Leo Mathias
HAFNER

1905 - 1945 I
Klostergasse 5
Stolperstein verlegt am 13.09.2015
Leo Mathias HAFNER Klostergasse 5

1940 wegen „landesverräterischer Beziehungen“ angeklagt

Leo M. Hafner wurde am 11. Januar 1905 in Konstanz geboren. Sein Vater war Metzgermeister, der 1914 starb.

Nach dem Besuch der Volksschule zog er 1917 mit seiner Mutter nach Kreuzlingen in die Schweiz.

1926 heiratete Hafner und wohnte mit seiner Frau und deren Tochter bei seiner Mutter in Kreuzlingen. Da er keinen Beruf erlernt hatte, arbeitete er in ganz unterschiedlichen Bereichen: In einer Papierfabrik in Kreuzlingen, als Versicherungsagent oder als Vertreter für Kaffee.

Auf den ersten Blick scheint es so, als ob Hafner ein Nazi gewesen sei. Von 1931 bis 1934 war er bei der SA-Standarte in Konstanz, später sogar Mitglied der NSDAP. 1935 wurde er allerdings wegen „Desinteres­se am Parteileben“ aus der Partei ausgeschlossen.

Im Sommer 1935 übersiedelte Hafner nach München, in der Hoffnung, hier Arbeit zu finden. Im Herbst 1935 zog Hafner nach Konstanz. Nach längerer Arbeitslosigkeit fand Hafner schließlich 1938 bei der Deutschen Reichsbahn eine Anstellung als ungelern­ter Schweißer.

Doch jetzt erscheint Hafners Verhalten zunehmend irrational. Nach einer freiwilligen Übung als Flakhelfer im Oktober 1938 fasste Hafner den Entschluss, als Freiwilliger nach Spanien zu gehen, um auf Seiten Francos zu kämpfen. Eine Absage der spanischen Botschaft in Berlin kümmerte ihn wenig. Er fuhr mit dem Zug nach Basel und überschritt dann illegal die Grenze nach Frankreich. Im elsässischen St. Ludwig (Saint-Louis), wenige Kilometer von Basel entfernt, wurde er von der Polizei aufgegriffen und Beamten des franzö­sischen Nachrichtendienstes übergeben. Jetzt erklärte Hafner plötzlich, er wolle nach Spanien, um auf Seiten der Republikaner zu kämpfen. Die Beamten des Nachrichtendienstes drohten ihm, ihn bei den deutschen Behörden anzuzeigen, wenn er den Franzosen nicht Informationen über militärische Einrichtungen in Deutschland liefern werde. Aus Angst erklärte sich Hafner dazu bereit.

Zwischen Anfang November 1938 und Juli 1939 fuhr Hafner sechsmal nach Saint-Louis und traf sich mit französischen Beamten. Auf der Rückreise von seinem letzten Besuch in Saint-Louis wurde Hafner Ende Juli 1939 in Basel von den Schweizer Behörden verhaftet und wegen unerlaubter Einreise in die Schweiz zu vier Tagen Haft verurteilt.

Am 26. Juli 1939 wurde Hafner der deutschen Polizei in Lörrach übergeben und in Karlsruhe in Unter­suchungshaft genommen. Von Karlsruhe aus wurde Hafner ins Landesgefängnis Ulm überstellt.
 
Am 8. Oktober 1940 wurde Hafner vor dem Volks­gerichtshof in Berlin wegen „landesverräterischer Beziehungen“ angeklagt. Hafner machte auf die Richter nicht den Eindruck eines Landesverräters. Warum er sich mit den Franzosen eingelassen habe, könne er nicht sagen; auch nicht, warum er in Spanien auf Seiten der Republikaner kämpfen wollte. „Es sei etwas in ihm gewesen, das ihn fortgetrieben habe. Wenn ihn dieser Drang überkomme, sei er wehrlos dagegen und müsse sich fügen.“ Trotz des merkwürdigen Verhaltens des Angeklagten hatte der Staatsanwalt auf die Todesstrafe plädiert. Der Senat, d. h. die Richter, durchwegs hoch­rangige Parteimitglieder, war jedoch der Meinung, dass „seine seelische Verfassung nicht mit dem Durch­schnittsmaß gemessen werden konnte“ und die Persönlichkeit des Angeklagten „ernste Zweifel am Verratsvorsatz“ begründete. Der Senat vertagte deshalb die Verhandlung, um ein „psychologisches Gutachten über die Persönlichkeit des Angeklagten durch einen Sachverständigen“ einzuholen. Das Gutachten solle „die gesamte charakterliche Veran­lagung des Angeklagten“ untersuchen. Mit der Erstellung des Gutachtens wurde der Direktor des Berliner Instituts für gerichtliche Medizin und Kriminalistik an der Charité, Professor Dr. Victor Müller-Heß, beauftragt. Müller-Heß, der kein Parteimitglied war, war der renommier­teste Gerichts­mediziner im Dritten Reich. Er war als Gutachter bei Kriegsgerichten, am Volksgerichtshof, aber auch als Gutachter in Strafsachen tätig.
 
