Rolf
MÜHLHAHN

1940 - 1944 I
Gottlieber Straße 10
Stolperstein verlegt am 13.09.2015
Rolf MÜHLHAHN Gottlieber Straße 10

Ein halbes Jahr vor Kriegsende mit einer Überdosis Medikamente ermordet

Rolf Mühlhahn kam am 14. Juni 1940 in Osterode im Harz als Sohn von Luise Mühlhahn, geb. Koch, und Otto Mühlhahn zur Welt.

Rolf wurde viereinhalb Jahre später, nur wenige Monate vor dem Zusammenbruch des NS-Regimes, in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee im Rahmen der Fortführung der „Aktion T4“ mit anderen Mitteln ermordet.

Rolfs Vater Otto Mühlhahn war im November 1940 aus beruflichen Gründen nach Konstanz in die Gottlieber Straße 10 gezogen. Seine Familie, Ehefrau Luise und die Kinder Sigrid, Rolf und Dieter, kam im Februar 1941 nach. Rolf hatte bereits in seinem ersten Lebensjahr epileptische Anfälle. Obwohl er 1942 in der chirurgischen Klinik Tübingen operiert wurde, verschlechterte sich sein körperlicher Zustand weiter und auch die Häufigkeit der Krampfanfälle nahm zu.

Am 2. September 1944 kam er in die Psychiatrische Klinik in Freiburg und wurde von dort am 21. September 1944 in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen verlegt. Anstaltsleiter dort war Dr. Arthur Kuhn, der nach der Schließung der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz zunächst bis Mai 1943 als Referent im badischen Innenministerium gearbeitet hatte und nun seit 1. Juli 1943 die Leitung der Emmendinger Anstalt innehatte.

Bereits zwei Wochen nach Eintreffen des kleinen Rolf fragte Dr. Kuhn bei Dr. Valentin Faltlhauser, dem Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee an, ob die Möglichkeit zur Verlegung in dessen Anstalt bestände. Falthauser nahm Rolf Mühlhahn auf.

Valentin Faltlhauser (1876–1961) leitete die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee bereits seit 1929. Hatte er Anfang der 1930er Jahre als Anhänger der Reformpsychiatrie noch eugenisch-bevölkerungspolitische Konzepte abgelehnt, änderte er seine Haltung mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten vollkommen und wurde zu einem der vehementesten Vertreter der „Rassenhygiene“ zum Schutz des „gesunden Volkskörpers“: In Kaufbeuren legte Faltlhauser eine „Erb- und Sippenkartei“ an, gründete eine Ortsgruppe der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“, sprach sich ab Mitte der 1930er Jahre offen für Zwangssterilisation aus, arbeitete für das Rassenpolitische Amt der NSDAP sowie als Richter am Erbgesundheitsgericht in Kempten. Im August 1940 begann Faltlhausers offizielle Tätigkeit als Gutachter der „Aktion T4“. Er selektierte für Tötungen vorgesehene Patientinnen und Patienten und erstellte die Listen für deren Deportation in die Mordanstalten Grafeneck oder Hartheim bei Linz.

Nachdem die „Aktion T4“ im August 1941 offiziell eingestellt worden war, entwickelte Faltlhauser mit einer gezielt eingesetzten „Entzugs-Kost“ (auch „E-Kost“ oder „Euthanasie-Kost“) die Fortführung des abgebrochenen Mordprogramms, durch die „arbeitsunfähige“
Pfleglinge innerhalb von drei Monaten verhungerten. Gemordet wurde in Kaufbeuren im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“-Maßnahmen aber nicht nur durch systematisches Verhungernlassen, sondern auch durch Überdosierung von Medikamenten und Injektionen.

Kaufbeuren-Irsee hatte aber auch eine der reichsweit über 30 „Kinderfachabteilungen“, die eigens zur Ermordung der vom „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ selektierten Kleinkinder eingerichtet worden waren. Nach Einführung der amtlichen Meldepflicht für Kinder mit geistigen und körperlichen Behinderungen im August 1939 – Zielgruppe dieses „Euthanasie“-Programms waren vor allem jene Kinder, die nicht bereits in Anstalten untergebracht waren, sondern noch bei ihren Eltern lebten – wurden diese „Reichsausschusskinder“ in den Fachabteilungen innerhalb kürzester Zeit umgebracht.

Ob der kleine Rolf zu den Kindern gehörte, für die ein „Reichsausschussverfahren“ eröffnet worden war, lässt sich anhand der noch vorhandenen Unterlagen nicht mehr feststellen. Faltlhauser ließ noch vor Eintreffen der US-amerikanischen Streitkräfte die entsprechenden Unterlagen vernichten.

Sicher ist hingegen, dass Rolf Mühlhahn am 20. Oktober 1944 in Begleitung einer Pflegerin von Emmendingen aus in Kaufbeuren eintraf und dort am 8. Dezember 1944 mit einer Überdosis Medikamente ermordet wurde.

Valentin Faltlhauser wurde vom Landgericht Augsburg 1949 wegen „Anstiftung zur Beihilfe zum Totschlag in mindestens 300 Fällen“ zu lediglich drei Jahren Haft verurteilt, wobei 16 Monate in einem US-amerikanischen Internierungslager voll auf die Haft angerechnet wurden und er die Reststrafe nicht mehr anzutreten brauchte. Er starb unbehelligt 1961 in München.

Den Eltern Mühlhahn wurde mitgeteilt, dass ihr Sohn aufgrund eines epileptischen Anfalls plötzlich gestorben sei. Auch Rolf Mühlhans Urne stand jahrzehntelang unbeachtet im Keller des Krematoriums des Konstanzer Hauptfriedhofs. Siehe dazu auch: „Der Konstanzer Urnen-Skandal“

Recherche: Sabine Bade / Roland Didra
Patenschaft: Birgit Arnold

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Historisches Archiv Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren / Dr. Petra Schweizer-Martinschek;
Privatarchiv Didra;
Stadtarchiv Konstanz: Einwohnermeldekarte
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