Hildegard Freistetter wurde am 31. Juli 1913 als Tochter des Schlossermeisters Robert Freistetter und seiner Frau Rosalie, geborene Muffler, in Konstanz geboren. Sie war wie ihre jüngere Schwester Erna gehörlos.
Die beiden Mädchen hingen sehr aneinander. Hildegard besuchte zunächst mehrere Monate die Taubstummenanstalt in Meersburg, später die Konstanzer Hilfsschule. Nach der Schulentlassung absolvierte sie neben ihrer Mithilfe im elterlichen Haushalt einen Nähkurs im Kloster Zoffingen.
Am 15. August 1936 zeigte der Allgemeinmediziner Dr. Hermann Sauter die damals 23-jährige Hildegard Freistetter im Rahmen des Vollzugs des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ beim Konstanzer Gesundheitsamt an. Mit diesem Gesetz und der Unterscheidung zwischen „erbgesund“ und „erbkrank“ war zum 1. Januar 1934 ein Instrument geschaffen worden, das der – aus der Sicht des NS-Regimes – vorliegenden „Degeneration“ des deutschen Volkes entgegenwirken sollte, indem als „erbkrank“ erachtete Menschen auch gegen ihren expliziten Willen an der Weitergabe ihrer „minderwertigen Erbanlagen“ gehindert werden sollten. In seiner Praxis in der Schottenstr. 53 hatte Dr. Sauter zwar Jahre zuvor Hildegard Freistetter lediglich wegen Blutarmut behandelt, war sich aber dennoch sicher, dass sie an „angeborenem Schwachsinn“ litt.
Daraufhin stellte der Leiter des Konstanzer Gesundheitsamtes, Dr. Ferdinand Rechberg, beim Konstanzer Erbgesundheitsgericht den Antrag auf ihre Unfruchtbarmachung.
Amtsarzt Dr. Lampe „untersuchte“ die junge Frau. In seinem Gutachten stellte er fest, dass sie „leidlich gut“ schreiben und lesen konnte und auch in der Lage war, Rechenaufgaben mit zweistelligen Zahlen zu lösen. Jedoch konnte der bei Verdacht auf „angeborenen Schwachsinn“ obligatorische „Intelligenzprüfungsbogens“ auf Grund der Verständigungsschwierigkeiten nicht ausgefüllt werden: Denn die etwa 80 Fragen zu geografischem, historischem, politischem Wissen und zu „allgemeinem Lebenswissen“ wurden der „Sterilisandin“ stets vom Amtsarzt vorgelesen und der Fragebogen von ihm auch ausgefüllt. Obwohl diese Praxis bei gehörlosen Menschen – auch wenn der Amtsarzt seine Fragen sehr laut vorlas – nie ein auch nur halbwegs belastbares Resultat ergeben konnte, bescheinigte Dr. Lampe, dass bei Hildegard Freistetter „ein erheblicher Intelligenzdefekt besteht und dass somit angeborener Schwachsinn im Sinne des Gesetzes vorliegt.“
So erkannte das Erbgesundheitsgericht Konstanz unter Vorsitz von Amtsgerichtsrat Dr. Walter Gerbel am 23. November 1936 auf „geistige Minderwertigkeit“ und verfügte Hildegard Freistetters „Unfruchtbarmachung“ wegen „angeborenem Schwachsinn und erblicher Taubheit“. Die Operation führte Dr. Kurt Welsch, der Leiter der Konstanzer Frauenklinik, am 07. Juli 1937 durch.
Hildegard Freistetter zählt zu den bisher ermittelten 295 Konstanzerinnen und Konstanzern, die zwischen 1934 und 1945 zwangsweise sterilisiert wurden. Sie überlebte (anders als reichsweit circa 5000 Menschen) dieses erste planmäßige Massenverbrechen des NS-Regimes, wie Dr. Heinz Faulstich, der Nestor der badischen Psychiatriegeschichte, diese Taten zu Recht bezeichnete.
Sie lebte noch bis kurz nach dem Tod des Vaters bis 1958 in der elterlichen Wohnung in der Bodanstr. 27. Danach übersiedelte sie in das von Kreuzschwestern des Kloster Hegne betreute städtische St. Josefsheim in Stockach. Sie konnte ihren dortigen Aufenthalt finanzieren, da nach dem Tod ihrer Mutter Rosalie deren Immobilie in der Radolfzeller Str. 48 an den neuen Besitzer mit der Auflage verkauft worden war, zeitlebens für Unterkunft und Verpflegung Hildegards zu sorgen.
Nach der Schließung des St. Josefsheim im Jahr 1997 starb Hildegard Freistetter am 19. Juli 1998 in Tengen-Blumenfeld.