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Stolpersteine Konstanz

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Der organisierte Widerstand der Arbeiterbewegung Lina Franken: Der aktive und passive Widerstand in Konstanz und Umgebung 1933-45. Copyright by Lina Franken 2000

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3.1 Die regionale Arbeiterbewegung

Nur in den ersten Jahren nach der Machtergreifung Hitlers bestand in Deutschland ein im Kleinen organisierter Widerstand der Arbeiterparteien. Schon 1933 waren diese verboten worden – die KPD am 26. Mai 1933, die SPD am 22. Juni 1933 – und mussten folglich im Untergrund arbeiten. 67

Die SPD organisierte ihre Exilpartei durch Grenzsekretäre; für den Südwesten waren dies Georg Reinbold in Straßburg und Erwin Schoettle in St. Gallen, die sich jedoch vorwiegend für die noch bestehenden Gruppen in Mannheim und Stuttgart einsetzten. Über die Aktivitäten der SPD in Konstanz und Singen ist nahezu nichts bekannt, früh wurden viele Parteimitglieder verhaftet oder gingen ins Exil, die übrigen scheinen – warum auch immer – nicht aktiv gegen den Nationalsozialismus vorgegangen zu sein. 68 „Mit der Aufdeckung der Kontaktgruppen von Schoettle und Reinbold in Baden und Württemberg erlosch der aktive Widerstand [der SPD]. In der Folge ging es für viele Sozialdemokraten darum, Kontakte für die ‚Zeit danach’ aufrechtzuerhalten und im kleinen Kreis ihre ideologische Gemeinsamkeit zu pflegen"  69

Wesentlich aktiver gestaltete sich der Wider­stand der Ortsgruppen der KPD in Konstanz und Singen. Obwohl auch sie durch Auswan­derungen und Verhaftungen – allein in Konstanz wurden 65 Mitglieder von KPD und SPD verhaftet 70 – geschwächt wurde, sind etliche Berichte und Flugblätter 71 erhalten. Neben der Fluchthilfe und dem Schriftenschmuggel 72 richtete sich die Arbeit vorwiegend auf die „Aufklärung vor allem der Arbeiter über den wahren Charakter des Faschismus, Aufklärung vor allem über die drohende Kriegsgefahr." 73

Außerdem „dienten Wohnungen Konstanzer Antifaschisten Kurieren der illegalen KPD oder anderer verbotener Widerstandsgruppen als Zwischenstation auf dem Weg von Deutschland nach der Schweiz (und umgekehrt). Der Konstanzer Widerstand spielte also eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Verbindungen zwischen oppositionellen Gruppen im Exil und den Widerstandsgruppen im Reich" 74

Über erste Verhaftungen 1933 war noch in der Zeitung zu lesen, aus diesem nationalsozialistisch ausgerichteten Bericht erkennt man dennoch, was das Werk der Verhafteten war: „Die verbotene kommunistische Partei gibt keine Ruhe. Sie wühlt und schafft im Verborgenen gegen den Zustand der Ordnung und Sicherheit und gefährdet somit den Wiederaufbau. [...] Hetzmaterial und Waffen wurden sichergestellt. [...] Im Laufe des Vormittages erfolgten 13 Verhaftungen von Personen, die hinreichend verdächtig erschienen, sich im Sinne der verbotenen KPD betätigt haben." 75

Der Singener Georg Blohorn berichtet von seiner Widerstandsarbeit: „Ich arbeitete dann in einer Fünfergruppe. Das waren damals zwei Mitglieder der Naturfreunde, zwei Mitglieder der kommunistischen Partei und noch ein weiterer, von dem ich nicht mehr weiß, wohin er gehörte. In der Illegalität bin ich Mitglied der KPD geworden. Wir kamen in unregelmäßigen Abständen, aber doch periodisch zusammen. Wir erhielten Material vom Gruppenleiter und wir hatten die Aufgabe, dieses Material unter Kollegen entweder gegen einen Solidaritätsgroschen zu verkaufen, oder auch, wenn es nicht anders ging, in Briefkästen zu werfen, sozusagen als Vorwerbung, um später noch einmal vorbeizukommen." 76

Diese Arbeit wurde jedoch zunehmend gefähr­licher, besonders die Kontaktaufnahme mit noch nicht in der eigenen Partei aktiven Menschen war auf Grund der vielen Spitzel und der Denunziationsbereitschaft des Volkes schon bald nahezu unmöglich, so dass sich die Arbeit der Parteimitglieder auf „Informations­beschaffung und Sicherung des ideologischen Zusammen­halts" 77 beschränkte, auf einen „Widerstand auf kleiner Flamme" 78

Trotz dieser Zurückhaltung folgte im Frühjahr 1937 eine Verhaftungswelle, bei der in Singen 27 und in Konstanz 9 Personen inhaftiert wurden, 79 die Gründe hierfür waren „Neuaufbau der KPD, Schaffung von Anlaufstellen, Verbreitung eingeschmuggelter Druckschriften, Sammlung von Geld zur Unterstützung der Familien politischer Gefangener, Abhören des Moskauer Senders" 80. Durch diese Verluste enorm geschwächt erlosch der organisierte Widerstand nahezu vollkommen, nach dem versuchten Attentat auf Hitler 1944 81 wurden die letzten noch verbliebenen ehemaligen Parteimitglieder am 22. August in einer groß angelegten deutschlandweiten Verhaftungs­aktion, der sogenannten ‚Aktion Gitter’, auch in und um Konstanz festgenommen. 82 Nach dieser Aktion ist kein organisierter Widerstand in Konstanz und Umgebung während des verbleibenden letzten Kriegsjahrs mehr bekannt.

