Pius
MOSER

1883 - 1960 I
Am Berg 9, Konstanz-Dettingen
Stolperstein verlegt am 01.11.2019
Pius MOSER Am Berg 9, Konstanz-Dettingen

Wegen „besonders schwerer Wehrkraft­zersetzung und Feindbegünstigung“ angeklagt

Pius Moser, geboren am 28. April 1883, besuchte die Volks­schule in Litzelstetten bei Konstanz, das damals noch eine selbständige Gemeinde war.

1911 zog er nach Dettingen, wo er in der damals noch sehr ländlichen Gemeinde ein kleines Bauernhäuschen mit Stall erwarb. 1911 heiratete Emilia, geb. Aßfahl, mit der er vier Kinder hatte. Emilia starb im März 1933.

Im Ersten Weltkrieg war Moser Soldat. In zweiter Ehe war er mit Maria, geb. Baumann, aus Allensbach verheiratet; diese Ehe blieb kinderlos.

Dettingen war Mitte der 1930er Jahre eine landwirt­schaftlich geprägte Gemeinde mit etwa 750 Einwohnern. Im Ort gab es etwa 100 Betriebe mit Grund- und Betriebs­vermögen, wobei man davon ausgehen kann, dass es sich bei der Mehrzahl dieser Betriebe um kleinere Bauern­wirtschaften handelte. Der Mangel an Handwerksbetrieben zwang viele Männer aus Dettingen, in Konstanz Arbeit zu suchen. Meist arbeiteten sie als Hilfsarbeiter in den großen Betrieben wie Stromeyer, Herosé, Straehl, Rieter, in den Falzziegelwerken oder auf dem Bau. Pius Moser betrieb im Nebenberuf wahrscheinlich eine kleine Landwirtschaft mit vielleicht einer Kuh, einer Ziege und einigen Hühnern.

1926 wurde Pius Moser Mitglied der KPD in Konstanz, weil es in Dettingen keine Ortsgruppe der KPD gab. Mit Unter­brechungen war er von 1911 bis 1941 Hilfsarbeiter in den Rieter-Werken in Konstanz. Die Rieter-Werke stellten Maschinen für die Ziegelgewinnung her. In den Jahren 1941 bis 1943 war er als Nachtwächter beim Heeres­versor­gungsamt Konstanz in der Bücklestraße beschäftigt. Von 1943 bis 1944 war er wieder bei den Rieter-Werken beschäftigt.

Nach der Machtergreifung der Nazis, der „Staats­umwälzung“ wie sie in Dettingen genannt wurde, wurde der Gemeinderat in Dettingen gleichgeschaltet. Nach dem „Gleichschaltungsgesetz“ vom 31. März 1933 waren nur noch zwei Parteien im Gemeinderat zugelassen: die NSDAP und die Badische Zentrums­partei bis zur ihrem Verbot am 5. Juli 1933. Der langjährige parteilose Bürgermeister Sebastian Okle musste auf Druck der NS-Bauernschaft (Reichs­nährstand) dem NSDAP-Mitglied Julius Aßfalg weichen, der vor 1933 Ratsschreiber war. Ortsgruppenleiter der NSDAP war der Lehrer Emil Bogenschütz, seine Frau war Leiterin der NS-Frauenschaft. Hitlers Rede am 9. November 1933 wurde über Lautsprecher am Rathaus übertragen.

Die neue Gemeindeverwaltung war ein willfähriges Instrument der Partei. Sie übernahm sogar die Beiträge für die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend und in der SA. Die Partei organisierte Propagandavorträge zum Thema „Weltbolschewismus“ oder „Die deutsche Frau hilft siegen“.

1937 verbot die Gemeinde Dettingen jüdischen Viehhändlern, in ihrer Gemarkung tätig zu sein. Davon betroffen war vor allem Hermann Seligmann (1864-1939), der seine Geschäfte von Konstanz aus führte. Dieses Verbot führte zu großen Problemen für die Bauern, weil der Vieh- und Pferdehandel praktisch zum Erliegen kam. Da dieser Handel auf den kaufmännischen Tugenden von Zuverlässig­keit und Redlichkeit beruht, hatte sich oft eine persönliche Vertrauensbeziehung zwischen den jüdischen Viehhändlern und den Bauern entwickelt, die trotz antisemitischer Propaganda auch nach Hitlers „Machübernahme“ im Jahr 1933 an ihren Geschäfts­beziehungen zu den jüdischen Viehhändlern festhielten.
 
