Renée Stein wurde am 10. Januar 1923 als einzige Tochter von Oskar „Hoischie“ Stein und Seraphine „Sprinca“ Stein, geborene Turnschein (geboren 19. Juli 1889 in Drohobyc) in Wien, Löblichgasse 14 (Anschrift der Entbindungsanstalt Sanatorium Hera) geboren.
Etwa 1927 zog die Familie nach Graz, wo Renée Stein die dortige Volksschule besuchte. Ihr Vater Oskar, geb. 1886 in Österreich-Ungarn, leitete in Graz ein Sägewerk. Oskar Stein, der in seinem Beruf auch ständig reisen musste, starb an einer schweren Lungenerkrankung bereits 1935, Renée war damals 12 Jahre alt.
Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Mutter mit ihr zurück nach Wien, wo sowohl die Familie des Vaters als auch die Brüder der Mutter lebten. In Wien unterrichtete die Mutter Stenografie und Nähen sowie Hauswirtschaftsfächer, um die Familie zu ernähren.
Renée schloss sich der zionistischen Jugendorganisation HaShomer HaZair an und begann nach Abschluss der Hauptschule in Wien am 1. November 1936 eine Ausbildung an einer Gartenbauschule (Gartenbauschule Hortensia in der Döblingerstraße in Wien), die sie als Jüdin nach dem “Anschluss” ab dem 30. April 1938 nicht weiter besuchen durfte.
Ihr Wunsch, nach Palästina zu emigrieren, scheiterte an dem Veto ihres Vormunds, sie sei dafür zu jung. Um sich um die nötigen Papiere und Visa für eine Auswanderung kümmern zu können, brachte Sprinca Stein ihre Tochter Renée zunächst in einem Heim unter. Für die Mutter ergab sich eine Möglichkeit, mit der Schwester ihres verstorbenen Ehemanns nach China zu emigrieren, aber da das nötige Einreisealter damals bei 17 Jahren lag, hätte sie ihre Tochter nicht mitnehmen können.
Sprinca Stein versuchte schließlich die eigene Flucht nach England zu organisieren, wo sie eine Stellung als Dienstmädchen aufnehmen und die Tochter später nachkommen lassen wollte. Ihre Tochter Renée brachte sie für diese Zeit bei dem ihr bekannten jüdischen Ehepaar Stux in Konstanz unter.
Am 14. Mai 1938 reiste Renée allein mit dem Zug nach Konstanz und wurde von dem Ehepaar Stux, mit der sie in der geräumigen Villa in der Seestraße 29 lebte, “wie eine Tochter” aufgenommen. Der dort geplante Aufenthalt sollte für Renée eigentlich nur vorübergehend sein. Ihre Mutter Sprinca wurde jedoch bereits 1938 bei ihrem Fluchtversuch an der Grenze bei Trier festgenommen und zurück nach Wien geschickt, wo sie etwa ein Jahr in einem Gefängnis inhaftiert wurde. Aus Wien wurde sie schließlich am 26. Februar 1941 nach Opole deportiert. Erst nach dem Krieg erfuhr Renée, dass ihre Mutter 1942 im Osten ermordet wurde.
Renée berichtete aus ihrer ersten Zeit in Konstanz von unbesorgten Besuchen und auch Einkäufen in der Schweiz, wo Robert Stux zunächst noch sein Büro weiterführen konnte. Am 10. November 1938 sah sie die brennende Synagoge in Konstanz. Herr Stux wurde nach der Zerstörung der Konstanzer Synagoge nicht wie viele andere jüdischen Männer verhaftet, möglicherweise aufgrund seiner österreichischen Staatsbürgerschaft. Doch diese schützte das Ehepaar und seine Gäste nicht vor der Zwangsumsiedlung in ein sogenanntes Judenhaus: am 15. Mai 1940 wurde Renée Stein gemeinsam mit dem sie betreuenden Ehepaar Stux und Laura Ferber, der Schwester von Frau Stux, gezwungen, in die Bruderturmgasse 8 zu ziehen. Sie teilten sich dort die Wohnung mit Manja Goldlust und ihren beiden Kindern sowie Dr. F. Heinemann.
