Helene Levinger, geb. Geismar, wurde am 18. Mai 1880 als Tochter von Kantor Alexander Geismar in Bretten geboren. Bereits als Kleinkind kam sie nach Konstanz, nachdem ihr Vater, selber gebürtig aus Breisach, ab 1881 in Konstanz als Kantor, Prediger und Religionslehrer der traditionell-liberalen Israelitischen Gemeinde Konstanz angestellt wurde. Über ihre Kindheit ist wenig bekannt. Ihr Vater amtierte bis 1923 in seiner Stelle in Konstanz und starb im Mai 1925.
Um die Jahrhundertwende heiratete Helene Geismar den Textilkaufmann Emanuel Levinger, mit dem sie in der Wohnung über dem eigenen Ladengeschäft des neu erworbenen Hauses in der Bahnhofstraße lebte.
Zusammen hatten sie zwei Töchter, Elise (genannt Liesel, geb. 23. August 1903, spätere Ehefrau von Dr. Erich Bloch) und Klara. In der Familie wurden die religiösen Gesetze sehr geachtet und die Speisen wurden koscher zubereitet, insbesondere an den hohen Feiertagen wurden diese Gesetze strengstens befolgt.
Helene und Emanuel waren Inhaber eines Wäsche- und Aussteuergeschäfts in der Bahnhofstraße 10, das für seine ausgewählte, gute Qualität sehr geschätzt und beliebt war und Kunden auch weit außerhalb con Konstanz hatte. Während ihr Mann häufig auswärtige Kunden besuchen und betreuen musste, arbeitete sie im Ladengeschäft in der Bahnhofstraße mit.
Als infolge des Judenboykotts der Umsatz im Laden sehr rasch zusammenbrach, entschloss sich der inzwischen bereits 68jährige Emanuel Levinger unter dem entstehenden finanziellen Druck das Geschäft mitsamt des Wohnhauses zu verkaufen. Aufgrund persönlich erlebter Anfeindungen und antisemitischer Vorfälle beschlossen Emanuel und Helene selber auch Konstanz bald zu verlassen. Bereits im Frühjahr schlossen sie den Laden endgültig und verkauften das Anwesen im September 1933.
Ihre Tochter Liesel, verheiratet mit dem ebenfalls aus Konstanz stammenden Dr. Erich Bloch, war bereits im Frühjahr 1933 mit ihrem Mann und der am 19. Oktober 1932 in Konstanz geborenen Tochter Elisabeth auf ein Landgut in Horn am Untersee gezogen. Auslöser dafür war die Machtergreifung Adolf Hitlers und der direkt einsetzende Prozess der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden.
In dem Landgut hoffte das Ehepaar Bloch sich selbst versorgen zu können und damit Unabhängigkeit zu erlangen, gerade da Dr. Bloch als Journalist und Verlagsleiter mit der Machtergreifung kaum noch eine Chance hatte, seine Arbeit wie bislang fortzuführen. Zudem erhofften sie sich auf dem Land eine weniger antisemitische Stimmung. Auf diesem Hof richtete Erich Bloch seinen Schwiegereltern eine bescheidene Wohnung in einem umgebauten Teil der Scheune ein, in die Helene und Emanuel Levinger noch 1933 einzogen.
In Horn am See wurden am 25. Januar 1935 und 24. Juni 1938 noch zwei weitere Enkelkinder, Eva und Michael, geboren. Da Erich und Elise auf dem biologisch-dynamisch geführten Hof und der angeschlossenen Gärtnerei bereits seit 1933 auch junge jüdische Menschen in der Landwirtschaft anlernten und so auf eine künftige Auswanderung vorbereiteten, gab es für Helene und ihren Mann stets viel zu tun.
Spätestens nach den brutalen Überfällen der Reichspogromnacht, war auch Helene und Emanuel die absolute Notwendigkeit einer endgültigen Ausreise aus Deutschland bewusst geworden, was angesichts der limitierten finanziellen Mittel und vor allem aufgrund der strengen Quoten möglicher Aufnahmeländer überaus schwierig war.
Da Helenes Tochter Klärle die Ausreise mit ihrem Mann bereits Anfang 1938 gelungen war, konnte sie sich aus den USA aktiv um ein Zertifikat und die nötige Bürgschaft für die Eltern kümmern.
Nachdem Erich Bloch, der am Abend des 10. Novembers 1938 von (vermutlich Radolfzeller) SS-Männern in Horn am See fast zu Tode geprügelt wurde, sich daher unter Zeitdruck entschlossen hatte, das Landgut schnell und weit unter Wert zu verkaufen, zogen Helene und Emanuel Levinger zusammen mit der Familie der Tochter, also Liesel und Erich Bloch und den drei Kindern Elisabeth, Eva und Michael, zu dem Zeitpunkt sechs, vier und nicht einmal ein Jahr alt, im April 1939 zurück nach Konstanz.
Hier kamen sie zu siebt in dem Haus der Großmutter Geismar in der Zogelmannstraße 16 unter, die kurz zuvor in die USA ausreisen durfte und nahezu den gesamten Hausrat hatte zurücklassen müssen.
Trotz Bemühungen der Schwester Klärle war die direkte Ausreise in die USA nicht möglich, es konnte jedoch ein Transitvisum für England besorgt werden und so konnten Helene und ihr Mann Emanuel Konstanz am 7. August 1939 in Richtung London verlassen. An eine Weiterreise in die USA zur Tochter war aufgrund des Kriegsausbruchs jedoch nicht mehr zu denken.
So lebte Helene mit ihrem Mann sechs Jahre unter sehr prekären Verhältnissen in England, ehe sie 1946 ihre Tochter in den USA erreichen konnten. Nachdem Emanuel am 27. März 1949 in New York verstarb, wollte Helene nicht länger dort bleiben, zumal ihre Tochter Liesel mit Mann und Enkelkindern im Herbst 1939 in letzter Minute nach Palästina gekommen waren und nun in Naharia lebten – und helfende Hände dringend benötigten.
Etwa 1950 wanderte Helene Levinger nach Israel aus und erreichte die Siedlung ihrer Tochter und Enkelkinder in Naharia. Sie half dort unermüdlich und mit großem Arbeitseinsatz in der Wäscherei, die Erich und Liesel eröffnet hatten. Ihre Urenkel erinnern sich auch heute gerne an Helene, die immer fleißig war. Noch bis ins hohe Alter fertigte sie mit einer Klöppeltechnik feinste Spitzen.
Helene Levinger starb am 24. Februar 1973 im Alter von 93 Jahren in Naharija, Israel.