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Stolpersteine Konstanz

Navigation: Steine nach Strassen > Bodanplatz 10, Rosa SCHRIESHEIMER

Brief aus dem Lager Gurs an Sohn Hugo, 04.10.1943

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4.10.1943  Mein lieber Hugo!  Wie du siehst, schreibe [ich] immer noch von hier u. wird unsere Reise von einem Tag auf den anderen verschoben. Wir hätten letzte Woche schon wegkommen sollen, dann hieß es wieder als heute, nun ist es nochmals auf Mittwoch festgesetzt worden. Ob es aber dabei bleibt, ist auch noch nicht ganz sicher, aber ich will dich doch nicht solange von uns ohne Nachricht lassen. Natürlich, wenn wir am Bestimmungsplatz angelangt sind, werde [ich] dich sofort benachrichtigen. Wir sollen nach Monein kommen, das ist zwischen Pau und Navarrenx. In Monein soll ein Krankenhaus sein; es wäre ein Städtchen mit ungefähr 3000 Einwohnern. Wenn nur [der] l. Vater die Fahrt gut übersteht; um dies ist mir bange. Es ist ja nicht weit von hier, ungefähr 20 km entfernt. Das ganze Camp hier wird aufgelöst. Es sollen nur ungefähr noch 40 Mann hierbleiben zur Aufrechterhaltung des Camps, sagt man. Deine beiden Schreiben vom 15. und 17. 9. sind uns an Eref-Jontef abends [zugestellt] worden, was mich sehr freute, daß [ich] wenigstens auf Jontef etwas von dir hörte. Für die guten Wünsche danke [ich] dir herzlich, u. will ich hoffen, daß wir uns im neuen Jahr wieder sehen und sprechen können. Das ist mein höchster Wunsch. Inzwischen hoffe ich, daß du Rosh Hashana in B. gut verbracht hast, u. nehme ich an, daß du Jom Kippur in Z. warst, denn bis du diesen Brief erhältst, ist dieser Tag auch vorüber. Wir wollen hoffen, daß dieser Tag für uns alle nur zum Guten ist. Ich habe von Rosh Hashana nichts gehört und gesehen weiter, denn beim Gottesdienst war ich nicht, da ich vom l. Vater ja nicht weg kann. Es hat kaum Minjan gegeben; sie mußten die Leute noch zusammenrufen, trotzdem noch genügend Leute hier sind. Von den Lieben in N. habe [ich] G.l. immer guten Bericht. Sie schreiben aber nichts davon, daß [der] l. Max einen Betriebsunfall hatte; [ich] will hoffen, daß bei diesem Unfall keine nachteiligen Folgen zurückbleiben, denn mit den Augen ist es zu

gefährlich. Von den Lieben erhielt ich auf Jontef ein gutes Emmachen-Paket (?) mit einem selbst gebackenen Teekuchen, ein pain epice (Honig­kuchen) und sehr gute Äpfel, u.[nd] war ich sehr froh darum, hatten wir doch etwas vom Jontef verspürt. Um Geld habe ich auch geschrieben u. werde dieser Tage etwas erhalten. Wenn du mir ein Buch schicken könntest, wäre mir dies recht. [Ich] habe an Simon deshalb schon geschrieben, aber anscheinend gibt es noch keine dorten. Sobald zu haben sind, werde er eins senden, schreibt er. Auch soll [ich] dir die besten Grüße u. Wünsche von ihm schreiben, da sie nicht dies extra tun möchten. Von Berta Dreifuss erhielt [ich] dieser Tage ein Päckchen mit 2 Dosen Sardinen; [ich] habe mich wirklich gefreut damit. Judith Rothschild und Frau M. Heim haben mir auch eine Karte geschrieben; sie sind immer sehr anhänglich. Frau Rothschild schreibt immer sehr nett.

Du fragst an, ob noch viele jüngere Leute hier sind. Die meisten sind schon längst fort; auch Friedmann ist nicht mehr hier. Wohin sie kamen, weiß man nicht. Es sind meistens noch ältere Leute hier, und die kommen auch alle weg. Mein Schreiben vom 28.9. wirst du inzwischen erhalten haben. Sonst wüßte [ich] für heute nichts Besonderes mehr. [Ich] erwarte bald wieder deine weiteren Zeilen. Halte weiter gute Feiertage, bleibe gesund, sei tausendmal gegrüßt und geküßt vom l. Vater sowie von deiner Mutter

Rosa

Schreibe mir nur vorerst hierher, bis [ich] dir meine andere Adresse angeben kenn, denn die Post wird ja nachgeschickt.

 

(Notiz von Hugo Schriesheimer: "beantwortet 26.10.")

 

Quelle:

Erhard Roy Wiehn (Hg.), Die bittere Not begreifen - Deutsch-jüdische Deportiertenpost aus südfranzösischen Internierungslagern im Kontext der Hilfsaktion der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen Thurgau/Schweiz rund 75 Jahre danach zur Erinnerung 1940-1945. Vorwort Margot Wicki-Schwarzschild. 255 Seiten. Hartung-Gorre Verlag Konstanz: August 2016. ISBN 978-3-86628-571-2
 
Dank an Erhard Roy Wiehn für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.