Alice Maier war die Tochter von Simon Levinger und seiner Frau Pauline, geb. Weil. Simon Levinger kam 1890 von Gailingen nach Konstanz und eröffnete 1898 am Bodanplatz 10 eine koschere Metzgerei. 1902 baute er das schmucke Haus am Bodanplatz nach einem Brand wieder auf; über dem Türstock des Hauses sind noch heute die Initialen „S.L.“ zu sehen.
Alice Levinger machte im Bankhaus Macaire in Konstanz eine Banklehre. Die Macaire-Bank gehörte damals Ludwig Neuburger, einem wohlhabenden jüdischen Konstanzer Bürger. Die Bank spielte vor dem Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle in der Konstanzer Wirtschaftsgeschichte.
Am 2. Juni 1921 heiratete Alice Levinger in Konstanz Emil Maier aus Pforzheim (25.3.1890 – 27.9.1963). Emil Maier war in Pforzheim in der Schmuckproduktion als Guillocheur tätig. Als Guillochieren bezeichnet man das maschinelle Gravieren von geometrischen, aus feinen Linien bestehenden Figuren in dichtem, immer gleichem Abstand auf Metallgegenstände, z.B. auf Uhrenblätter oder Tabakdosen.
Im Geschäft ihres Mannes, der Mitinhaber einer Guillocheur-Firma in Pforzheim war, erledigte Alice Maier die Büroarbeiten. Am 10. August 1926 kam ihr gemeinsamer Sohn Kurt in Pforzheim zur Welt.
Ende der 20er Jahre ließ sie sich scheiden und kehrte Anfang September 1931 mit ihrem Sohn zurück nach Konstanz. Bis zum Verkauf der elterlichen Metzgerei 1937 arbeitete sie im Betrieb ihrer Eltern.
Ihr Ex-Mann Emil Maier emigrierte im April 1939 über Genua nach Shanghai, die damals die einzige Stadt der Welt war, die Juden ohne Visum aufnahm. In Shanghai gab es eine reiche sephardische Gemeinde, die ihre europäischen aschkenasischen Glaubensbrüder unterstützte. 1941 übernahmen die Japaner die Kontrolle der Stadt. Auf Druck der Deutschen verfügten die Japaner Mitte Februar 1943, dass alle Juden, die nach 1937 nach Shanghai gekommen waren, in eine Art Ghetto umziehen mussten. In diesem Ghetto lebten etwa 20.000 deutschsprachige Juden. Das Ghetto war von keiner Mauer umgeben, es gab aber spezielle Identitätskarten und Kontrollen an den Ausgängen. Die Kapitulation Japans am 15. August 1945 führte zur Auflösung des Ghettos. Emil Maier war wieder ein freier Mann. Im Oktober 1947 übersiedelte er nach San Francisco/USA. Am 27. September 1963 starb er in New York.
Die Metzgerei Levinger hatte in Konstanz einen guten Ruf. Auch nichtjüdische Familien und renommierte Hotels in Konstanz wie das Inselhotel, der „Hecht“ und das „Halm“ kauften hier an Ostern ihren (koscheren) Lammbraten. Levinger schlachtete selbst im Schlachthof Konstanz, wozu es einer speziellen Ausbildung und Genehmigung des örtlichen Rabbiners bedurfte. Nach dem Schächtverbot durch die Nazis im April 1933 verlor Simon Levinger viele Kunden. Aus Gesundheitsgründen hatte Simon Levinger allerdings schon Ende der 20er Jahre versucht, sein Geschäft zu verkaufen.
Anfang Juni 1937 fand Levinger schließlich einen Käufer für sein Geschäft. Ein Konstanzer Metzger aus der benachbarten Hüetlinstraße zahlte für das Haus und das Geschäft 40.000 Reichsmark; diese Summe entsprach dem tatsächlichen Wert des Geschäfts. Allerdings musste Simon Levinger einen beträchtlichen Teil davon als „Reichsfluchtsteuer“ und „Judenvermögensabgabe“ an den Staat abführen.
Bereits 1937 war die jüngere Tochter des Ehepaares Levinger, Erna, mit ihrem Mann Alfred Stock aus Mannheim nach Montevideo (Uruquay) emigriert. Erna Stock gelang es, die Auswanderungspapiere für ihre Eltern, ihre Schwester Alice und deren Sohn Kurt für Uruguay zu beschaffen. Im Dezember 1939 fuhren die Levingers mit dem Kombifrachter „Alphacca“ von Rotterdam nach Montevideo.
Das Ehepaar Levinger hat seine Heimat Konstanz nicht wieder gesehen. Simon Levinger starb im Frühjahr 1941 in Montevideo, seine Frau Pauline 1955.
Alice Maier arbeitete in Montevideo als Hauswirtschaftsgehilfin und als Verkäuferin in einer Markthalle. Ihr Sohn Kurt erlernte den Beruf des Konditors.
Nach dem Krieg machte Alice Maier von Montevideo aus über ihren Anwalt in Konstanz eine Rente für ihre Mitarbeit in der elterlichen Metzgerei und Schadensersatzansprüche für die Zeit von 1937 bis 1957 geltend. Diese Klage wurde 1958 zunächst abgewiesen. 1959 erhielt sie eine einmalige Entschädigung.
1960 kehrte Alice Maier nach Konstanz zurück. Nach jahrelangem Prozessieren gegen das Land Baden-Württemberg erhielt sie ab 1970 endlich eine kleine Rente. Von 1970 an bis zu ihrem Tod wohnte Alice Maier im Altenwohnheim Talgarten. Ihr Sohn Kurt Maier kehrte 1977 nach Konstanz zurück.
Alice Maier starb am 15. Januar 1981 in Konstanz. Alice Maier und ihr Sohn Kurt Maier haben ein gemeinsames Grab auf dem Konstanzer Jüdischen Friedhof.