Wenige Monate später erfolgte von dieser Wohnung aus die Deportation nach Gurs. In einem Zeitzeugeninterview, das 1998 für einen französischen Radiosender aufgenommen wurde, berichtete Renée über ihre Erlebnisse am 22. Oktober 1940: „[…] wir haben die Tür geöffnet und sie kamen rein. Sie fragten mich, wer ich sei. Ich sagte, ich sei vorübergehend hier, ich käme aus Österreich, aber es seien nicht meine Eltern. Also haben sie mir sofort alle meine Papiere konfisziert und mir gesagt, dass ich jetzt staatenlos sei. Und die Familie Stux hatte sehr viel Besitz. Sie sagten ihnen und mir auch ‚Packen Sie Ihre Koffer und wir holen Sie in ungefähr einer Stunde ab, Sie können warme Kleidung einpacken … Wir wissen nicht genau [wohin] wir Sie bringen werden. Jedenfalls werden Sie Konstanz verlassen. Sie können 100 kg Gepäck mitnehmen.‘ Kann man 100 kg tragen? Und [spricht schneller] ich persönlich, ich war vielleicht weniger betroffen, ich hatte meine Sachen und die Familie Stux hatte ihre Besitztümer …. Also, für sie war es sicher sehr schwierig, weil … in einer Stunde. Wir haben also unsere Sachen gepackt, sind rein- und rausgegangen, wir wussten nicht genau, was wir mitnehmen sollten und was nicht. Wir haben also unsere schönsten Kleider angezogen, wir wussten ja überhaupt nicht, wo wir landen würden […]. Wir kamen also am Bahnhof an, dort war schon ein Raum voller Juden aus Konstanz, ich kannte die Leute nicht. Wir hatten nicht viel Kontakt mit anderen Leuten. Die Familie Stux hatte vor allem mit Leuten in der Schweiz Kontakt, in Kreuzlingen – in Konstanz nicht so viel. Sie sagten uns: ‚Wir warten auf die Züge, wir werden Sie in die Züge setzen. Wir wissen noch nicht genau, wo sie hinkommen.‘ Man setzte uns also in Züge, es waren keine Viehwaggons, … es war nicht sehr komfortabel. Wir nahmen unser Gepäck, wir stellten unser Gepäck woanders hin, es war im Zug nicht bei uns. Es gab alte Leute, junge Leute, nicht mehr ganz junge, Kinder. Wir fuhren ein bisschen und in jedem Ort hielt der Zug, um die Juden aufzunehmen. Wir fuhren durch Konstanz, Gailingen. In Gailingen war es ein Altersheim, dass sie vollständig geleert haben. Die Leute waren in Rollstühlen, […] es war wirklich schrecklich.“
Nach mehrtägiger Bahnfahrt kam der Zug am 25. Oktober 1940 in Sainte Marie d’Oloron an, von wo die deportierten Menschen mit Lastwagen in das Camp Gurs transportiert wurden. Renée Stein wurde in Ilôt M [Block M] untergebracht. Aus Gurs berichtete sie über den andauernden Regen und die primitiven, überfüllten Baracken, die Trennung der Männer von den Frauen und auch den Abschied von Familie Stux. Trotz der widrigen Umstände, der Kälte und des Hungers, suchte sie sich im Lager eine Beschäftigung und half vorübergehend bei der Essensausgabe. Ihr jugendlicher Optimismus half ihr, die Zeit in Gurs zu überstehen. In Gurs blieb sie bis zum 14. März 1941.
