Anna
FÜRST, verh. NAIRN

1913 - 1988 I
Rheingasse 15
Stolperstein verlegt am 03.07.2016
Anna FÜRST, verh. NAIRN Rheingasse 15

Überlebenskampf und Neuanfang: Das Schicksal von Anna Nairn

Anna Fürst, auch Anni oder Anne genannt, wurde am 12. Juli 1913 als einzige Tochter der Eheleute Moritz Max Fürst und Salomea Fürst, geb. Schmulewitz in Konstanz geboren. Hier lebte sie mit ihren etwa 1912 nach Konstanz gekommenen Eltern, ab 1920 im Haus in der Rheingasse 15, das ihr Vater 1920/1921 käuflich erwarb.

In den ersten Schuljahren besuchte Anna eigenen Angaben zufolge die Mädchenschule des Klosters Zoffingen. Sie galt als kränkliches Kind. Der Arzt empfahl der 12-Jährigen zur Stärkung und Besserung Ziegenmilch zu konsumieren. Damit diese immer verfügbar sein konnte, richtete der Vater in einem Unterstand im Hof einen Ziegenstall ein, wo er zeitweise sogar zwei Ziegen hielt. Anhaltende Beschwerden der Nachbarn beschäftigten die Ämter über einen längeren Zeitraum, schließlich wurde die Haltung einer Ziege von Amts wegen für einen befristeten Zeitraum ausdrücklich genehmigt.

In Konstanz oder in der Nähe lebten zeitweilig auch engere Verwandte, ein Bruder der Mutter mit seinen Kindern, die 1915 und 1918 in Singen geboren wurden.

Bis 1928 besuchte Anna nach der Volksschule die Friedrich Luisen Realschule, ab 1930 war Anna Fürst Schülerin der Handelsschule. Nach ihrem Abschluss an eben dieser wurde die junge Frau erst Lehrling und schließlich Kontoristin und Sekretärin im Geschäft ihres Vaters. In der Einwohnermeldekarte wird die erwachsene Anna mit dem Beruf Kontoristin aufgeführt.

Wie ihren Eltern wurde auch Anne am 1. Dezember 1933 die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen, auch durfte sie nicht mehr ihren Geburtsnamen Fürst angeben, sondern musste von nun an den Namen mit der polnischen Schreibweise FERZST beibehalten.

Vom 16. Januar 1936 bis zum 21. April 1936 hielt sich Anna Fürst laut dieser Karteikarte in Sonderhausen auf und von Juni bis zum 19. November 1936 war sie in Kolberg, dem heutigen Kolobrzeg.
 
Im April 19391(*) gelang ihr schließlich, vermutlich mit der Hilfe einer in England lebenden Tante, Rose Samuels, die Flucht nach London. Es gelang ihr nicht, Eltern und Großmutter nachzuholen, obwohl sie sich darum sehr bemühte, auch noch nach deren Depor­tation nach Gurs.
 
In England überlebte sie den Krieg und heiratete am 8. September 1946 Ronald NAIRN, mit dem sie 1947 und 1953 zwei Kinder bekam. Sie arbeitete in der Bäckerei ihres Mannes mit. Später trennte sich Anna Nairn von ihrem Mann. Sie lebte in London.
 
Nach dem Krieg reiste sie mehrere Male, auch in Begleitung ihrer Kinder, nach Konstanz und bemüht sich um Rückerstattung des nach der Deportation der Eltern vom Reich enteigneten Hauses. Die Wieder­gutmachungen und Entschädigungsanträge zogen sich noch bis 1962 hin.
 
Bei ihren Besuchen in Konstanz traf sie frühere Freundinnen und Nachbarskindern und erfuhr von dem Verhalten der Mieter und umliegenden Bewohner der Rheingasse 15 unmittelbar nach der Abholung ihrer Familie. Kurz nachdem die jüdischen Besitzer sowie die jüdischen Mieter am 22. Oktober deportiert worden waren, stürmten Nachbarn die leere Wohnung und plünderten Wohnung und Warenlager.
 
Eine Freundin aus Kreuzlingen bewahrte auch Briefe für sie auf, die die Mutter in Gurs geschrieben hatte, doch für Anne ist der Schmerz zu groß und sie bittet die Freundin um Verbrennen derselben.
 
1983 ist sie dabei, als viele ehemalige jüdische Bewohner der Stadt Konstanz nach Konstanz einge­laden werden. Es sollte ihr letzter Besuch in Konstanz werden. Rückblickend sagte sie über ihr Leben, dass sie zwei Leben hatte: „eines in Deutschland und eines in England“.
 
Anna Nairn, geb. Fürst, starb 1988 in England
 

Recherche: Schüler und Schülerinnen der Hegau-Bodensee-Seminargruppe „Spurensuche“: Jessica Böhme, Franziska Eble, Paul Ellsiepen, Linus Kulman, Tim Kuppel, Gaia Quintini, Jasmin Ye mit Petra Quintini und Manuel Boxler
Patenschaft: Wolfram Mikuteit, Sabine Bade

Quellen & Literatur:

Engelsing, Tobias (2015). Das Jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung. Konstanz: Südverlag.
Kurtz, Allen (2016). The Search for Anni Ferszt and the Ferszt Family of Konstanz, Germany: A Family Lost and Found. (Zur Verfügung gestellt von Angehörigen, A.K.).
Staatsarchiv Freiburg: Restitutionsakten StAF F196/1 Nr. 4322; StAF F166/3 Nr. 4021; StAF P303/4 Nr. 1139.
Stadtarchiv Konstanz: Adressbücher aus den Jahren 1912, 1913, 1914, 1916, 1920, 1922, 1925, 1927, 1929, 1930, 1931, 1933, 1934, 1935, 1936, 1937, 1938.
Stadtarchiv Konstanz: Bauakte Rheingasse 15, SXX Nr. 2689.
Stadtarchiv Konstanz: Einwohnermeldedatei und Auskunft aus der Altkartei des Einwohnermeldeamtes (E-Mail-Verkehr mit Frau A.-M. Sana, Juni 2016).

Anmerkungen:
(*)Das genaue Datum ihrer Auswanderung nach England bleibt ungewiss. In der Einwohner-Karteikarte ist ihre Abmeldung zum 27.06.1939 notiert, in den Wiedergutmachungsakten schreibt sie selber von April 1939.
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Familienmitglieder

Moritz Max
FÜRST

1886 - 1942 I
Rheingasse 15

Salomea
FÜRST, geb. SCHMULEWITZ

1888 - 1942 I
Rheingasse 15