Anna Kessler wurde am 7. Oktober 1890 in Konstanz/Allmannsdorf geboren und katholisch getauft. 1915 heiratete sie den verwitweten Ziegeleifacharbeiter Anton Geiser. Sie zog zu ihrem Mann und dessen vier Kindern aus erster Ehe in die Schneckenburgstraße 27. Drei gemeinsame Kinder kamen in den Jahren 1918, 1920 und 1926 zur Welt.
Bereits im Jahr 1920 war die damals Dreißigjährige für vier Wochen Patientin der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Im Jahr 1929 folgte ein halbjähriger Aufenthalt, und auch im Jahr 1930 wurde sie drei Monate stationär behandelt. Ab dem 23. Mai 1933 blieb sie dauerhaft in der Einrichtung; die Diagnose lautete wenig aussagekräftig „manisch-depressives Irresein, resp. Schizophrenie“. Sie arbeitete unter anderem in der Anstaltsküche und erhielt regelmäßig Besuch von ihrem Mann und den Kindern.
Am 1. Januar 1934, knapp ein Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. Darauf basierend wurde am 27. Oktober 1934 Herr Geiser vom Erbgesundheitsgericht Konstanz darüber informiert, dass die Unfruchtbarmachung seiner Frau Anna beantragt wurde.
Beisitzer dieses Gerichts war der Konstanzer Bezirksarzt und spätere Leiter des Gesundheitsamts Dr. Ferdinand Rechberg. Dieser wiederholte den Antrag Jahr um Jahr. Doch jedesmal verweigerte die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz die Zustimmung zur Durchführung des Eingriffs, da der körperliche Zustand der Patientin dies nicht zulasse.
In einem Schreiben vom 24. Dezember 1938 (Heiligabend !) wurde der Vollzug ausgesetzt und die Entscheidung darüber der Anstalt überlassen. Die Sterilisation wurde nie vollzogen.
Im Rahmen der „Aktion T4“ wurde Anna Geiser am 14. August 1940 zusammen mit 65 weiteren Männern und Frauen von einem der grauen Busse aus der Heilanstalt abgeholt und noch am selben Tag in der Mordanstalt Grafeneck vergast.
Nun folgte die Phase des Verschleierns und Vertuschens.
Knappe 10 Tage nach der Ermordung erhielt ihr Ehemann Anton ein Schreiben von der „Landespflegeanstalt Grafeneck“ mit dem Betreff „Verlegung von Kranken“. Darin hiess es, dass seine Ehefrau vorübergehend eingewiesen worden sei, aber in den nächsten Tagen weiterverlegt würde: „Aus diesem Grund wird gebeten von Besuchen, weiteren Anfragen, sowie der Sendung von Paketen Abstand zu nehmen. Sobald unser Pflegling in der neuen Anstalt angekommen ist, werden Sie von dort unterrichtet.“
Zwei Wochen danach erhielt Herr Geiser erneut Post. Diesmal von der Landesanstalt Hartheim in Österreich. In dem Brief wurde mitgeteilt, dass Anna Geiser am 8. September 1940 unerwartet an einer Gallenblasen- und Bauchfellentzündung verstorben sei.
Ihr Ehemann, Anton Geiser, forderte die Urne an und liess sie auf dem Konstanzer Friedhof im Grab ihres Vaters Ludwig Kessler bestatten.
Mit Sicherheit befanden sich in der Urne jedoch nicht die sterblichen Überreste seiner Frau, sondern Aschereste der Menschen, die zusammen mit Anna Geiser in der Gaskammer grausam starben.
Auch Todestag, Todesursache und Todesort waren frei erfunden, Teil eines perfiden Systems, welches Nachforschungen von Angehörigen erschweren, bzw. unmöglich machen sollte.
Noch Jahre nach der Ermordung beschäftigten sich die Behörden mit der Akte Geiser und der Frage, ob die 1934 angeordnete Unfruchtbarmachung noch durchgeführt werden könne.
Am 6. September 1940, also 3 Wochen nach der Ermordung, stellte das Gesundheitsamt Konstanz fest, dass lt. Auskunft der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz Frau Geiser in eine andere Anstalt verlegt worden sei und weiter: „Die Voraussetzungen zur Aussetzung des operativen Eingriffs waren bei Frau G. zur Zeit der Verlegung immer noch gegeben“.
Mit Schreiben vom 11. März 1941 wiederholte die Anstalt bei Konstanz diesen angeblichen Tatbestand.
Deshalb fragte das Gesundheitsamt Konstanz am 5. Januar 1942 in der Anstalt Emmendingen nach und erkundigte sich, ob die Unfruchtbarmachung jetzt noch möglich sei. Emmendingen antwortete am 2. Februar 1942 lapidar: „Die Patientin wurde am 14. August 1940 in eine unbekannte Reichsanstalt verlegt. Es dürfte sich damit Ihre Anfrage erledigen.“
Darauf stellte Amtsarzt Dr. Rechberg am 14. Februar 1942 fest: „Da die Obengenannte nach Mitteilung der Heil-und Pflegeanstalt Emmendingen in eine unbekannte Reichsanstalt verlegt wurde, dürfte das Verfahren als erledigt betrachtet werden“.
Damit wurde die Akte Geiser geschlossen und beendet. Nicht beendet war die Karriere von Dr. Rechberg. Zwar wurde er nach Kriegsende verhaftet und inhaftiert, dennoch wurde er 1953 zum Leiter der ehemaligen Heil-und Pflegeanstalt bei Konstanz, die jetzt PLK Reichenau hiess, ernannt. In dieser Funktion wurde er als Gutachter bei Wiedergutmachungsfragen tätig und untersuchte die gleichen Opfer, die er als Nazi-Arzt sterilisieren liess. Entschädigungen lehnte er ab.
Einen Fürsprecher für die Leitungsstelle des PLK fand er im amtierenden Oberbürgermeister Knapp, nach dem noch im Jahr 2024 eine Passage in Konstanz benannt ist. Nur ein Beispiel, wie Naziseilschaften im Adenauer-Deutschland agierten.
Während man sich an Menschen wie Knapp und Rechberg nur mit Abscheu und Verachtung erinnern kann, holt dieser Stolperstein Anna Geiser aus der Vergessenheit und erinnert in Zukunft an ihr Schicksal.