Georg
REINHARDT

1910 - 1987 I
Max-Stromeyer-Straße 106
Stolperstein verlegt am 27.06.2014
Georg REINHARDT Max-Stromeyer-Straße 106

Die Ehe rettete die Familie vor einer Abschiebung nach Polen

Georg Reinhardt wurde am 23. September 1910 in Kaltenberg bei Tettnang geboren.

Von Beruf war er Musiker, er war verheiratet und hatte sieben Kinder.

Ob Georg Reinhardt nach der Machtübernahme der Nazis noch als Musiker tätig sein konnte, ist fraglich. Tatsache ist, dass er nach der Enteignung des Gebäudes der Freimaurerloge „Constantia zur Zuversicht“ in der Schottenstraße 69 durch die Stadt Konstanz und Übernahme durch die Spitalstiftung im Jahr 1933 in dem Gebäude als Hausmeister beschäftigt war. Das Gebäude wurde jetzt von der Hitlerjugend (HJ), dem Deutschen Jungvolk (DJ) und als Polizeistation genutzt. Ein höherer städtischer Beamter erklärte dazu 1960: „Der nicht von der Stadt eingesetzte Hausmeister Reinhardt war meines Wissens ein Zigeuner ohne das richtige Gefühl für seine Pflichten.

Im April 1940 wurde die gesamte Familie im Rahmen eines Projektes der SS, alle „Zigeuner“ aus Deutschland in das besetzte Polen abzuschieben, inhaftiert. Mit seiner schwangeren Ehefrau Klara und sechs Kindern musste Georg Reinhardt auf den Hohenasperg fahren. Schon vorher hatte man ihm sein Auto weggenommen, mit dem der Musiker zu Veranstaltungen fahren konnte. Auf dem Hohenasperg weigerte er sich, sich von dem Zigeunerforscher Dr. Robert Ritter untersuchen zu lassen. Da die Ehefrau „Arierin“ war, wird die Familie am 22. Mai 1940 wieder entlassen.

Bei der Rückkehr nach Konstanz war die Wohnung von der Polizei und anderen Personen ausgeräumt worden, weil man davon ausging, dass diese Leute nie mehr nach Konstanz zurückkehren würden. Die Familie wurde in eine andere Behelfswohnung in der Hindenburgstraße eingewiesen und musste sich Möbel leihen.

Anschließend war Georg Reinhardt zeitweise bei der Organisation Todt dienstverpflichtet. Im Jahre 1943 erscheint er im Konstanzer Adressbuch mit dem Beruf Pferdepfleger. In der Entschädigungsakte spricht er von Überwachung durch die Gestapo und Gewerbeverbot.8)

Georg Reinhardt wurde am 1. August 1944 in Konstanz zwangssterilisiert; seine erst siebzehnjährige Tochter Anna am 18. Juli 1944 im Klinikum Singen.

Georg Reinhardt hatte mehrere Entschädigungs­anträge gestellt, die alle vom Freiburger Landesamt für Wiedergut­machung abgelehnt wurden. Er erhielt 1955 keine Entschädigung wegen der doch eindeutig rassenpolitischen Sterilisation, weil das Amt argu­mentierte, die Sterilisation habe ja zu keinem weiteren Gesundheitsschaden geführt und auch seine Arbeitskraft nicht beeinträchtigt.

Entschädigung wegen der Haft in Hohenasperg wurde abgelehnt, weil sie kürzer als ein Monat war. Entschädigung wegen der Dienstverpflichtung wurde abgelehnt, weil sie kürzer als drei Monate war. Und Entschädigung wegen des Verlustes der Wohnungs­einrichtung wurde schließlich 1962 abgelehnt, weil die Haft im Zigeunerlager Hohenasperg keine „rassische Verfolgung“ gewesen sei, sondern eine militärische oder polizeiliche Maßnahme. Er hätte seine Sachen nicht ohne Aufsicht lassen dürfen. Das Wiedergut­machungsamt war hier in bester Gesellschaft mit dem Bundesgerichtshof, der 1956 entschieden hatte, dass alle Maßnahmen gegen die „Zigeuner“ vor der Deportation nach Auschwitz keine rassenpolitische Verfolgung darstellten, sondern kriminalpolizeiliche Präventivmaßnahmen gegen eine Gruppe, die durch asoziales Verhalten aufgefallen sei.

