Geb.: 05.12.1905, Konstanz
Flucht 1937 1938 Schweiz AUSGEWIESEN 1939 England |
Döbelestr. 2 heute |
Stolperstein für Irene FUCHS |
Mutter: Selma FUCHS
Irene FUCHS Bild: Archiv der Universität Heidelberg
Irene Fuchs wurde am 5.12.1905 in Konstanz geboren. Die Eltern von Irene Fuchs waren Selma, geb. Koblenzer (1882-1944), aus Meersburg am Bodensee, und Sigmund Fuchs (1868-1937) aus Karlsruhe. Beide kamen aus begüterten jüdischen Familien. Der Vater studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg, Berlin und München. 1895 übersiedelte er nach Konstanz und erhielt die Zulassung beim Landgericht. 1901 heiratete er in Konstanz Selma. Sigmund Fuchs arbeitete zeitweise in der Kanzlei des renommierten Konstanzer Anwalts Martin Venedey, der bis 1918 für die linksliberale Deutsche Volkspartei Abgeordneter im Badischen Landtag war. Von den Nationalsozialisten wurde Sigmund Fuchs mit Berufsverbot belegt und gab deshalb am 23.12.1936 seine Zulassung am Landgericht Konstanz zurück. Die Familie Fuchs wohnte im Haus der Schwiegereltern in der Döbelestraße 2. Der Großvater von Irene Fuchs, Jakob Koblenzer (1844-1927), war Mitglied der liberalen Deutschen Freisinnigen Partei, für die er auch Stadtverordneter in Konstanz war. Ihm gehörte um die Jahrhundertwende eine Weberei in Meersburg (die spätere „Hämmerle Fabrik“); er starb 1927; ihre Großmutter Sara starb 1934 in Mannheim. Beide wurden auf dem Konstanzer jüdischen Friedhof beerdigt. Sigmund Fuchs starb am 29.11.1937 in Konstanz und wurde auf dem jüdischen Friedhof in der Schweizer Nachbargemeinde Kreuzlingen-Bernrain bestattet. Selma Fuchs wurde am 22.10.1940 mit 108 anderen Konstanzer Juden nach Gurs im Süden Frankreichs deportiert. Im März 1944 wurde sie in das Sammellager Drancy bei Paris und von dort nach Auschwitz gebracht, wo sie am 30.3.1944 in der Gaskammer ermordet wurde. Auch der Bruder von Selma Fuchs, Arthur Koblenzer, der Arzt in Mannheim war, wurde im Oktober 1940 nach Gurs deportiert und am 10.8.1942 in Auschwitz ermordet. Das Elternhaus von Irene Fuchs waren liberal und säkular eingestellt, d.h. es wurden die traditionellen jüdischen Feste gefeiert, das Judentum als Religion aber nicht praktiziert. Irene Fuchs scheint ein schwieriges Kind gewesen zu sein. In ihrer Grundschulzeit wurde sie ein Jahr lang privat unterrichtet. 1925 machte sie als Externe an einem Knaben-Realgymnasium in Freiburg Abitur. Der liberale Geist in ihrem Elternhaus erklärt vielleicht auch, warum ihre Eltern 1921 den katholischen Pfarrer an der Dreifaltigkeitskirche in Konstanz, Conrad Gröber, um Rat bei der Erziehung ihrer Tochter fragten. Auch die 16jährige Irene Fuchs war daran interessiert, den Stadtpfarrer kennenzulernen. Aus dieser speziellen Erzieher-Zögling-Konstellation entwickelte sich später ein Liebesverhältnis. 1925 machte sie als Externe an einem Knaben-Realgymnasium in Freiburg Abitur.