3.2    Der Schmuggel von illegalen Druckschriften

Aufgrund der frühen Verbote von SPD und KPD herrschte schon bald ein ständiger Mangel an oppositionellen Zeitungen und Schriften. Die Exilparteien versuchten, diesen zu lösen, indem die Schriften im Ausland gedruckt und ins Reichsgebiet geschmuggelt wurden. Meist handelte es sich hierbei um sogenannte ‚Tarnschriften’, d.h. politische Texte wurden „unter einem falschen Umschlagtitel, manchmal harmlosen ersten Seiten und einem erfundenen Impressum" 83 versteckt. Der Druck­schriftenschmuggel war neben der Fluchthilfe der wichtigste Faktor in der Konstanzer Widerstands­bewegung, im Gegensatz zur Fluchthilfe war er jedoch sehr gut organisiert, die einzelnen Helfer wurden von in den Schweizer Grenzstädten postierten Organisatoren, auch hier vorwiegend aus den Reihen der KPD, aufeinander abgestimmt. Die Gruppen innerhalb Deutschlands umfassten jede nur wenige Mitglieder, von denen meist jeweils nur einer Kontakt zu anderen Gruppen hatte, so dass bei etwaigen Verhaftungen und Verhören nie viele Fakten an die Gestapo weitergegeben werden konnten.

Für Konstanz war der bereits im April 1933 nach Kreuzlingen emigrierte KPD-Funktionär Willi Bohn 84 zuständig, „unter dem internen Namen ‚Transportkolonne Otto’ baut[e] er im Laufe der Zeit ein verzweigtes Verteilungs- und Transportsystem auf" 85, alle heute bekannten Fälle des Schriftschmuggels in Konstanz und Umgebung hängen mit dieser Transportkolonne – die bis Ende 1934 existierte – zusammen, auch wenn manche der Beteiligten dies während ihrer Aktivität gar nicht wussten. „Jeder wusste nur, was zur Bewältigung der ihm zugedachten Aufgabe nötig war" 86, im Folgenden sollen einige Beispiele aufgeführt werden.

Karl Thoma, Mitglied der KPD in Singen, transportierte illegale Schriften zunächst im Zug nach Deutschland, „[ich bin] mindestens alle 14 Tage in die Schweiz gefahren und habe jedes Mal eine ganze Aktenmappe voll Literatur im Zug mitgenommen. Diese Aktenmappe habe ich mit Hilfe eines Kaminschlüssels immer im WC des Zuges versteckt und habe sie dann erst, meistens in Böhringen aussteigend, wieder an mich genommen." 87 Ab 1934 war er außerdem zuständig für eine Arbeit, die Willi Bohn zusammenfasst: „Ein wenig besuchtes Ausflugsgebiet war die Ruine Schrotzburg zwischen Radolfzell und der schweizerischen Grenze. Sie diente uns als Umschlagstelle. Die Freunde aus der Schweiz übernahmen den Transport über die Grenze, die deutschen Freunde aus Singen und Radolfzell sorgten für die pünktliche Abnahme, Weitertransport und anschließend für den Versand. Als unverdächtige Wanderer zogen die Antifaschisten ihrer Wege. Auf der Ruine machten sie Vesperpause, sicherten das Gelände und nahmen dann aus der Hand der schweizerischen Freunde in der Nähe der Ruine die illegalen Schriften in Empfang." 88 Von dort aus wurden die Pakete zu Thoma nach Hause gebracht, in Koffer verpackt und über mehrere Stationen als Gepäck aufgegeben, bis sie schließlich in München landeten und dort von Gleichgesinnten abgeholt wurden. Karl Thoma wurde am 14.1.1936 verhaftet und erlangte erst 1945 mit Kriegsende die Freiheit wieder. 89

Auch die Gruppe um Franz Frank aus Singen brachte zu Fuß als Wanderer verkleidet Schriften nach Deutschland, obwohl sie vor 1933 nicht der KPD sondern Arbeitersportvereinen und der antifaschis­tischen Bewegung angehört hatten. Otto Marquard, der mit seiner Fluchthilfe einer Vielzahl von Menschen das Leben rettete, beteiligte sich ebenfalls an den Aktivitäten der Gruppe.

