokraten und Kommunisten eine sozialistische Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg konzipierten. Auf der 2. Landeskonferenz der Bewegung „Freies Deutschland“ am 27. Mai 1945 im Kongresshaus Zürich setzte sich Venedey für ein Bündnis von KPD und SPD ein.

 

Nach Ende des Krieges kehrte Venedey Anfang August 1945 in seine Heimatstadt Konstanz zurück. Er begann nun, wie vor 1933, sich ein zweites Mal eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Am 20. Dezember 1945 erhielt Venedey auf Antrag die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Ende September 1946 wurde er in Konstanz wieder als Rechtsanwalt zugelassen und gründete mit Erwin Keller eine Anwaltskanzlei.

 

Anfang Oktober 1945 übersiedelte er nach Wiesbaden, weil er von Karl Geiler, dem Ministerpräsident des von der ameri­kanischen Besatzungsmacht geschaffenen Staates Groß-Hessen am 12. Oktober 1945 zum Innenminister berufen wurde. Groß-Hessen umfasste die Gebiete des Volksstaates Hessen und der preußischen Provinz Hessen-Nassau, aber ohne das links­rheinische Rheinhessen.

Als Innenminister wirkte er entscheidend bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für Hessen mit. Er war sowohl Mitglied im 12-köpfigen Verfassungsausschuss der SPD als auch im Beratenden Landesausschuss bei der Regierung. Der Landesausschuss legte am 31. März 1946 einen Verfassungs­entwurf für Groß-Hessen vor, an dem Venedey maßgeblich beteiligt war. In der Präambel der Verfassung hieß es zunächst: „Hessen ist eine sozialistische und demokratische Republik.“ Auf Druck der amerikanischen Besatzungsmacht wurde dann das Wort „sozialistisch“ durch „parlamentarisch“ ersetzt. Mit großer Mehrheit wurde die neue Verfassung am 1. Dezember 1946 in einer Volksabstimmung angenommen.

 

Während der Beratungen über die neue Verfassung hatte sich Venedey stets für sozialistische Positionen und ein Zusammengehen von SPD und KPD eingesetzt. Er war davon überzeugt, dass nur eine vereinigte Arbeiterpartei eine friedliche und sozialistische Entwicklung Deutschlands möglich mache. Mehrmals wurde er als Ehrengast zu „Einheitsparteitagen“ eingeladen. Am 10. März 1947 warb er selbst auf dem Frankfurter Römerberg vor 15.000 Zuhörern für dieses Ziel. Weitere Redner auf dieser Großkundgebung waren Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck von der SED aus der sowjetischen Besatzungszone. Im September 1947 nahm er an einer Zentralen Delegiertenkonferenz der Arbeitsgemein­schaften der SED/KPD in Berlin (Ost) teil, die den Zusammenschluss von SPD und KPD in den Westzonen vorantreiben sollte. Venedey berichtete auf dieser Konferenz über die Einheitsbestrebungen in der französischen Zone. Wegen seines Engagements wurde er in die Leitung der Arbeitsgemeinschaft gewählt, der neben 20 Vertretern der SED auch 30 Vertreter der westzonalen Einheitsbewegung angehörten.

 

Da die SPD unter ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher einen klaren Abgrenzungskurs gegenüber der KPD verfolgte, wurde er am 03. Juli 1947 aus der SPD „wegen parteischädigenden Verhaltens“ ausgeschlossen. Schumacher begründete den Parteiausschluss gegenüber dem Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungs-zone in Deutschland, General Lucius Clay, mit folgenden Worten: „Der gegenwärtige Innenminister von Groß-Hessen, Herr Venedey, ist … für die Kommunisten und ihre Einheitspartei tätig … Wir sehen einen Feind in ihm„.