Wann genau die Beziehung zwischen Gröber und Irene Fuchs begann, ist nicht belegt; zum Bruch kam es jedoch im Juli 1933, als Irene Fuchs Gröber, der 1932 zum Erzbischof von Freiburg ernannt worden war, im Kloster Hegne am Bodensee besuchte und ihm Vorhaltungen wegen seiner Annäherung an den Nationalsozialismus machte. Am 25. April 1933 hatte Gröber die Machtergreifung der Nazis begrüßt und erklärt: „Wir dürfen und wir können den neuen Staat nicht ablehnen, sondern müssen ihn positiv bejahen“. Nach dem Abitur 1925 begann Irene Fuchs mit dem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg. Nach dem ersten Staatsexamen im Frühjahr 1929 trat sie als Referendarin in die badische Justizverwaltung ein. Im Februar 1932 promovierte sie in Heidelberg bei Prof. Gustav Radbruch. Radbruch gehörte der SPD an und war in der Weimarer Republik unter den Reichskanzlern Wirth und Stresemann Justizminister. Radbruch setzte sich vor allem für die Öffnung der Justizverwaltung für Frauen ein. 1922 wurde erstmals eine Frau zum Richteramt zugelassen. Noch 1921 hatte der Deutsche Reichstag Frauen als Schöffen und Geschworene mit der Begründung abgelehnt: „Die Frau steht an Entschlussfähigkeit und der Kraft zu energischem Durchgreifen vielfach hinter dem Manne zurück. Dies birgt die Gefahr einer Verweichlichung der Strafrechtspflege.“ Im Spätherbst 1932 trat Irene Fuchs in Karlsruhe zur zweiten juristischen Staatsprüfung an, die sie aber nicht bestand. Unter den 39 Prüflingen waren auch Juden, sie war aber die einzige jüdische Frau. Der Verdacht liegt nahe, dass Irene Fuchs bei der Prüfung durchfiel, weil sie Frau und Jüdin war.
Nach dem Misserfolg beim zweiten Staatsexamen ging Irene Fuchs viel auf Reisen. Im Frühsommer 1933 war sie in Spanien. Im Sommer 1934 reiste sie nach Palästina. Belegt ist ihr Aufenthalt in Palästina durch einen Brief ihrer Mutter vom 30.8.1934. Darin schreibt sie an ihre Tochter: „Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn Du im dem heiligen Lande keine Muscheln essen würdest“. Muscheln waren nämlich nach dem jüdischen Speisegesetz (Kaschrut) unrein, also nicht koscher, und daher verboten. Ob sich die Tochter an die Mahnung ihrer Mutter hielt, ist nicht überliefert.
Die damals übliche Reiseroute von Europa nach Palästina ging mit dem Schiff von Triest nach Jaffa (Tel Aviv) und von dort weiter auf dem Landweg in das 50 km entfernte Jerusalem. Die Stadt mit ihren orthodoxen bzw. zionistischen Milieus blieb ihr aber fremd; außerdem konnte Irene Fuchs kein Jiddisch, die Umgangssprache in Palästina unter den eingewanderten Juden. Anfang Oktober 1934 kehrte sie wieder zurück nach Konstanz.
Aus Palästina zurück, holte Irene Fuchs ihre inzwischen beendete Beziehung mit Conrad Gröber wieder ein. Denn während sie in Palästina weilte, hatte die Gestapo sowohl gegen Gröber, der inzwischen (1932) zum Erzbischof von Freiburg ernannt worden war, als auch gegen Irene Fuchs ermittelt. Als Gröber sich wegen seiner Beziehung zu Irene Fuchs rechtfertigen musste, leugnete er diese rundweg rundweg ab und bezeichnete sie im Oktober 1936 in einem Rechtfertigungsschreiben an den badischen Gauleiter Robert Wagner als „rachenehmende Jüdin“. Noch zwei Jahre später beklagt sich Gröber in seinem Brief „In eigener Sache“, „dass man […] die Jüdin als Kronzeugen gegen mich als deutschstämmigen Mann […] aufruft und vernimmt.“ Solche Äußerungen brachten Irene Fuchs natürlich in Lebensgefahr. Im November 1936 wurde Irene Fuchs in Offenburg zweimal von der Gestapo verhört. Ihr besorgter Vater warnte sie eindringlich: “Versuche nicht, der Gestapo Widerstand zu leisten. Das wäre, wie wenn eine Fliege gegen einen Berg anrennt“.