Großes Aufsehen bei der Schweizer Öffentlichkeit erregte der Fall von Hermann Weber, der im August 1933 in Singen mit „1 ½ Zentner illegale[r] Druckschriften allerneusten Datums und etwa 50 Pfund Zucker" 90 gefasst wurde, jedoch in die Schweiz fliehen konnte. Dort versteckte er sich in einem Stall, wurde aber von einer SA-Gruppe aufgespürt, mit brutalen Mitteln über die Grenze zurück befördert und dort verhaftet. Es „erhob sich ein gewaltiger Protest gegen diese Menschenräubermethoden in der ganzen Presse der Schweiz" 91, so dass Weber schließlich an die Schweiz ausgeliefert wurde, die ihn jedoch absurder Weise schon wenige Tage später als lästigen Ausländer des Landes verwies. Er wurde über die französische Grenze abgeschoben und gilt seitdem als verschollen. 92  Es ist anzunehmen, dass er die Schriften der KPD, die er bei sich trug, ebenfalls für die ‚Transportkolonne Otto’ schmuggelte.

Alfons Beck, der in Konstanz in der Fabrik Herosé arbeitete und nebenbei eine Fremdenpension betrieb, erhielt das illegale Material, welches „monatlich ca. 1-3 Zentner" 93 umfasste und verschickte es mit Hilfe des ehemaligen Landtagsabgeordneten Böning in 5-Kilo-Paketen an Adressen, die  dieser mitbrachte, so dass die in Konstanz eingegangenen Schriften bis nach Königsberg versandt wurden". 94

Die Transportkolonne arbeitete nur bis Ende  1934, über den danach noch existierenden  Transport von illegalen Schriften ist nur aus den Polizeiberichten bekannt: „Bemerkenswert  ist  die Tätigkeit der Zweigstelle Konstanz, der  es gelang, eine Reihe von Personen festzunehmen, die kommunistische Hetzschriften aus der  Schweiz eingeführt und in Konstanz und seiner näheren Umgebung vertrieben haben" 95 Es ist allerdings ebenso gut möglich, dass es sich auch hierbei um Mitglieder der ‚Transportkolonne Otto’ handelte.

4. Schluss

Betrachtet man den Widerstand in Konstanz 1933-1945, so sollte man sich auch fragen, in  welchem Maße die heutige Öffentlichkeit an diesem interessiert bzw. über  diesen  informiert ist. Obwohl es 1994 eine  Ausstellung mit  dem  Titel „GrenzWege – Widerstand an der Schweizer Grenze 1933-1945" 96  in Singen gab, ist das Interesse relativ gering, selbst in der Konstanzer Stadtgeschichte heißt es: „Ein (noch weitgehend) ungeschriebenes Kapitel Stadtgeschichte – Verfolgung und Widerstand in Konstanz" 97

Vielleicht kann diese Seminararbeit dazu beitragen, dieses interessante Kapitel ein kleines bisschen weiter zu schreiben.

 


67  siehe auch: Wilhelm Borth und Eberhard Schanbacher (Hrsg.): Zeiten und Menschen Band 2, S. 210f, „Die Errichtung des Einparteienstaats", im Anhang abgedruckt auf S. 18

68  Es ist möglich, dass die Konstanzer SPD sehr wohl Widerstand leistete und Aktionen startete, es war aber auch nach ausführlicher Recherche nichts darüber zu finden, vgl. auch Weick, S. 53

69  Lutum-Lenger, S. 68

70  vgl. Burchardt u.a., S. 328

71  einige Flugblätter der KPD, die auch in Konstanz und Umgebung verteilt wurden, sind im Anhang abgebildet auf S. 25f

72  siehe Kapitel 2.4 bzw. 3.2

73  Weick, S. 53

74  Burchardt u.a, S. 325

75  Bodensee-Rundschau, 25.8.1933, zitiert nach Weick, S. 54f

76  Weick, S. 56f

77  Lutum-Lenger, S. 67

78  Hermann Wichers: Deutsche Sozialisten im Schweizer Exil, zitiert nach Lutum-Lenger, S. 67

79  Lagebericht der Gestapo Karlsruhe über die marxistische und kommunistische Bewegung im Jahr 1937, zitiert nach Weick, S. 61

80  Weick, S. 61f

81  siehe Glossar, S. 16, Stichwort „Oberst Claus Schenk von Stauffenberg"

82  eine Beschreibung der Verhaftung von Max Porzig in Singen ist im Anhang abgedruckt, nach Weick, S.248f

83  Lutum-Lenger, S. 74, einige Tarnschriften sind im Anhang abgebildet auf S. 26

84  siehe oben, Bild im Anhang, S. 23

85  Wolfgang Niess: Willi Bohn, S. 178

86  Weick, S. 86

87  Weick, S. 58

88  Willi Bohn: Transportkolonne Otto, zitiert nach Weick, S. 87

89  vgl. Weick, S. 59f

90  Polizeibericht, zitiert nach Weick, S. 76

91  Weick, S. 79

92  vgl. Trapp, S. 50 und Weick S. 73ff

93  Weick, S. 60

94  eine persönliche Erinnerung von Alfons Beck ist im Anhang abgedruckt, nach Weick, S.60f

95  Schadt: Verfolgung und Widerstand, zitiert nach Burchhardt u.a., S. 326

96  vgl. hierzu Lutum-Lenger, S. 7ff

97  Burchhardt u.a., S. 324