Empört wegen der Einstufung des Aufenthalts auf dem Hohenasperg als „militärische Maßnahme“ schrieb Georg Reinhardt am 26. August 1962 an das Landesamt für Wiedergutmachung:
 
Die Behauptung des Landesamtes, die Evakuierung hätte aus militärischen Erwägungen und nicht rassen­politischen Gründen stattgefunden, entspricht m.E. keinesfalls der Wahrheit. Da ich sowie alle meine Stammesangehörigen (Zigeuner) im damaligen Reich aus rassenpolitischen Gründen verfolgt wurden. Dieser Tatsache kann nichts entgegenstehen. Vom Sammel­lager Hohenasperg wurden ja damals die Transporte meiner Stammesangehörigen für verschiedene KZ-Lager und sonstige Vernichtungsstellen zusammengestellt. Dass ich davon verschont geblieben bin, habe ich meiner Frau zu verdanken, die deutsche Staatsangehörige ist. Selbst meine Frau nebst 7 Kindern befand sich damals im Lager Hohenasperg. Nach meiner Rückkehr wurde ich sowie meine zwei ältesten Töchter sterilisiert. Ich trage deshalb heute noch schwere gesundheitliche Schäden davon. Zur gleichen Zeit wurde mir durch die damalige Gestapo erklärt, dass ich mich außerhalb Konstanz nicht mehr bewegen dürfe. Ich musste damals schwere Arbeit verrichten trotz meines schlechten Gesundheitszustandes. Von meinem Arbeitslohn musste ich auch noch sogenannte Judensteuer bezahlen.
 
Nun möchte ich gerne fragen, aus welchen Gründen das geschah. Aus militärischen oder rassenpolitischen? Ich glaube, dass man über die Antwort nicht zu streiten braucht. Wollen Sie behaupten, dass wir Zigeuner damals aus militärischen Gründen verfolgt und vernichtet oder sterilisiert wurden? Außerdem stelle ich fest, dass in der Ablehnung meines Antrags meine vom damaligen Reich durchgeführte Sterilisation gar nicht erwähnt wurde.
 
Auch in dieser Sache habe ich ja einen Antrag gestellt und ersuche um Ihre Stellungnahme. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich die Sache keinesfalls auf sich beruhen lasse und mich wenn nötig an andere Instanzen wenden werde. Sollte Ihrerseits die Angelegenheit nicht geregelt werden, so sehe ich mich gezwungen, die Sache meinem Rechtsanwalt zu übergeben. Auch werde ich mich an die Vereinigung zur Wahrung der Menschen­rechte wenden. Wenn das alles, wie Sie schreiben, aus militärischen Erwägungen geschah, so werde ich mich an eine militärische Instanz wenden.
 
Es ist traurig, dass seit meiner ersten Antragstellung im Jahre 1946 bis heute vergehen musste, um nur die Ablehnung meines Antrags mitzuteilen. In der Hoffnung auf baldige Erledigung meines Schreibens zeichne ich hochachtungsvoll Georg Reinhardt
(beglaubigte Abschrift).
 

Eine Klage vor dem Landgericht Karlsruhe blieb aber ohne Erfolg.
 
Erst 1980 richtete die Bundesregierung einen besonderen Fonds für die „vergessenen Opfer“ ein, aus dem die Zwangssterilisierten einmalig 5000 DM = 2556,45 Euro erhalten konnten.
 
Davon profitierten gerade noch 13.800 Personen, darunter 1982 auch Reinhardt, der zuletzt im städti­schen Altersheim in der Luisenstraße lebte.
 
Für Georg Reinhardt, der 1987 starb, zu spät: Ab 2004 kamen noch kleine Rentenzahlungen hinzu, erst 100 Euro, dann 120 und ab 2011 neu 291 Euro.

 
Georg Reinhardt starb am 05. Oktober 1987 im städtischen Altersheim Luisenstraße.
 
Stolperstein zum Hören“ des SWR2 für Georg Reinhardt

Recherche: Arnulf Moser
Patenschaft: Erika Balke

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg.
Gesundheitsamt Konstanz, B 898/3, 1982/77.
Staatsanwaltschaft Konstanz, F 178/2, Nr. 150-152, 203.
Wiedergutmachungsakten, F 196/1, Nr. 6793.
Moser, Arnulf: "Zigeuner" und "negroide Bastarde" - Zwangssterilisationen aus rassischen Gründen beim Gesundheitsamt Konstanz 1933-1945, in: Hegau, Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Singen, Hohentwiel: MarkOrPlan Agentur & Verl., Bd. 69/2012, S. 203-216.
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Familienmitglieder

Anna
LE DANTEC, geb. REINHARDT

1927 - 2005 I
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