 

Venedey kämpfte nun verstärkt in der französischen Zone Baden für seine politischen Ideen weiter. Seit August 1948 versuchte er unorthodoxe Kommunisten und linke Sozial­demo­kraten in einer neuen, von ihm gegründeten Partei namens „Freunde der Freiheit“ zu sammeln. Er war zuversichtlich, dass die Chancen dafür in Baden mit seinen demokratischen Traditionen besser seien als in Hessen. Er reiste von Landkreis zu Landkreis und versuchte frühere Parteifreunde für diese Idee zu gewinnen, er stieß aber lediglich in Bühl, Lahr und Rastatt auf gewisse Sympathien. Die Ost-West-Spannungen, die im „Kalten Krieg“ mündeten (Machtüber­nahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen 1948), hatten in den Westzonen die KPD und generell Positionen links von der SPD in Verruf gebracht. Sein Vorhaben scheiterte. Man hielt Venedey im Kreise der SPD zwar für einen aufrichtigen Sozialisten, bedauerte aber zugleich „die Nichtigkeit, der er sich verschrieben hat.“

Nach seinen vergeblichen Versuchen in Hessen und Baden, eine Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozial­demokraten zu schaffen, kehrte Venedey Ende 1948 wieder nach Konstanz zurück und nahm seine Anwaltstätigkeit wieder auf. Unter anderem unter­stützte er die Klage von Opfern des NS-Regimes gegen das Land Baden in Entschädigungsfragen, vertrat aber auch Hans Constantin Paulssen, Wehrwirt­schaftsführer im Dritten Reich und späterer Leiter der Aluminiumwerke Singen.

Seinen politischen Überzeugungen blieb Venedey nach 1945 treu. Da er nicht mehr SPD-Mitglied war, engagierte er sich in einigen der KPD nahe stehenden Organisationen. Im „Demokratischen Kulturbund Deutschlands“ (Vorsitzender bei seiner Gründung 1951 war der Verleger Ernst Rowohlt) war er bis zum Frühjahr 1957 einer der beiden Vorsitzenden. Auch im „Hauptaus-schuss für Volksbefragung“, der 1951 gegen die von Adenauer angestrebte Remilitarisierung der Bundesrepublik (Dienststelle Schwerin) kämpfte, war Venedey aktiv.

Venedey war wegen seiner linken Gesinnung Anfang der 50er Jahre zahlreichen Schikanen staatlicher Stellen ausgesetzt. Als er im April 1951 einen Antrag auf Haftentschädigung und Verdienstausfall infolge seiner Emigration stellte, wurde sein Antrag erst 7 (!) Jahre später, am 26. August 1958, mit der Begründung abgelehnt, „dass er die freiheitlich-demokratische Grund­ordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft und deswegen … von der Entschädigung ausgeschlossen ist„. Fast gleichzeitig wurde auf Veranlassung des Vorstandes des Konstanzer Finanzamtes, Bruno Helmle, eine steuerliche Prüfung seiner Anwaltskanzlei vorgenommen. Das Ergebnis der Prüfung war ein Bescheid auf Nachzahlung von 5.000 DM an das Finanz­amt. Offenbar wollte sich Helmle, eingedenk seiner erst 2012 aufgedeckten NS-Vergangenheit, als Verteidiger der neuen demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik profilieren. Venedey antwortete dem Finanzamt, dass eine Nachzahlung in dieser Höhe sein beruflicher Ruin wäre. Ob Venedey diese Summe bezahlt hat, lässt sich aus den Akten nicht belegen.

Gegen den Ablehnungsbescheid auf Entschädigung legte Venedey Einspruch ein und bekam vom Land­gericht Freiburg am 14. Dezember 1959 eine Entschädigung in Höhe von 15.000 DM zugesprochen.

Im April 1951 beantragte Hans Venedey beim Landrats­amt Konstanz einen Reisepass. Sein Name aber stand auf einer „Schwarzen Liste“ der westlichen Alliierten, sodass sein Antrag abgelehnt wurde. Den Pass bekam Venedey erst Mitte März 1953.