Kommunisten wie Moser hatten es in einer Agrargemeinde wie Dettingen menschlich und politisch nicht leicht, zumal er kein Hehl aus seiner kommunistischen Gesinnung machte. An den Winterhilfswerk-Sammlungen der NSDAP nahm er demonstrativ nicht teil. Auch weigerte er sich, anlässlich der bevorstehenden Reichstagswahlen 1936, zu der außer der NSDAP keine andere Partei zugelassen war, die Hakenkreuzfahne an seinem Haus aufzuziehen. Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 99 %, die NSDAP erhielt 98,8 % der Stimmen. Im örtlichen Kaufhaus Okle erklärte er offen: „Die ganze Wahl ist ein Schwindel, wie die ganze Hitlerbande.“ Prompt wurde er bei der Gestapo angezeigt; der Bürger­meister und Ortsbauernführer Julius Aßfalg und einige andere Bauern sagten als Zeugen gegen Moser aus. Selbst sein eigener Sohn fand die Verhaftung seines Vaters in Ordnung, weil „ihm einmal gezeigt werde, wie man sich im heutigen Staat zu verhalten habe“.
 
Am 16. November 1936 wurde Moser vom Sondergericht Mannheim nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934 zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Dieses sogenannte Heimtückegesetz bestrafte jeden, der sich kritisch oder abfällig über die Regierung oder die NSDAP äußerte. Am 4. Dezember 1936 wurde seine Strafe für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt mit der Auflage, dass sich Moser in dieser Zeit nicht mehr abfällig über das NS-Regime äußern werde.
 
Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler hatte Pius Moser im Betrieb einen Disput mit dem Betriebs­dolmetscher, einem Deutsch-Polen. Er hatte erklärt, er würde Hitler umbringen, wenn man ihm 10.000 Reichsmark gebe, die er für die materielle Absicherung seiner Familie brauche. Der Dolmetscher meldete das Gespräch an die Gestapo. Der Gewerkschafter Hubert Hormes, der Moser persönlich kannte, charakterisierte ihn als einfachen Menschen, der impulsiv und „sehr unvorsichtig“ war und aus seiner kommunistischen Gesinnung nie ein Hehl gemacht habe. So erklärte Moser im Gespräch mit Arbeitskollegen mehrmals offen, dass für ihn der Krieg verloren sei. Am 29. November 1944 wurde er während seiner Arbeit in den Rieter-Werken erneut verhaftet.
 
Als Grund für seine Einweisung ins Gefängnis Konstanz ist im Gefangenenbuch „Wehrkraftzersetzung“ angege­ben. Die Konstanzer Staatsanwaltschaft schickte die Unterlagen nach Berlin an den Volksgerichtshof. Nach der Zerstörung des Gebäudes des Volksgerichtshofs am 3. Februar 1945 durch alliierte Fliegerangriffe war der Volks­gerichtshof de facto nicht mehr arbeitsfähig. Die Akten wurden daher am 29. März 1945 nach Stuttgart an den Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht weitergeleitet mit dem Vermerk, gegen Pius Moser sei wegen „besonders schwerer Wehrkraft­zersetzung und Feindbegünstigung“ Anklage zu erheben. Er sei ein „grundsätzlicher Staatsgegner auf kommunistischer Grundlage“. Zum Glück für Moser konnten die Akten auch in Stuttgart nicht bearbeitet werden, weil auch das Oberlandesgericht der Bombardierung in der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 nur mehr bedingt arbeitsfähig war. Wäre es aber zu einem Prozess gekommen, hätte er nach damaliger Recht­prechung zweifellos mit einem Todesurteil geendet. Zum Alltag der Gefangenen im Konstanzer Gefängnis gehörte, wie Pius Moser nach dem Krieg erklärte, dass sie „mit Ohrfeigen, Faustschlägen und Gummiknüppel“ traktiert wurden. Der Gefängnisleiter wurde nach dem Krieg zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt.
 
Nach der Besetzung von Konstanz durch die Franzosen wurde Moser am 26. April 1945 aus dem Gefängnis entlassen. Pius Moser schrieb in seinem Lebenslauf nach dem Krieg: „Das Urteil war schon gefällt, wären die Franzosen ein paar Tage später gekommen, so wäre ich erschossen worden.
 
Pius Moser starb am 16. September 1960 in Dettingen.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Horst Fetscher

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg, D 180/2, 52626, F 196/1, 654, A42/1, 44, Nr. 99.
Generallandesarchiv Karlsruhe, 507 Nr. 2243-2244.
Albert Griesmeier, Gemeinde Dettingen (-Wallhausen). Die Gemeinde im Spiegel von Ratsprotokollen 1889 – 1945. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag, 2007.
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