Am 23. Mai 1941 wurde der Prozess gegen Leo M. Hafner vor dem Volksgerichtshof in Berlin neu verhandelt. Prof. Müller-Heß deckte in seinem Gutachten auf, dass Hafner sich als Folge einer Kopfgrippe 1919 eine Schädigung des Nerven­systems zugezogen habe. Hafner leide an Sinnes­täuschungen, verlangsamten Gedankenabläufen und Beein­trächtigung seines Willens und seiner Einsichts­fähigkeit. Zudem leide er an unbestimmten Hemmungs- und Angst­gefühlen. Das Fazit des Gerichtsmediziners: Der Angeklagte Hafner ist nur vermindert zurechnungsfähig. Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens erscheint auch die Mitgliedschaft Hafners bei der SA und der NSDAP in einem anderen Licht.

Der Senat des Volksgerichts verurteilte Hafner zu einer dreijährigen Haftstrafe, wobei die Unter­suchungshaft von 18 Monaten auf die Strafe angerechnet wurde. „Ein Verratsverbrechen war ihm nicht nachzuweisen“, so das Gericht in der Urteilsbegründung. Außerdem sei „bei der Strafbemessung … die seelische Erkrankung des Angeklagten in Betracht zu ziehen, die seine Straftat in einem milderen Lichte erscheinen lässt“. Nach Ansicht des Gerichtsmediziner Müller-Heß sei „eine Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt nicht notwendig, weil die Krankheit des Angeklagten durch die einzuleitende Heilbehandlung während der Strafhaft wesentlich verbessert werden kann“. Es ist denkbar, dass Müller-Heß mit diesem Vorschlag das Leben von Hafner schützen wollte, weil im Mai 1941 die T4-Aktion auf vollen Touren lief. Während der T4-Aktion wurden etwa 70.000 Menschen aus Heil- und Pflegeanstalten von den Nazis ermordet. Dass Hafner im Gefängnis medizinisch betreut wurde, ist eher unwahrscheinlich.
 
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis Ulm wurde Hafner am 23. November 1942 erneut verhaf­tet und am 14. Januar 1943 in das KZ Dachau überstellt. Dort war seine Häftlingsnummer 42228. Recht­liche Grundlage für die neuerliche Verhaftung Hafners bildete ein Erlass des Reichsinnenministeriums von 1939, wonach alle Personen, die während des Krieges eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bildeten, in Vorbeugungshaft zu nehmen seien. Hierzu zählten insbesondere die wegen Landes­verrats Verurteilten.
 
Im März 1944 wurde Hafner in das Außenlager Lauingen (an der Donau zwischen Dillingen und Günzburg) verlegt, wo er bei der Produktion von Flugzeugteilen der Augsburger Firma Messerschmitt eingesetzt war. Insgesamt arbeiteten in Lauingen etwa 3000 Häftlinge, hauptsächlich aus der Sowjetunion. Es wurde in zwei Schichten zu je 12 Stunden gearbeitet. Da die Ernährungslage kata­strophal war, starben viele Häftlinge an Hunger­ödemen, Darmkatarrh, Entkräftung oder TBC. In Lauingen erfolgte die medizinische Versorgung der KZ-Häftlinge durch den nieder­gelassenen Arzt Dr. Felix Kirchner in seiner Privatpraxis, eine absolute Ausnahme.
 
Am 8. März 1945 starb Hafner an Herz- und Kreislaufversagen.
 
Die im Lager verstorbenen Häftlinge wurden von der SS in Lauingen an einem unbekannten Ort beerdigt.
 

An der Mauer des Friedhofs bei der Johanneskirche in Lauingen ist eine Gedenktafel für die KZ-Opfer angebracht, die aber keine Namen enthält.
 
Die Lektion, die man in diesem
Leben lernen muss, ist:
Handeln – lieben – leiden.
Johanna Franziska von Chantal

 
Zum Gedenken an die Menschen
verschiedener Rassen, Religionen
und Weltanschauungen, die im
Dritten Reich in der KZ-Aussenstelle
Lauingen den Tod erleiden mussten.

 
Die Bevölkerung der Stadt Lauingen

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Maik Schluroff

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg, F 196/1, 6709
Archiv KZ Dachau
ITS Arolsen.
Stadtarchiv Lauingen.
Bundesarchiv Berlin, Akten R 3017/ 10344 und NS 9/ 4783.
Stadtarchiv Konstanz.
Staatsarchiv Ludwigsburg, Strafgefangenenakte Leo Hafner des Gefängnisses Ulm, E 356 g Bü 3657.
Gernot Römer, Für die Vergessenen. KZ-Außenlager in Schwaben – Schwaben in Konzentrationslagern. Berichte, Dokumente, Zahlen und Bilder, Augsburg 1984.

Korrektur Inschrift Stolperstein: Leo HAFNER wurde 1942 verhaftet, aber erst am 14.01.1942 nach Dachau überführt.
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