Karl
LUMPP

1914 - 1940 I
Hüetlinstr.12
Stolperstein verlegt am 20.05.2025
Karl LUMPP Hüetlinstr.12

Wegen rachitischem Zwergwuchs als „lebensunwert“ vergast

Karl Lumpp wurde am 1.9.1914 in Konstanz geboren und katholisch getauft. Sein Vater war unbekannt. Seine Mutter Elisabeth Lumpp (geb. am 16.7.1883 in Biberach) verzog ein knappes Jahr nach der Geburt, am 19.6.1915, mit dem Säugling nach Kreuzlingen und heiratete Julius Schabet (geb. am 22.7.1890 in Konstanz), mit dem sie ein weiteres Kind bekam. Am 18. Mai 1916 zog die kleine Familie zurück nach Konstanz in die Hüetlinstr. 12. Knappe zwei Jahr später, am 11.4.1918, kam sein Stiefvater im 1. Weltkrieg mit 28 Jahren zu Tode.


Der kleine Karl wurde bereits am 1.9.1919, genau an seinem 5. Geburtstag, im katholisch geführten St. Josefshaus in Herten bei Lörrach aufgenommen. Seine Mutter verblieb mit ihrem zweitgeborenen Sohn noch bis zum 18.2.1920 in der Hüetlinstrasse, verzog danach in die Schweiz, wo sich ihre Spur verliert.


Karl war geistig beeinträchtigt, und ein rachitischer Zwergwuchs – durch einen Vitamin-D- oder Kalziummangel verursachte Krankheit, die bei fehlender Behandlung zu schweren Knochendeformationen führt – wurde diagnostiziert. Weitere Informationen über seine frühen Beeinträchtigungen sind nicht bekannt, da seine  Krankenakte des St. Josefshauses nicht mehr auffindbar ist. Tatsache ist, dass der Junge fast 11 Jahre dort lebte und kurz vor seinem 16. Geburtstag, am 22.8.1930, in der Heil- u. Pflegeanstalt bei Konstanz aufgenommen wurde. Dort verbrachte er ein weiteres Jahrzehnt. Was aus dieser Zeit aus seinen noch vorhandenen Krankenakten überliefert ist, wird nachfolgend wiedergegeben.


Bei seiner Aufnahme wurde protokolliert, dass er von einer Krankenschwester von Herten in die Heil- u. Pflegeanstalt bei Konstanz begleitet wurde, mit der Begründung, dass er in letzter Zeit „zerstörungssüchtig und erregt“ gewesen sein soll. Ob er jemals Besuch von seiner Mutter bekam, ist nicht dokumentiert. Seine Körpergröße betrug zu dieser Zeit 1,45 Meter, sein Wortschatz war sehr gering. Über die Jahre wurde immer wieder protokolliert, dass er „Mama“ und „Heim, Heim“ rief oder bei der Visite „Krank, krank“. Immer wieder soll er laut geschrien und seine Kleidung zerrissen haben. Im Frühjahr 1932 wurde ein „ganz leidlicher Wortschatz“ in die Krankenakte eingetragen. Daneben wurde er als „sehr munter, drollig mit Bewegungsdrang“ beschrieben. Ein halbes Jahr später plötzlich: „Völlig unbeeinflussbarer Idiot“.
In den nächsten Jahren – Mitte 1933 war der Reformpsychiater Dr. Maximilian Thumm als Leiter der Anstalt von den Nazis abgesetzt und durch den Parteigenossen Dr. Arthur Kuhn ersetzt worden – wurden die Einträge in seiner Akte immer seltener, oft hieß es nur noch knapp: „Aufdringlich oder gewalttätig“ oder „unverändert“. Im Jahr 1939 fehlt jeglicher Eintrag und dann am 24.7.1940: “Völlig unverändert. In eine andere Anstalt verlegt.“


Richtig ist hingegen, dass er nicht in eine andere Anstalt verlegt – sondern noch am Tag dieses letzten Eintrages ermordet wurde. Er wurde Opfer der ersten Phase der  „Euthanasie“-Morde, des heute meist nach dem Sitz der Zentralstelle in der Berliner Tiergartenstraße 4 als „Aktion T4“ bezeichneten Mordprogramms an über 70.000 als „lebensunwert“ eingestuften Psychiatriepatienten und Anstaltsbewohnern.


Im Herbst 1939 waren in der T4-Zentrale Meldebogen an alle psychiatrischen Anstalten und Heime verschickt worden. Darin mussten genaue Angaben zu den Patienten gemacht werden. Die Formulare wurden dann nach Berlin zurückgeschickt. Gutachter entschieden dann am Schreibtisch auf Grundlage der Angaben über Leben oder Tod der betreffenden Patienten. Bei Karl Lumpp wurde ein „+“ eingetragen (Wer vorerst am Leben bleiben konnte, erhielt ein Minuszeichen). Das war das Todesurteil für den jungen Mann.


Am Vormittag des 24.7.1940 kamen die grauen Busse der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH“ (Gekrat), einer Tarnorganisation der T4-Zentrale, bereits zum vierten Mal zur Anstalt bei Konstanz.  Im sogenannten Verlegeschein steht lapidar der Eintrag: „24. Juli 1940, vormittags 10 Uhr, Lumpp Karl von Herten, Verlegung in eine andere Anstalt“. Karl Lumpp wurde an diesem Tag zusammen mit 74 weiteren Männern in einem Konvoi von drei grauen Bussen nach Grafeneck deportiert. Darunter befanden sich auch Herrmann Keller, Friedrich Leib, Anton Hölzle und Ernst König, für die in den vergangenen Jahren bereits Stolpersteine in Konstanz verlegt wurden.


Bereits am späten Nachmittag wurde Karl Lumpp gemeinsam mit seinen Leidensgenossen in den zu einer Gaskammer umgebauten Schuppen der Mordanstalt Grafeneck gepfercht und vergast. Die Leichname wurden danach sofort eingeäschert.

Recherche: Roland Didra
Patenschaft: Susanne und Paul Wendt

Quellen & Literatur:

Archiv St. Josefshaus Herten
Archiv Faulstich: Transportliste
Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Bundesarchiv Berlin: Bestand R 179 Nr. 6073
Stadtarchiv Konstanz: Einwohnermeldekarte
Staatsarchiv Freiburg: B822/3 Nr. 343
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