Berta
MAURER, geb. MÄNNER

1895 - 1985 I
Löhrystraße 4
Stolperstein verlegt am 14.07.2010
Berta MAURER, geb. MÄNNER Löhrystraße 4

Die Lebensgeschichte von Berta Maurer, Zeugin Jehovas im Nationalsozialismus

Berta Maurer, geb. Männer, wurde am 9. November 1895 in Konstanz als Tochter eines Kapitäns geboren. Sie besuchte die Volksschule und die Schule Zoffingen und machte eine Lehre als Näherin.

1924 heiratete sie den Lokomotivführer Hermann Maurer, der drei Kinder in die Ehe mitbrachte. Der Ehemann starb 1932. Sie bezog eine Witwenpension und hatte Mieteinnahmen in fast gleicher Höhe aus der Vermietung von drei Wohnungen im eigenen Haus Leinerstrasse 23. Politisch war sie nie aktiv.

Ab 1923 beschäftigte sie sich mit der Lehre der Zeugen Jehovas, damals „Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher“ genannt, liess sich im gleichen Jahr in Singen taufen und trat aus der katholischen Kirche aus. Die Konstanzer Gruppe der Zeugen Jehovas bestand seit 1921 mit anfänglich 15 Personen. In den Krisenzeiten der Weimarer Republik fanden die Veranstaltungen der Zeugen Jehovas grossen Zulauf, in Konstanz füllten sie die Säle des Konzilgebäudes. Berta Maurer nahm regelmässig an Zusammenkünften teil, bestritt aber bei der Polizei, eine leitende Stelle innegehabt zu haben. Immerhin fuhr sie sogar nach Berlin, um an einem Kongress im Sportpalast teilzunehmen. Sie hörte dort den Präsidenten der Zeugen Jehovas, Joseph Franklin Rutherford, den sie später auch in der Schweiz wieder bei einem Auftritt erlebte.

Nach dem Verbot der Zeugen Jehovas in Baden am 15. Mai 1933 hielt sie sich zunächst zurück, doch ab Herbst 1934 wurde sie wieder aktiv. Ausschlag­gebend war sicher der Internationale Kongress der Zeugen Jehovas in Basel vom 7. bis 9. September, auf dem Absprachen für illegale Treffen bzw. die Fortsetzung der Missionierung getroffen wurden und eine Protestnote gegen Hitler beschlossen wurde. Am 7. Oktober fanden in Süddeutschland illegale Versammlungen statt, und noch am gleichen Tag ging aus Deutschland und aus der ganzen Welt eine Flut von Protesttelegrammen mit gleich lautendem Text bei der Reichsregierung in Berlin ein. Auch Berta Maurer verschickte ein solches Telegramm.

Jetzt nahm sie an Versammlungen in Kreuzlingen teil und fuhr mit anderen über Land, um im Hegau und Linzgau Bibeln zu verkaufen und um zu werben. Sie fuhren mit Fahrrädern, die einen blau-weiss-goldenen Wimpel führten. Bibelvertrieb und ältere Druckschrif­ten waren von dem Verbot zunächst nicht betroffen. Ausserdem beteiligte sich Berta Maurer jetzt immer wieder an Zusammenkünften bei einem Glaubens­genossen namens Jakob Rutishauser in Iglishausen im Thurgau (gemeint ist Illighausen). Dieser brachte ihr Schriften zur Verteilung nach Konstanz, je 60 Exemplare von „Wachtturm“ und „Das Goldene Zeitalter“, sowie Hunderte von Büchern und Broschüren. Diese Schriften waren nicht nur für Konstanzer Anhänger gedacht, es kamen Personen aus Augsburg und München, die diese Schriften bei ihr abholten. Sie nahm dafür Geld entgegen und leitete dieses weiter. Und mehrmals war der Bezirk­dienstleiter der Zeugen Jehovas für Baden, Pfalz und das Maingebiet, Konrad Franke aus Mainz, bei ihr in der Wohnung und nahm Spendengelder der Konstanzer Anhänger für die Kasse „Gute Hoffnung“ entgegen. Über eine Deckadresse hielt sie schriftlichen Kontakt mit ihm. Insofern hatte sie doch eine gewisse Funktionsstellung innerhalb der Konstanzer Gruppe.