In den frühen 1950er Jahren wurde Hans Venedey wegen seiner linken Gesinnung von der „Organisation Gehlen“ ausspioniert. Die „Organisation Gehlen“, die Vorläuferorgani­sation des Bundesnachrichtendienstes, war nach ihrem Leiter Reinhard Gehlen benannt, dem ehemaliger Chef des Nazi-Geheimdienstes. Im Zentrum der Ausforschungen stand eigentlich Dr. Herbert Engelsing, der während des Krieges in Berlin im Filmgeschäft tätig war und private Kontakte zu Mitgliedern der Widerstandsgruppen „Roten Kapelle“ (Harro Schulze-Boysen) unterhielt. Nach den Vermutungen der Spitzel sollten Herbert Engelsing, Bruno Leiner, Antifaschist und Mitglied des „Widerstandsblocks“ in Konstanz, Hans Venedey, der als „Salonbolschewist“ bezeichnet wurde, und sein Bruder Hermann Venedey, Direktor des Alexander-von-Humboldt-Gymnasiums, im Bodensee­gebiet eine Neuauflage der „Roten Kapelle“ im Boden­seegebiet geplant und in Verbindung mit der Sowjetunion gestanden haben. Natürlich erwiesen sich diese Verdächtigungen als vollkommen haltlos.

1955 nahm Venedey an einer Weltfriedenskonferenz in Helsinki teil, auf der sich die sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion propagandistisch für friedliche Koexistenz, gegen das atomare Wettrüsten und für den Weltfrieden einsetzten.

1956 unterzeichnete Hans Venedey, zusammen mit seinem Bruder Hermann und anderen Persönlichkeiten der Stadt, das so genannte Konstanzer Manifest, das gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen protestierte. Anfang der 1960er nahm er mehrmals an Ostermärschen in Konstanz teil, auf denen, wie in vielen anderen Städten, „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation in Ost und West“ protestiert wurde. Doch in seinen letzten Jahren war Venedey eher ein „resignierter Beobachter der politischen Verhält­nisse„.

Hans Jakob Venedey starb hochgeachtet am 9. Januar 1969 in Konstanz. Er wurde im Familiengrab der Venedeys auf dem Konstanzer Hauptfriedhof begraben.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Walter Venedey

Quellen & Literatur:

Akten im Staatsarchiv Freiburg:
F 196/1, Nr. 1571 Wiedergutmachungsakte Hans Venedey.
D 1/1, Nr. 895 Prozessakte des Verwaltungsgerichtshofes: Hans Venedey gegen das Landratsamt Konstanz wegen Ablehnung eines Reisepasses.
F 166/8, O 665/58 Prozessakte Hans Venedey gegen das Land Ba-Wü.
D 180/2, Nr. 7213 Entnazifierungsakte.

Akten im Bundesarchiv Berlin:
Private Unterlagen aus dem Besitz von Henriette Venedey, der Tochter von Hans Venedey. Die Kopien wurden mir von Ruth Weiler aus Singen überlassen.
Fabian, Ruth / Coulmas, Corinna, Die deutsche Emigration in Frankreich. München: K.G. Saur Verlag, 1978.
Beier, Gerhard: SPD Hessen. Chronik 1945 bis 1988. Bonn: Dietz Nachf., 1989.
Engelsing, Tobias: Er glaubte an die Einheit der Linksparteien, in: Südkurier, 21.11.2002. Hier verfügbar, Abruf 3.1.2024.
Krisenjahre und Aufbruchszeit. Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949. München: Oldenbourg, 1996, S. 133, 144.
Teubner, Hans: Exilland Schweiz. Dokumentarischer Bericht über den Kampf emigrierter deutscher Kommunisten 1933-1945. Berlin 1975, S. 195, 295, 332.
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Familienmitglieder

Dr. Hermann M.
VENEDEY

1904 - 1980 I
Neuhauser Straße 1