Josef
PICARD

1879 - 1946 I
Conrad-Gröber-Straße 8
Stolperstein verlegt am 27.06.2014
Josef PICARD Conrad-Gröber-Straße 8

Das Architekturbüro Ganter & Picard hat mit seinen Bauten wesentlich das Stadtbild von Konstanz geprägt

Josef Picard wurde am 8. September 1879 in Konstanz geboren. Seine Eltern waren Julius und Babette, geb. Rothschild. Er hatte zwei Geschwister: Ludwig (1878-1923), verheiratet mit Melanie, geb. Gug­genheim (1885-1957), eine Schwester seiner Frau Hedwig Henriette, und Laura (1877-1962), verheiratete Rothschild, die 1941 in die USA emigrierte.

Nach dem Schulbesuch in Konstanz an der Zeppelin Oberrealschule studierte Picard von 1900 bis 1906 mit Unterbrechungen an der TH Stuttgart Architektur. Da er kein Abitur hatte, sondern nur das sogenannte „Einjährige“ (Abgangszeugnis der Obersekunda), das zur Offizierslaufbahn berechtigte, konnte er sich nur als außerordentlicher Hörer einschreiben.

Nach seinem Studium war er zunächst Polier bei der angesehenen Baufirma Walther in Konstanz. 1909 gründeten er und Hermann Ganter (1875 – 1946) ein Architekturbüro. Bereits 1911 zeigte sich seine besondere Begabung, als er beim Wettbewerb zur Errichtung einer jüdischen Kinderheilstätte (Friedrich-Luisen-Hospiz) in Bad Dürrheim, zu dem nur jüdische Architekten eingeladen waren, den zweiten Preis gewann; den ersten Preis gewann der renommierte Architekt Arthur Abraham Lehmann aus Mannheim.

Im Ersten Weltkrieg war Josef Picard Soldat.

Am 9. Novemer 1914 heiratete Josef Picard Hedwig Henriette, geb. Guggenheim. Sie war die Tochter des Konstanzer Arztes Dr. Daniel Guggenheim, der Arzt bei der freiwilligen Feuerwehr und Leiter des Rettungswesens in Konstanz war. Das Ehepaar hatte einen Sohn, Peter Julius, geb. am 7. Januar 1919 in Konstanz.

Josef Picard engagierte sich in vielfältiger Weise im gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt. Er war im Vorstand des Kur- und Verkehrsvereins Konstanz und mehrere Jahre Vorsitzender der Konstanzer Ortsgruppe des Bundes Deutscher Architekten (BDA). Picard bekannte sich zum Judentum, da er Mitglied der jüdischen Gemeinde war. Seine hervorragende Stellung in der Stadtgesellschaft zeigte sich auch darin, dass er Mitglied der liberalen Freimaurerloge „Constantia zur Zuversicht“ war. Andere jüdische Mitglieder waren, soweit bekannt, der Rechtsanwalt Leo Rothschild, der Inhaber des Schuhversandhauses Siegfried Haberer und der 1912 verstorbene Stadtrat Emanuel Rothschild.

Als Vorsitzender der Ortsgruppe Konstanz des BDA hielt er öffentliche Vorträge über den Beruf des Architekten und seine Stellung in der Gesellschaft. Seine Arbeit, so Picard, gebe der Zeit und ihrer Kultur das „bleibende Gepräge“. Der Zeitgeist müsse im Werk des Architekten seinen Ausdruck finden. Für den Beruf des Architekten brauche es „Seele, Herz und Sinn“. Der Architekt habe in gewisser Weise eine Kulturmission zu erfüllen.
 
Josef Picard war Mitglied der Deutschen Demokra­tischen Partei (DDP), die während der Weimarer Republik den politischen Liberalismus repräsentierte. Seit September 1920 war er Mitglied des Bürger­ausschusses, der alle vier Jahre von der Bevölkerung gewählt wurde.
 
In den frühen 1920er Jahren engagierte sich Josef Picard stark in der kommunalen Wohnungspolitik. Angesichts der akuten Wohnungsnot in Konstanz nach dem Ersten Weltkrieg prüfte er als Mitglied einer städtischen Kommission den Einbau von Dachwohnungen in Einfamilienhäusern. Als wirt­schaftlich denkender Architekt hatte er aber auch immer die Interessen der privaten Architekten gegenüber dem städtischen Hochbauamt, verkörpert durch den Stadtbaumeister Paul Jordan, vertreten. 1923 schlug Picard die Gründung einer gemein­nützigen Baugenossenschaft aus Architekten und Bauunternehmern vor. Dieser Gedanke führte 1924 zur Gründung der WOBAK, der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft der Stadt Konstanz. Ziel der WOBAK war die „Förderung des kleinen Wohnungs­baues für die minderbemittelte Bevölkerung“, wie es in der Satzung hieß.
 
