Elsa
Falkenstein

1881 - 1949 I
Marktstätte 24
Stolperstein verlegt am 22.05.2025
Elsa Falkenstein Marktstätte 24

Ihre Lebensstationen: Konstanz, Gurs, Altnau, Lourdes, München

Elsa Falkenstein wurde am 23. April 1881 als Elsa Bergmann in Göppingen geboren. Sie kam aus einer wohlhabenden jüdischen Familie. Ihr Vater war Samuel Bergmann (1848-1831), ihre Mutter hieß Pauline und war eine geborene Neumaier (1858-1926). Elsa hatte vier Geschwister: Julie, geb. 1878, Ludwig, geb. 1883, Friderike, geb. 1884 und Thekla, geb. 1887. Alle vier Geschwister haben den Holocaust überlebt.

Ihr Vater gründete 1902 in Göppingen eine Fabrik für die Herstellung von Korsetts (Mieder). Göppingen war um die Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg das Zentrum der deutschen Korsettproduktion. Mit der Emanzipation der Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts machte sich auch ein neues Gesundheitsbewusstsein breit, welches dazu führte, dass immer weniger Frauen Korsetts trugen. 1920 übernahm sein Schwiegersohn Wilhelm Eckhoff, der mit Thekla, einer Schwester von Elsa, verheiratet war, die Korsettfabrik, die sich nun auf Mieder spezialisierte. Mit einem nicht-jüdischen Besitzer an der Spitze produzierte die Fabrik auch während der NS-Zeit. Das Ende kam im März 1945, als die Fabrik durch alliierte Bombenangriffe zerstört wurde.

Wo und wann Elsa Bergmann ihren künftigen Mann Ernst Falkenstein kennenlernte, ist nicht bekannt. Sein Eltern waren Julius Falkenstein (1838-1908) und Mina, geb. Frank (1840-1907). Julius Falkenstein stammte aus Obergimpern bei Rust, heute ein Teilort der Gemeinde Ettenheim im Ortenaukreis. Julius Falkenstein lernte zunächst das Färberhandwerk, sattelte dann aber auf Optiker um. Nach Lehrjahren in Paris und Rom ging er in die Schweiz und verkaufte auf Jahrmärkten Brillen. 1863 übersiedelte er nach Konstanz und eröffnete auf der Marktstätte 8 im Zentrum der Stadt ein Geschäft für Brillen und optische Geräte. Seine Frau Mina, geb. Frank, stammte aus Worblingen und war die Schwester des angesehenen Konstanzer Optikers Louis Frank in der Kanzleistraße. Julius und Mina Falkenstein hatten drei Kinder: Berthold (1866-1928), der ebenfalls Optiker wurde, Leonie, seine Zwillingsschwester (1866-1932), die in Köln einen Modegeschäft führte, und Ernst (1879-1931), der in Konstanz das Optikgeschäft seines Vaters weiterführte. Alle drei Kinder kamen in Konstanz zur Welt.

Die Hochzeit von Ernst Falkenstein und Elsa Bergmann fand am 23. März 1908 in Friedrichshafen am Bodensee statt. Trauzeugen waren Julius Falkenstein und der Friedrichshafener Sport- und Spielwarenhändler Karl Schinacher. Nach dem Tod von Julius Falkenstein 1908 übernahmen sein Sohn Ernst und dessen Frau Elsa das Geschäft, das sich durch seine vielfältigen Aktivitäten in der Stadt sehr schnell einen Namen gemacht hatte. Das Geschäft, das seit 1924 als „Optische Zentrale“ firmierte und auf der Marktstätte 24 , seinen Sitz hatte, lieferte jahrelang für die „Konstanzer Zeitung“ den täglichen Wetterbericht und stellte im Stadtgarten eine „Wettersäule“ auf, die Luftdruck und Temperatur anzeigte.

Elsa und Ernst Falkenstein hatten zwei Kinder, Gertrud, geb. am 11. Januar 1909, und Kurt, geb. am 30. September 1913; beide Kinder kamen in Konstanz zur Welt. Ihre Tochter Gertrud heiratete im April 1931 in Konstanz den Optiker Dr. Wolfgang Stahl aus München, während ihr Sohn Kurt weiter im elterlichen Geschäft arbeitete. Gegen die Konkurrenz der beiden optischen Geschäfte in Konstanz, den Gebrüdern Hepp auf der Marktstätte und Louis Frank in der Kanzleistraße, verstand es das Optikgeschäft Falkenstein, sich durch jährliche Fotoausstellungen und technische Neuerungen wie z. B. 1929 die Aufstellung eines Fotoautomaten (Photomaton) für die Aufnahme von Passbildern gut zu behaupten.

