Samuel
SEEWALD

1970 - 1945 I
Bodanstraße 4
Stolperstein verlegt am 01.11.2019
Samuel SEEWALD Bodanstraße 4

Flucht am 20. Dezember 1941 per Schiff von Havanna nach New York

Samuel Seewald wurde am 20. September 1870 in Gambach geboren, einer Gemeinde in der Nähe der Stadt Münzenberg in der hessischen Wetterau. In Gambach gab es 1870 eine kleine jüdische Gemeinde; von den 1400 Einwohnern waren 70 Juden. An jüdischen Einrichtungen gab es eine Mikwe (jüdisches Ritualbad), eine Synagoge, eine Schule und einen Friedhof. Die jüdischen Familienvorstände waren als Händler und Kaufleute sowie im Vieh-, Getreide und Landes­produkten­handel tätig. Die jüdische Gemeinde gehörte zum liberalen Provinzrabbinat Gießen.

1903 kam Samuel Seewald nach Konstanz und eröffnete ein Geschäft für Aussteuer- und Textilwaren. Wo er den Beruf des Textilkaufmannes erlernt hat, ist nicht bekannt. Sein Geschäft befand sich zunächst an der wenig repräsentativen Oberen Laube, später in der Münzgasse und schließlich am Bodanplatz 2. 1909 wurde das mittelalterliche Haus am Bodanplatz abgerissen und durch ein repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus ersetzt, geplant vom renommierten Konstanzer Architekturbüro Ganter & Picard. Sein Geschäft lag jetzt im kommerziellen Zentrum von Konstanz und hatte ab 1935 als Adresse Saarlandstraße 18 (bis 1933 Bodan­straße).

Das Geschäft war auf zwei Etagen untergebracht und hatte ein großes Schaufenster zur Rosgartenstraße hin, wo auch der Eingang zum Geschäft war. In der oberen Etage befanden sich Büro und Lager. Das Geschäft von Seewald lag direkt neben dem Textilgeschäft „Merkur“ der Brüder Isi und Hermann Simon.

1904 heiratete Samuel Seewald Klara, geb. Weil. Seine Frau war gebürtige Konstanzerin. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Meta (9. April 1905 – 4. Mai 1994) und Walter Joseph (10. November 1912 – 5. Dezember 1970). Wie alle wehrfähigen Juden wurde auch Samuel Seewald, trotz seines relativ hohen Alters, im Ersten Weltkrieg eingezogen. Laut Mobil­machungs­aushang von 1914 waren „alle nach dem 2. August 1869 geborenen Reservisten gestellungs­pflichtig“, und dazu gehörte auch Seewald. Von Oktober 1916 bis November 1918 war er Soldat, ob an der Front oder in der Etappe ist nicht geklärt.

Das Geschäft von Samuel Seewald war ein Familien­unternehmen. Wenn er auf Reisen in der Schweiz und im süddeutschen Raum unterwegs war, und das war recht häufig, führte seine Frau Klara das Geschäft. Ihre Kinder Walter und Meta mit ihrem Mann Martin Löwenstein arbeiteten ebenfalls im Geschäft mit. Zum Personal gehörten auch noch zwei Lehrmädchen. Das Geschäft ging gut, viele Beamte und besser Verdienende waren unter seinen Kunden. Als die Nazis am 1. April 1933 zum reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen, wurde auch an das Schaufenster von Seewalds Geschäft ein Plakat mit der Aufschrift „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ angebracht. Viele Konstanzer machten jetzt einen Bogen um das Geschäft. 1938 musste er wegen Kündigung der Geschäftsräume das Warenlager unter Wert verkaufen und sein Geschäft aufgeben.
 
Samuel Seewalds Schwiegersohn Martin Löwenstein (14. Juli 1901 – 22. Juli 1988) erkannte rechtzeitig die Zeichen der Zeit und emigrierte mit seiner Frau Meta im September 1938 nach Chicago in die USA; sie nannten sich jetzt Livingston.
 
Auch für ihren minderjährigen 16-jährigen Sohn Walter sah das Ehepaar Seewald keine Zukunft mehr in Deutschland. Da die Vorbereitung für die Emigration wahrscheinlich Monate dauerte, hatten die Seewalds wohl schon längere Zeit vor der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 die nötigen Schritte eingeleitet. Am 12. November, zwei Tage nach der Pogromnacht, wurde ihr Sohn Walter verhaftet und als „Funktionshäftling“ in das KZ Dachau eingeliefert. Zusammen mit ihm wurden noch weitere 60 Konstanzer Juden nach Dachau deportiert. Am 2. Dezember kam er wieder frei. Am 20. Dezember 1938 konnte er in die USA ausreisen. Es ist anzunehmen, dass sein Schwager Martin Löwenstein das Affidavit (finanzielle Bürgschaft) für ihn besorgt hat. So fand er denn auch Aufnahme bei seinem Schwager und seiner Schwester Meta in Chicago.
 