Das Architekturbüro Ganter & Picard hat mit seinen Bauten wesentlich das Stadtbild von Konstanz geprägt. Das markante Eckhaus Rosgartenstraße / Neugasse wurde 1908-1909 gebaut. Das bekann­teste Werk des Büros ist wohl das prachtvolle Gebäudeensemble Markstätte 17-21 aus den Jahren 1912/1913; Aufraggeber waren die jüdischen Geschäftsleute David Casewitz, Jakob Leib und Abraham Lippmann.

Auch der Umbau des Eckgebäudes Rosgartenstraße / Bodanstraße, in welchem sich die beiden jüdischen Textilgeschäfte von Samuel Seewald und der Brüder Simon (Kaufhaus Merkur) befanden, wurde von Ganter & Picard realisiert. Schließlich sollen noch das „Schreiberhäusle“ der jüdischen Schriftstellerin Alice Berend, die „kleine Fontane vom Bodensee“, wie sie genannt wurde, in der Eichhornstraße 22, und das Vereinsheim des Arbeiter-Sportklubs „Bahn-frei“ 1925 im Lorettowald erwähnt werden.
 
Ende der 1920er / Anfang der 30er Jahre erfolgten eine Reihe von Umbauten von Geschäftshäusern in der Konstanzer Innenstadt, wie des renommierten Hotels Hecht am Fischmarkt, des Schuhhauses Bottina Ecke Rosgarten- / Bodanstraße, des Feinkostgeschäftes Eugen Fasnacht in der Kanzleistraße 12 und des Möbelhauses Trefzer in der Bodanstraße.
 
In den Jahren 1920 bis 1924 planten Ganter & Picard den Um- und Ausbau das Bootshauses und die Zuschauertribüne des Rudervereins Neptun e. V. Konstanz. Als begeisterter Wassersportler war Picard selbst Mitglied des Rudervereins. 1925 erhielt das Architekturbüro von der WOBAK den Auftrag, mehrere Häuser in der Döbelestraße (5, 5a, 7, 7a und 38) zu bauen.
 
Den Umbau des Kaufhauses Klopstock in der Rosgartenstraße 27 im Jahr 1931 im Stil der Neuen Sachlichkeit plante Picard zusammen mit dem renom­mierten Mannheimer Architekten Jakob Friedrich Morkel. Es war das erste und einzige Gebäude in Konstanz im Stil der Neuen Sachlichkeit.
 
Auch für die Sierenmoos-Siedlung in Konstanz-Petershausen plante das Architekturbüro Picard & Ganter in den frühen 1920er Jahren einige Häuser. Die Renovierung der Konstanzer Synagoge in der Sigismundstraße, die bei einem Brand­anschlag am 1. November 1936 erheblich beschädigt worden war, über­nahm Josef Picard in eigener Verantwortung.

Im November 1924 beschäftigte sich die Stadtverwaltung Konstanz mit der Frage, wie die Stadt für Touristen attraktiver werden könnte. Im Vordergrund standen zwei Großprojekte: Der Bau des Bodenseestadions, das 1935 von den Nazis als „Bodenseekampfbahn“ realisiert wurde, und der Ausbau des Freibads am Horn (Hörnle). Neben anderen Persönlichkeiten der Stadt wie Dr. Büdingen, Kommerzienrat Wilhelm Stiegeler von der Stromeyer Lagerhausgesellschaft und der Flugpionier Willy Truckenbrodt sprach sich auch Picard als Vertreter der Konstanzer Architekten für die rasche Realisierung dieser beiden Projekte aus.
 
Das Architekturbüro Ganter & Picard beteiligte sich an mehreren Wettbewerben in der näheren Umgebung von Konstanz und konnte auch einige Projekte realisieren. Zu nennen sind der Neubau des Gasthofes „Adler“ in Ludwigshafen (1911), das Wohn- und Geschäftshaus Guggenheim 1912 in Singen, der Neubau der Grundschule in Löffingen im Schwarzwald 1923 oder das Strandbad Reichenau am Bauernhorn Reichenau-Mittelzell 1927. 1930 erfolgte nach seinen Plänen die Erweiterung des jüdischen Krankenhauses in Gailingen. Beim Wett­bewerb 1933 um die Neugestaltung des Strandbades in Meersburg gewann der einheimische Architekt Walter Netscher den ersten Preis. Der zweite Preis ging an das Büro Ganter & Picard, das auch die Detailplanung für das Strandbad ausführte. Am 3. Juni 1934 wurde das Strandbad eröffnet.
 
