Frieda
BÖHLER

1906 - 1940 I
Marienhausgasse 4
Stolperstein verlegt am 20.05.2025
Frieda BÖHLER Marienhausgasse 4

Die Diagnose „Pfropfschizophrenie“ führte in die Mordanstalt Grafeneck

Frieda Böhler wurde am 15.2.1906 in Konstanz als Tochter von Karoline und Josef Böhler geboren. Sie hatte noch einen drei Jahre jüngeren Bruder Rudolf.


Frieda war ein sogenanntes „Frühchen“, entwickelte sich aber im ersten Lebensjahr normal. Im zweiten Lebensjahr jedoch bekam sie Fieberkrämpfe, im Volksmund „Zahnkrämpfe“ genannt. Der Säugling litt vorübergehend unter einer teilweisen rechtsseitigen Lähmung; fehlende Körperkraft und eine Sehschwäche sind aber geblieben. Bis zur Einschulung verlief ihre Entwicklung normal; die Schulleistungen blieben aber unter dem Durchschnitt.


Etwa seit ihrem 10. Lebensjahr war sie immer wieder in ärztlicher Behandlung, da sie es, so die Eltern, „mit den Nerven hatte“.  Eine Ausbildung konnte sie nicht machen. Sie blieb im Elternhaus und half im Haushalt. Sie wurde als sehr zurückhaltend, aber immer gutmütig beschrieben. 


Im Jahr 1926 jedoch verschlechterte sich ihr Zustand und sie wurde für einige Tage Patientin der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz, im Volksmund „Reichenau“ genannt. Die Diagnose lautete „Pfropfschizophrenie“. Darunter verstand man damals eine akute Schizophrenie mit einer geistigen Behinderung. Nach ihrer Entlassung ging es ihr aber nur kurzzeitig etwas besser und zwei Wochen später wurde sie erneut Patientin der Anstalt, diesmal für ein halbes Jahr. Nach einem erneuten Versuch, bei den Eltern zu leben, wurde sie erneut für dreieinhalb Monate eingewiesen. Danach lebte sie knappe zwei Jahre zu Hause bei den Eltern. In dieser Zeit zog die Familie von der Brauneggerstrasse 16 in die Marienhausgasse 4.


Im Jahr 1929 verschlechterte sich der Zustand der mittlerweile 23-jährigen  Frau erneut. Sie verbrachte vier Monate, und nach kurzzeitiger Entlassung zweieinhalb Monate, in der Psychiatrie, bis sie ab dem 4.2.1930 dauerhaft in der Anstalt bei Konstanz untergebracht wurde.  


Am 14.7.1933 wurde von den Nationalsozialisten das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erlassen, das am 1.1.1934 in Kraft trat. Als „erbkrank“ galt für die Nationalsozialisten, wer beispielsweise an Schizophrenie erkrankt war. Das Gesetz war die Grundlage zur Zwangssterilisation von ca. 400.000 Männern, Frauen und Jugendlichen, eine davon die inzwischen 28-jährige Frieda Böhler.

.

Am 21. September 1934 stellte der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz Dr. Arthur Kuhn an das Erbgesundheitsgericht einen Antrag auf Unfruchtbarmachung von Frieda Böhler auf Grundlage der Diagnose seines Assistenzarztes Dr. Kurt Lampe. (Dr. Lampe wurde kurz danach Abteilungsleiter “Erb- und Rassenpflege” im Staatlichen Gesundheitsamt Konstanz).


Am 29. Oktober 1934 erfolgte die mündliche Verhandlung vor dem Erbgesundheitsgericht, bestehend aus dem Vorsitzenden Amtsgerichtsrat Dr. Gerbel, dem Bezirksarzt Medizinalrat Dr. Rechberg und dem Konstanzer Nervenarzt Dr. Schön als Beisitzer. Dabei wurde festgehalten, dass bei ihr „unzweifelhaft die Erbkrankheit Schizophrenie in der Unterform der Pfropfschizophrenie vorliegt“.

Da die junge Frau als geschäftsuntüchtig galt, nahm an der Verhandlung der als Pfleger bestellte Vater teil. Er stimmte der Unfruchtbarmachung seiner Tochter für  für den Fall zu, dass sie wirklich an einer Erbkrankheit leide. Damit wurde der Beschluss am selben Tag rechtskräftig.


Knappe zwei Monate später wurde Frieda Böhler am 15.11.1934 von der Anstalt zur Frauenklinik Konstanz in der Friedrichstrasse 21 gebracht. Die Operation wurde tags darauf am 16.11. von Dr. Welsch durchgeführt. Dabei stellte er fest, dass die Eileiter auf Grund einer Bauchfelltuberkulose nicht zugänglich waren und deren Entfernung nicht möglich wäre. Er vermerkte im ärztlichen Bericht: „Praktisch liegt ohnedies Sterilität vor“.
Die OP-Wunde verheilte innerhalb von 8 Tagen, sodaß sie am 23.11.1934 als „geheilt“ entlassen wurde, d.h. zurück zur Anstalt bei Konstanz gebracht wurde.


Frieda Böhlers Leidensweg setzte sich aber fort. Weitere lange Jahre in der Psychiatrie folgten.

Ende 1939 kamen auch zur Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz die Meldebögen aus der Zentrale der „Aktion T4“ in der Tiergartenstrasse 4  in Berlin. Darin mussten die Anstaltsleiter Angaben zur Erkrankung und Verweildauer ihrer Patientinnen und Patienten machen. Basierend auf den rückgesandten Meldebögen entschieden T4-Gutachter in Berlin, wer vergast und wer vorerst am Leben bleiben durfte.


Nachdem Frieda Böhler vorher insgesamt zehneinhalb Jahre in der Psychiatrie verbringen musste, wurde sie am 14.8.1940 in einem der „Grauen Busse“ zusammen mit weiteren 65 Frauen und Männern – dem fünften aus der Anstalt abgehenden Transport – im Alter von 34 Jahren zur Mordanstalt Grafeneck gebracht und am selben Tag in der Gaskammer ermordet und sofort danach verbrannt.

Recherche: Roland Didra
Patenschaft: Dorothea Geissler

Quellen & Literatur:

Bade, Sabine / Didra, Roland: Es konnte alle treffen - Gedenkbuch für die Konstanzer Opfer von NS-Zwangssterilisation und „Euthanasie“-Verbrechen 1934–1945, Konstanz 2024 (hier verfügbar);
Bundesarchiv Berlin: Bestand R179 Nr. 26436
Staatsarchiv Freiburg: Bestand B898/1 Nr. 660 und B132/1 Nr. 556
Stadtarchiv Konstanz: Einwohnermeldekarte
Weiterlesen