Über ihre Freundschaft mit Gröber zog Irene Fuchs 1936 folgendes Fazit: „Ich halte diesen Mann für einen Menschen, der ausschließlich von Ehrgeiz und Machthunger getrieben ist. Ich nehme an, dass er mit dem Ausleben dieser Eigenschaften auch möglichst viele irdische Vergnügungen des Lebens verbindet. Selbst auf die Gefahr hin, dass er mich verklagen würde, erkläre ich, dass dieser Erzbischof ein Gewohnheitslügner ist. […] Er darf von mir das ruhig erfahren, nur das nicht, dass ich ihn einst geliebt habe. […] Ich halte seine ganze Charakterveranlagung für verworren.“ Wegen dieser "unglückseligen Liebe" zu Gröber dachte Irene Fuchs sogar daran, sich das Leben zu nehmen. |
Ende der 20er Jahre scheint sich Irene Fuchs vom Judentum losgesagt zu haben. Jedenfalls bezeichnete sie sich 1932 als konfessionslos, wenn in amtlichen Dokumenten nach der Religionszugehörigkeit gefragt wurde. Neben der „Gröber-Affäre“ dürfte Irene Fuchs auch der zunehmende Antisemitismus in Konstanz Sorgen bereitet haben, wo die Juden wie überall im Reich, immer stärker aus dem öffentlichen und privaten Leben ausgegrenzt wurden. Die „Nürnberger Gesetzte“ von September 1935, die die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden kriminalisierten, trugen sicher zu ihrer Verunsicherung bei. Im Frühjahr 1937 verließ Irene Fuchs für immer ihre Heimatstadt Konstanz; die Reise - diesmal war es eher eine Flucht - ging wie schon einmal nach Jerusalem. Sie wohnte bezeichnenderweise im Ortsteil Talbieh, der hauptsächlich von griechisch-orthodoxen Christen bewohnt war. Im April 1938 verließ sie Palästina und kehrte nach Europa zurück und ließ sich in der Schweiz nieder. Interessant ist, dass Irene Fuchs auch mit dem Gedanken spielte, nach Lettland auszuwandern. Nach einem unblutigen Staatsstreich im Mai 1934 hatte Karlis Ulmanis als „Vadonis“ (Führer) die Macht übernommen. Das Verbot von antisemitischen Parteien und Zeitungen unter der neuen Regierung weckte bei ihr möglicherweise die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit in Lettland.
Am 29. April 1938 mietete Irene Fuchs eine Wohnung in Carabietta (Tessin), unterließ es aber, sich polizeilich anzumelden. Im September 1938 wurde ihr illegaler Aufenthalt von den Behörden entdeckt. Die Polizei des Kantons Tessin gewährte ihr zunächst eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 30. November 1938. Ihr Ansuchen, bis zum 31. Januar 1939 in der Schweiz zu bleiben, wurde abgelehnt. Die Regierung des Kantons Tessin setzte als Ausreisedatum den 5. Dezember 1938 fest. Gegen diese Entscheidung klagte Irene Fuchs am 30. November 1938 vor dem Justiz- und Polizeidepartement des Kantons. Der Einspruch wurde abgelehnt, worauf sie erneut Widerspruch einlegte, diesmal vor dem Schweizer Bundesrat. Gleichzeitig beantragte sie politisches Asyl, „da sie wegen der bekannten Verhältnisse in Deutschland nicht dorthin zurückkehren könne und weil ihr Name dort in einer politischen Angelegenheit genannt worden sei.“ Damit meinte sie wohl die Affäre mit Conrad Gröber. Doch der Bundesrat lehnte ihren Asylantrag ab: „Für Ausländer, die sich erst nachträglich als politische Flüchtlinge zu erkennen geben, kommt solches nicht in Frage“. Am 8. Februar 1939 teilte ihr das Polizeidepartement des Kantons Tessin mit, dass sie die Schweiz bis Ende Februar definitiv zu verlassen habe. Man kann davon ausgehen, dass Irene Fuchs die Schweiz bis zu diesem Datum tatsächlich auch verlassen hat, denn anderenfalls hätte ihr die Ausweisung gedroht. Was die Juden nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 in Deutschland erwartete, konnte sie in der Schweizer Presse nachlesen. Als Juristin wusste Irene Fuchs natürlich, dass sie keine Chance hatte, in der Schweiz als politischer Flüchtling anerkannt zu werden. Dass sie sich trotzdem durch alle Instanzen klagte, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie Zeit gewinnen wollte, bis es ihrem Cousin Heinz Siegmund Fuchs, der bereits 1933 nach England emigriert war, gelungen war, für sie Einreisepapiere bei den britischen Behörden zu erwirken. Ob sie sich von einem deutschen oder französischen Hafen nach England einschiffte, ist unklar, es muss aber vor dem 3. September 1939 gewesen sein, denn an diesem Tag hatten England und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärt. Am 21. Dezember 1939 wurde Irene Fuchs in London als politischer Flüchtling anerkannt. Wie die meisten Emigrantinnen arbeitete sie als Hausangestellte. 1942 meldete sie sich freiwillig zum "Auxiliary Territorial Service" (ATS), eine Art weibliche Heimatarmee, die 1939 gegründet und 1941 auch für ausländische Frauen geöffnet wurde. Am 4. November 1950 wurde Irene Fuchs britische Staatsbürgerin. Irene FUCHS wird am 4.11.1950 britische Staatsbürgerin
Sie wohnte im Haus ihres Cousins Heinz Siegmund Fuchs, der sich nach seiner Einbürgerung 1938 H.S. Foulkes nannte. Verheiratet war H.S. Foulkes seit 1960 mit seiner Assistentin und Cousine Elisabeth Marx, die auch eine Cousine von Irene Fuchs war.