1933 musste Picard auf Druck der Nazis aus seinem Architekturbüro ausscheiden, weil er Jude war. An seine Stelle trat der bekannte Bauhausarchitekt Hermann Blomeier (1907-1982). Bis zu seiner Emigration unterhielt Picard noch ein kleines Büro in der Schützenstraße 1, das sich vornehmlich Repara­turarbeiten widmete. Anfang Oktober 1939 musste die Familie Picard ihre geräumige Erdgeschoß­wohnung in der Wilhelmstraße 8 räumen und in ein „Judenhaus“ in der Bodanstraße (damals Saar­landstraße) 22 umziehen. Judenhäuser waren im Nazi-Jargon Häuser, die Juden gehörten und in denen nur Juden wohnen durften. Seine geräumige, vermietete 5-Zimmerwohnung in der Zasiusstraße 9 musste er weit unter Wert verkaufen.
 
Josef Picard hatte eine Schwester mit Namen Laura, die mit Wilhelm Rothschild aus Worblingen verheiratet war. Das Ehepaar lebte in Straßburg. Nach dem Tod ihres Mannes 1912 übersiedelte Laura Anfang 1916 nach München. Anfang 1936 zog sie zu ihrem Bruder nach Konstanz. Wahrscheinlich waren die zunehmenden antisemitischen Übergriffe in der „Stadt der Bewegung“ der Grund ihres Umzugs nach Konstanz. Als Josef Picard Anfang Oktober 1939 seine Wohnung in der Wilhelmstraße aufgeben musste, wurde auch Laura Rothschild von der Stadtverwaltung Konstanz eine neue Wohnung in der Brauneggerstraße 16 zugewiesen. Anfang Mai 1940 gelang ihr die Emigration in die Schweiz, wo sie einige Zeit in Stansstad im Kanton Nidwalden wohnte. Mitte Juli 1941, wenige Monate vor dem Kriegseintritt Amerikas, gelangte sie mit dem Schiff von Lissabon nach New York. 1962 starb sie in San Francisco.
 
Nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 betrieb Josef Picard die Auswanderung in die USA. Wegen des Versuchs, Wertsachen illegal in die Schweiz zu trans­ferieren, wurde Hedwig Picard am 6. Juni 1939 vom Amts­gericht Konstanz zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt, worauf drei Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden. Sie hatte gegen das Devisenbewirt­schaftungsgesetz vom 12. Dezember 1938 verstoßen, das die Ausfuhr von Auswanderer-Umzugsgut verbot. Am 20. Juni 1939 wurde sie in das Gefängnis von Bruchsal eingeliefert.
 
Am 18. März 1940 gelang es Josef Picard und seiner Frau Hedwig schließlich Konstanz zu verlassen. Am 23. März schiffte sich das Ehepaar Picard in Genua auf der „SS Washington“ nach New York ein. Am 1. April 1940 betrat das Ehepaar amerikanischen Boden. Von New York ging es weiter nach San Francisco.
 
In Los Angeles fand das Ehepaar schließlich eine neue Heimat. Josef Picard nahm eine Stelle als Hausmeister an, war mit der Arbeit aber sehr unglück­lich. Seine Frau meinte, er habe den sozialen Abstieg nicht verwunden und sei an gebrochenem Herzen gestorben. Am 27. August 1940 wurde Josef und Hedwig Picard die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, im Mai 1946 erhielten sie die amerikanische Staatsbürgerschaft.
 
Josef Picard starb am 31. August 1946 in Los Angeles, im Alter von 67 Jahren
 
Hedwig Picard überlebte ihren Mann um mehr als 30 Jahre. Sie starb hochbetagt am 16. Oktober 1979 in Los Angeles in Kalifornien.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Roland Baumgärtner

Quellen & Literatur:

Staatsarchiv Freiburg, Akten F 196/1 Nr. 5822; F 166/3 Nr. 5904; F 166/3 Nr. 7263; F 167/2 Nr. 270.
Konstanzer Volksblatt. Konstanz 1920 - 1933.
Stockacher Tagblatt 1910 – 1934.
Informationen von Frau Regina Kraus-Hitzel aus Ravensburg (April 2014).
Ancestry.com: zahlreiche Dokumente.

Literatur:
Aus der Tätigkeit der Architekten Ganter und Picard B.D.A. Konstanz. Barmen 1940.
Erich Bloch, Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Dokumentation. Konstanz, Rosgarten Verlag, 1971, S. 217 – 219.
Dieter Schott: Die Konstanzer Gesellschaft 1918-1924. Konstanz 1989 (Schriftenreihe des Arbeitskreises für Regionalgeschichte Bodensee e.V., Band 10)
Deutsche Bauzeitung 1911, Bd. 45, S. 136.
Deutsche Konkurrenzen, 1910, Bd. 25, S. 71.
Neudeutsche Bauzeitung, Bd. 7/1911, S. 112.
Gailingen. Geschichte einer Hochrhein-Gemeinde. Hrsg. Von Franz Götz. Gailingen und Tübingen 2004 (Hegau-Bibliothek, Band 9, 3578.
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Familienmitglieder

Hedwig Henriette
PICARD, geb. GUGGENHEIM

1892 - 1979 I
Conrad-Gröber-Straße 8

Peter Julius
PICARD

1919 - 2013 I
Conrad-Gröber-Straße 8