Ernst Falkenstein war ein angesehener Bürger der Konstanzer Stadtgesellschaft. So war er 1923 Schöffe beim Konstanzer Amtsgericht. Er und sein Sohn Kurt waren begeisterte Fasnachter und Mitglieder des Konstanzer Narrenvereins Elefanten AG. Ernst Falkenstein starb am 14. Dezember 1931 in Konstanz. Offensichtlich hatte er sich im Laufe seines Lebens vom Judentum abgewendet, da er sich einäschern ließ und nicht auf dem jüdischen Friedhof, sondern auf dem städtischen Hauptfriedhof bestattet wurde. Nach seinem Tod führten sein Sohn Kurt und seine Frau Elsa das Foto-Optik-Geschäft weiter.

Nach den Reichstagswahlen von Anfang März 1933 übernahmen die Nazis die Macht in Konstanz. Unklar ist, ob bei dem reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 auch das Optik-Geschäft von Falkenstein betroffen war. Die nationalsozialistische „Bodensee-Rundschau“ vom 1. April 1933 nannte die Namen mehrerer jüdischer Geschäfte wie z.B. Thanhauser, Klopstock, Haberer, Bottina und Leib; selbst die kleine Bäckerei Adler wurde genannt, nicht aber die Optische Zentrale von Falkenstein. Denkbar ist, dass der spätere Ortsgruppenleiter der NSDAP von Petershausen und Beigeordneter der Stadt Konstanz, Friedrich Erwin Hildenbrand (1906-1943), der bei Falkenstein seine Ausbildung als Optiker gemacht hatte, seine schützende Hand über das Optikgeschäft hielt. So berichtet denn auch der „Thurgauer Volksfreund“ am 3. April 1933, dass „bei etlichen jüdischen Geschäften die SA-Polizisten höfliche Zurückhaltung“ zeigten.

Ganz offensichtlich glaubten Elsa Falkenstein und ihr Sohn Kurt, dass sie sich mit den Nazis arrangieren könnten. Ein Aufnahme aus dem Jahr 1933 zeigt ihr Geschäft mit der nationalsozialistischen Reichskriegsflagge. Im Frühjahr 1933 wurde die Fassade ihres Geschäfts aufwändig renoviert. Für dieses Vorhaben wurde der angesehene Regierungsbaumeister und Architekt Paul Motz engagiert, der sich durch die Innenrestaurierung des Konstanzer Münsters in den Jahren 1921 bis 1923 einen Namen gemacht hatte.

Die nationalsozialistische „Bodensee-Rundschau“ vom 9. Mai 1933 kommentierte die Renovierung mit folgenden Worten: „ An der Marktstätte erregt die ganz neuartige Hausfront des Photohauses Falkenstein berechtigtes Aufsehen. Die aus einer silberglänzenden Anticorodal-Legierung [d.i. eine Aluminiumlegierung] hergestellte Schaufensterfassade, welche in Verbindung mit hellgrauem Opalglas einen eigenartigen Reiz ausübt, gibt mit dem Sockel, der aus Eifellavaplatten hergestellt ist, einen einfachen, aber sehr vornehmen Geschmack Ausdruck. Ganz gediegen wirkt die aus siamesischen Rosenholz hergestellte Auslage, welche durch geschickt eingebaute Reflektoren ein schattenloses Licht über die Auslage werfen. Gerade in der Schlichtheit der Außenfront kommt der moderne Baustil wirkungsvoll zum Ausdruck.“ Die Modernisierung des Geschäfts war wohl die Antwort auf die 1929 erfolgte Modernisierung des Optikgeschäfts der Brüder Hepp im Stil der Neuen Sachlichkeit (Bauhaus) durch das Architekturbüro Ganter & Picard.

Der wirtschaftliche Druck der Nazis auf die jüdischen Geschäfte in Konstanz bedeutete auch das Ende des Optik Geschäfts Falkenstein. Kurt, der einzige Sohn des Ehepaares Falkensteins, verzichtete auf seinen Anteil an der Firma zugunsten seiner Mutter und ging 1935 auf Weltreise. Sein Aufenthalt in Kuala Lumpur und Singapur ist belegt. Im Juli 1939 fand er in Bangkok (Siam, heute Thailand) durch den Angriff eines Hais den Tod. Elsa Falkenstein verkaufte im November 1936 die Firma an den Optiker Friedrich Bachschmid aus Kempten, der in Konstanz bereits eine Filiale hatte. Die Pogromnacht vom 9./10. November 1938 gab wohl den Ausschlag, dass sie im Dezember 1938 ihr Grundstück Marktstätte 24 an ihre Tochter Gertrud und ihren Mann Dr. Wolfgang Stahl, Prokurist in der optischen Firma Rodenstock in München, vermachte. Die Kreisleitung der NSDAP erhob gegen die Schenkung keine Einwände, da Wolfgang Stahl kein Jude war. Auf Grund ihrer Vermögensverhältnisse hätte Elsa Falkenstein wahrscheinlich emigrieren können. Sie tat es aber nicht , aus welchen Gründen auch immer.