Dann wurde sie weiterdeportiert in das Lager Rivesaltes, wo sie sich mit der etwa gleichaltrigen Hannelore Trautmann aus Karlsruhe anfreundete. In Rivesaltes war Renée auch in Kontakt mit Manja Goldlust und anderen Konstanzern. Wie diese erhielt sie Lebensmittelpakete, die die Israelitische Gemeinde Kreuzlingen an bedürftige Gemeindemitglieder aus Konstanz schickte. Im Lager erreichte sie auch eine Postkarte, die die Mutter ihr anlässlich ihres Geburtstags aus einem Ghetto im Osten schickte.
Am 17. Juni 1942 konnte Renée mit anderen Jugendlichen, darunter ihrer Freundin Hannelore, durch jüdische Hilfsorganisationen aus dem Lager gerettet werden. Beteiligt daran war die Organisation “amitié-judéo-chrétienne“ unter Leitung des Abbé Glasberg (Alexandre Glasberg) und Kardinals Gerlier, die sich bemühten insbesondere ältere Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 20 Jahren aus den Lagern zu befreien.
Renée kam zusammen mit Hannelore zunächst ins Maison de Moissac und von dort nach Charry, wo die Jugendlichen eine „Hachschara“ (Vorbereitungszentrum für mögliche Auswanderung nach Palästina) besuchen sollten. Als jedoch im August 1942 zahlreiche Razzien auf Jüdinnen und Juden begannen, musste die Gruppe sich mehrere Wochen in einem Wald nahe Charry verstecken. Es regnete viel und sie hatten kaum Schutz vor dem Wetter. In dieser Zeit erkrankte Renée schwer. Sie konnte mit ihrer Freundin in einem Stall eines in der Nähe gelegenen Bauernhofs versteckt werden und gelangte von diesem provisorischen Versteck am 17. November 1942 in das Château du Bégué, ein ehemaliges Hotel in der Gemeinde Cazaubon. Der dortige Bürgermeister, Fernand Sentou, stellte allen dort ankommenden Flüchtlingen falsche Papiere aus.
Renée erhielt eine neue Identität, nannte sich fortan Schmidt und gab als Geburtsort Remelfing, Moselle, an. Sie arbeitete nun für den Bürgermeister, der auch die Résistance unterstützte.
Als auch dieses Versteck zu unsicher wurde, mussten Renée und ihre Freundin am 10. Dezember 1943 Richtung Paris aufbrechen, blieben dort wenige Wochen in einer Schweizer Haushaltsschule und kamen an Renées 21. Geburtstag, am 10. Januar 1944, schließlich in Lyon an. In Lyon fanden Hannelore und sie eine Unterkunft in einem Mädchenheim. Deren Leiterin, Sophie Coursange, vertrauten sie ihre falsche Identität an und fanden in ihr eine weitere Helferin, die Renée als Küchenhilfe engagierte und für Hannelore Trautmann eine Lehrstelle als Näherin organisierte.
Ab März 1944 engagierte Renée sich in Lyon aktiv in der Résistance, versteckte und verbreitete Flugblätter. Nach einigen Wochen suchte sich Renée sich mit ihrem falschen Dokument eine Anstellung als Floristin, die sie noch bis Anfang 1948 behielt.
Erst nachdem Lyon am 3. September 1944 befreit wurde, konnte Renée wieder anfangen ein „normales“ Leben zu führen. 1947 lernte sie den aus Walsdorf bei Bamberg stammenden Auschwitzüberlebenden Gustav Karl kennen, den sie 1948 heiratete. Renée Stein und Gustav Karl bekamen zwei Kinder, die 1949 und 1950 geboren wurde.
Mit ihrer Familie reiste sie immer wieder nach Deutschland und verbrachte dort jedes Jahr viele Wochen im Sommer. 1955 erlangte sie auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Bis ins hohe Alter kümmerte Renée sich ehrenamtlich um alleinstehende Kranke und Sterbende.
Renée Stein starb 2016 in Lyon.
Einige der Helferinnen und Helfer, die das Leben von Renée Stein und anderen verfolgten jüdischen Menschen retteten, wurden von Yad Vashem als „Righteous Among the Nation – Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.