Viel zu spät kümmerte sich Samuel Seewald um seine eigene Emigration. Wie seine Kinder wollte auch er in die USA auswandern. Auf seiner Einwohnermeldekarte befindet sich ein Eintrag von Ende Juli 1939, der lautet: „Möchte nach Amerika auswandern. Hat hohe Nummer. Kann noch Jahre dauern.“ Ein Gesetz aus dem Jahre 1924 (Johnson Act) erlaubte die jährliche Einwanderung von nur 25.000 Juden in die USA. Angesichts der Massenauswanderung von Juden aus Deutschland nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 war diese Zahl natürlich schnell erreicht. Anfang Juli 1940 musste das Ehepaar Seewald seine angestammte Wohnung in der Bodanstraße 4 verlassen und in ein sogenanntes Juden­haus in der Bodanstraße 25 umziehen. Juden­häuser waren im Nazi-Behördendeutsch Häuser, die Juden gehörten und in denen nur Juden wohnen durften.

Am 20. Oktober 1940 wurden Samuel Seewald mit seiner Frau Klara, zusammen mit 108 anderen Konstanzer Juden, in ein Lager nach Gurs im Südwesten Frankreichs deportiert.
 
Samuel Seewald war zu diesem Zeitpunkt bereits 70 Jahre alt. Offensichtlich hatte ihm die tagelange und beschwer­liche Fahrt nach Gurs so zugesetzt, dass er schon nach wenigen Tagen in die Krankenstation des Lagers verlegt wurde, da auf seiner Personalkarte “Hopital“, also Spital, d.h. Krankenstation, vermerkt ist.
 
Anfang März 1941 wurde er in das Männerlager „Les Milles“, eine aufgelassene Ziegelei in Aix-en-Provence, verlegt.
 
Ende März 1941 erhielten er und seine Frau Klara die Erlaubnis, in die Vereinigten Staaten auszureisen. Die nötigen Einreisepapiere, speziell das Affidavit, eine beglaubigte Bürgschaftserklärung für politisch und rassisch verfolgte Emigranten, hatte ihr Schwiegersohn Martin Livingston in Chicago beschafft.
 
Anfang April 1941 sahen sich die Eheleute Seewald in Marseille wieder. Aber erst Ende August 1941 wurden beide offiziell aus dem Gewahrsam der französischen Behörden entlassen. Samuel Seewald war 10 Monate und 16 Tage in Frankreich inhaftiert.
 
Von Marseille aus fuhren sie mit der Bahn nach Lissabon. Anfang Dezember 1941 verließen sie per Schiff den Hafen von Lissabon und fuhren nach Havanna/Kuba. Von dort aus war für den 11. Dezember die Weiterreise mit der S.S. Florida nach Miami geplant, die sie jedoch nicht wahrnahmen.
 
Vielmehr fuhren sie am 20. Dezember 1941 per Schiff, mit der S.S. Mexico, von Havanna nach New York, wo sie am 23. Dezember eintrafen.
 
Von New York ging es auf dem Landweg nach Chicago, wo ihr Schwiegersohn Martin und Tochter Meta Livingston sie schon erwarteten.
 
Nach dem Krieg weilte ihr Sohn Walter als amerikanischer Soldat kurze Zeit in Konstanz, um Nachforschungen über den Verbleib des elterlichen Hausrats anzustellen. Er hatte keinen Erfolg; dieser wurde am 6. und 7. Januar 1941 im Konzil öffentlich versteigert – wie auch der Besitz aller anderen nach Gurs deportierten Juden. Samuel Seewald hat seine Heimatstadt Konstanz nie wieder gesehen – ganz sicher aber wird der Sohn seinem Vater von Konstanz erzählt haben.
 
Samuel Seewald starb am 11. Juni 1945 in Chicago, Illinois.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Dr. Ronald Hübner

Quellen & Literatur:

Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques, Pau, Frankreich.
Stadtarchiv Konstanz.
Staatsarchiv Freiburg, Entschädigungsakten F 196/1 3114, F 166/3 6495, P303,4 2554.
Ancestry.com.
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Familienmitglieder

Klara
SEEWALD, geb. WEIL

1882 - 1960 I
Bodanstraße 4

Walter Joseph
SEEWALD

1912 - 1970 I
Bodanstraße 4