Irene FUCHS Foto: Wellcome Library, London
In London arbeitete Fuchs bei einem jüdischen Rechtsanwalt. Mit Elisabeth Marx (1918-2004), ihrer Cousine, verband sie ein freundschaftliches Verhältnis („We became great friends“). 1947 fuhren die beiden Frauen nach Deutschland. In Konstanz betrieb Irene Fuchs die Rückgabe ihres Elternhauses. Ihr Rechtsanwalt war Hans Jakob Venedey, der 1933 nach Frankreich emigriert war. Von Konstanz ging es weiter nach Karlsruhe, wo Elisabeth Marx wegen der Rückgabe von Vermögenswerten zu tun hatte. Irene Fuchs war jetzt zwar im Besitz ihres Elternhauses, hatte aber keinen Nutzen davon, da das Haus von einer polnischen jüdischen Familie bewohnt war, die das KZ Auschwitz überlebt hatte. Die Wohnung war der Familie vom städtischen Wohnungsamt zugewiesen worden. Im Landkreis Konstanz hielten sich nach Kriegsende neben ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern auch einige hundert Juden auf, sogenannte Displaced Persons (DP), die den Krieg und die Konzentrationslager überlebt hatten. Sie waren in Lagern oder privaten Wohnungen untergebracht und warteten nun auf ihre Ausreise nach Palästina, in die USA oder in andere europäische Länder. Irene Fuchs starb am 16. Februar 1951 mit nur 46 Jahren in London. Ihre Cousine Elisabeth Marx besorgte die Formalitäten für ihre Einäscherung am 21. Februar 1951 im Krematorium des Prominentenfriedhofs Golders Green. Ihre Asche wurde im Friedhofsareal verstreut. Auf dem Friedhof fanden neben bekannten britischen Persönlichkeiten wie Bernard Shaw oder Rudyard Kipling auch Sigmund Freud und seine Frau Martha ihre letzte Ruhestätte.
Das Haus in der Döbelestraße 2, in dem Irene Fuchs geboren wurde, wechselte in der Folgezeit mehrmals den Besitzer, wie die entsprechenden Dokumente im Grundbuchamt Konstanz belegen. Nach der Deportation ihrer Mutter wurde die Einrichtung des Hauses am 13.10.1941 öffentlich versteigert. Auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 fiel das Haus an das Deutsche Reich. In dieser Verordnung heißt es, dass alle Juden, die im Ausland weilen, die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren und ihr Vermögen an das Deutsche Reich fällt. Diese Bestimmung galt auch für alle ermordeten und deportierten Juden, also auch für ihre Mutter Selma Fuchs. Am 15.01.1943 fiel das Haus an die Reichsfinanzverwaltung. Diese verkaufte das Haus im Februar 1944 an die NSDAP. Nach dem Krieg ging das Haus in den Besitz des Landes Baden über. Am 27.4.1949 erfolgte die Überschreibung des Hauses auf Irene Fuchs, die das Haus später ihrer Cousine Elisabeth Marx vermachte. Diese wiederum verkaufte das Haus am 18.03.1952 an die Stadt Konstanz. Das Haus in der Döbelestraße 2 steht heute noch - doch kaum jemand kennt das tragische Schicksal der Familie Fuchs.
Recherche: Uwe Brügmann Patenschaft: belladonna. Frauen & Kultur e.V. |
Quellen: Stadtarchiv Konstanz Grundbuchamt Konstanz Staatsarchiv Freiburg Generallandesarchiv Karlsruhe Gemeindearchiv Carabietta (Tessin/Schweiz) Universität Heidelberg, Archiv Wellcome Library, London |