Nach dem Novemberpogrom vom 9./10. November 1938, der die Zerstörung von Synagogen, Geschäften, Wohnungen, jüdischen Friedhöfen und die Deportation tausender Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager zur Folge hatte, mussten die deutschen Juden eine Kontributionszahlung in Höhe von einer Milliarde Reichsmark als „Sühneleistung“ für „die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich“ (Hermann Göring am 12. November 1938) zahlen. Elsa Falkenstein musste entsprechend ihren Vermögensverhältnissen eine Sühneabgabe von fast 20.000 Reichsmark an den Fiskus abführen.

Am 22. Oktober 1940 wurde Elsa Falkenstein zusammen mit 112 anderen Juden aus Konstanz nach Gurs deportiert. Von Gurs wurde sie am 20. Februar 1941 in das Lager Noé  (Departement Haute-Garonne) verlegt, das über ein Krankenhaus verfügte. Noé liegt etwa 30 km südlich von Toulouse. Sie muss also ernstlich krank gewesen sein. In Noé gelang es ihr, Kontakt zum protestantischen Pfarrer Wilhelm Meyer in Altnau (Schweiz/Thurgau) aufzunehmen. Der Pfarrer setzte sich wiederum mit dem Schweizer Bundesrat Eduard von Steiger in Verbindung, der sich trotz seiner restriktiven Flüchtlingspolitik gegen Juden („Das Boot ist voll“) für Elsa Frankenstein einsetzte und ihr ein Einreisevisum für die Schweiz vermittelte.

Anfang Januar 1943 traf Elsa Falkenstein in Altnau ein. und wohnte bei dem Pfarrer. Einen Antrag des Pfarrers auf eine Verlängerung ihres Aufenthalts lehnte das Eidgenössische Einwanderungsbüro in Bern ab. Nachdem Frankreich von den alliierten Truppen befreit worden sei, so die Begründung der Behörde Ende September 1944, und „in Hinblick auf die starke Überfremdung unseres Landes können wir den Zuzug von Frau Falkenstein nicht mehr verantworten“. Im Oktober 1944 verließ Elsa Falkenstein die Schweiz und begab sich nach Frankreich, wo sie bis Kriegsende im Hotel „St. Louis Roi de France“ in Lourdes logierte.

Am 7. September 1946 kehrte Elsa Falkenstein nach Konstanz zurück und wohnte bei Friedrich Bachschmid an der Marktstätte 24, also in ihrer ehemaligen Firma. Am 19. November 1946 zog sie vorübergehend zu ihrer Tochter Gertrud nach München, die dank ihrer Ehe mit Dr. Wolfgang Stahl, der Nichtjude war, den Holocaust überlebt hatte. 1958 wanderte das kinderlose Ehepaar Stahl nach Brasilien aus.

Elsa Falkenstein führte nun einen zähen Kampf gegen die Behörden in Freiburg um ihre Entschädigung für konfiszierte Vermögenswerte durch die Nazis. Zunächst wurde ihr diese verweigert, weil sie am 1. Januar 1947, dem Stichtag für die Geltendmachung von Ansprüchen, nicht in Baden, sondern in Bayern wohnte. Da sie nachweisen konnte, dass sie nur zu Besuch in München weilte und nie die Absicht hatte, ihren Wohnsitz in Konstanz aufzugeben, erhielt sie dann doch eine Entschädigung für ihren beschlagnahmten Besitz, für ihre konfiszierten Wertsachen und für die Judenvermögensabgabe.

Elsa Falkenstein starb am 10. Juli 1949 in München; sie wurde eingeäschert, ihre Urne aber auf dem Hauptfriedhof in Konstanz beigesetzt.

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Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: N.N.

Quellen & Literatur:

Quellen:
Stadtarchiv Konstanz
Stadtarchiv Freiburg, F 196/1 Nr. 3960; F 166/3 Nr. 4461; P 303/4 Nr. 550
Bundesarchiv Bern, E 4264, Dossier 06325
Stadtarchiv Göppingen
Staatsarchiv Thurgau, Dossier W. Meyer-Zeller, Signatur: 9'35, 1.12/85
Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques Pau, Cote 72W60
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