Erste Probleme mit dem neuen Regime bekam sie, als sie sich weigerte, einer Luftschutzorganisation beizutreten. Am 2. September 1936 wurde sie dann von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Bis dahin war die Verfolgung der Zeugen Jehovas vergleichs­weise milde gewesen. Jetzt, vielleicht auch im Zusammenhang mit Himmlers Ernennung zum Chef der deutschen Polizei und der so genannten „Verreichlichung“ der Polizei, entwickelte sich eine ganz andere Schärfe. In ihren Aufzeichnungen vertrat Berta Maurer die Auffassung, dass sie gezielt als Funktionärin, als örtliche Dienstleiterin festgenommen wurde, weil die Polizei verhindern wollte, dass sie zu dem vom 4. bis 7. September in Luzern geplanten Mitteleuropäischen Kongress der Zeugen Jehovas fahren wollte. Auf diesem Kongress, an dem 300 Zeugen Jehovas aus Deutschland teilnahmen, wurde eine Resolution gegen das Naziregime verabschiedet, die die deutschen Mitglieder im Dezember in eine Flugblattaktion umsetzten, was letztlich zu einer Verhaftungswelle führte, die auch Konstanzer Mitglieder erfasste.

Parallel zu Berta Maurers Festnahme wurden noch andere Dienstleiter in Baden in Schutzhaft genommen. Durch einen Haftbefehl der Staats­anwaltschaft vom 5. Oktober wegen der Gefahr einer Flucht in die Schweiz wurde die Schutzhaft unterbrochen und Berta Maurer in Untersuchungs­haft im Konstanzer Gefängnis genommen. Vom Amtsgericht Konstanz wurde sie am 7. Oktober vernommen. Die Anklage wurde aber beim Sondergericht Mannheim erhoben, und so wurde sie am 10./11. November über Freiburg und Bruchsal in das Gerichtsgefängnis Mannheim überführt.

Das Sondergericht verurteilte sie am 27. November 1936 zu zehn Monaten Gefängnis unter Anrechnung von Schutzhaft und Untersuchungshaft. Diese Strafe verbüßte sie bis 4. Juli 1937 in der Strafanstalt Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd. Hier kam es zu einem Konflikt, als sie sich weigerte, bei der Übertragung der Hymnen einer nationalen Kundgebung aufzustehen. Sie erhielt acht Tage verschärfte Einzelhaft. Aufgrund eines Erlasses der Gestapo vom 22. April 1937 wurden Zeugen Jehovas nach Verbüssung der Gefängnisstrafe nicht auf freien Fuss gesetzt, sondern von der Gestapo erneut in Schutzhaft bzw. in ein KZ verbracht, was sogar zu Protesten der Justiz führte.

Auch Berta Maurer blieb in den Händen der Gestapo. Zuvor hatte der katholische Gefängnis­geistliche versucht, sie zu einem schriftlichen Widerruf ihres Glaubens zu überreden. Die Gestapo brachte sie in das provisorische Frauen-KZ Moringen im Harz. Hier bildeten die Zeuginnen Jehovas die grösste Häftlingsgruppe. Von dort kam sie im Februar 1938 in das KZ Lichtenburg bei Torgau (Sachsen).

Hier gab es immer wieder Verhöre und Druck, den Glauben zu widerrufen. In ihren Erinnerungen erwähnt sie einen Vorfall, der sich am 1. Oktober abspielte. Die Zeuginnen Jehovas weigerten sich, im Hof eine Rede Hitlers im Zusammenhang mit dem deutschen Einmarsch in das Sudetenland anzuhören. Daraufhin wurden die Frauen mit kaltem Wasser aus Feuerwehrschläuchen die Treppen hinuntergetrieben und mussten durchnässt im Hof stehend über eine Stunde die Rede Hitlers anhören. Wegen ihrer Widersetzlichkeit wurde Berta Maurer in einen Bau mit Kriminellen umgesetzt. Die Gestapo stellte im Oktober 1938 den Antrag, dass ihre Witwenrente gestrichen werde, weil „weder die Strafhaft noch die Schutzhaft eine Änderung ihrer Einstellung bewirkt“ habe. Daraufhin strich das Reichsverkehrsministerium im Februar 1939 für zwei Jahre das Witwengeld.

Im Mai 1939 wurde sie in das neu gegründete Frauen-KZ Ravensbrück verlegt, das sie mit aufbauen musste.

Die Zeugen Jehovas, mit violettem Winkel gekenn­zeichnet und als „Bibelwürmer“ beschimpft, galten in den KZs als gutwillige Arbeitskräfte, die auch ausserhalb der Lager eingesetzt werden konnten, weil bei ihnen keine Flucht­gefahr bestand. Frauen wurden oft vom SS-Personal als Haus­gehilfinnen, Gärtnerinnen oder sogar als Kindermädchen ein­gesetzt. Nur wenn sie sahen, dass ihre Arbeit direkt dem Kriegseinsatz diente, verwei­gerten sie die Arbeit und nahmen zusätzliche Strafen auf sich.

Berta Maurer beschreibt in ihren Erinnerungen eine solche Aktion vom Dezember 1939, die auch in der Literatur über das Lager Ravensbrück erwähnt wird. Die Zeuginnen Jehovas weigerten sich, Beutel für die Soldaten zu nähen. Als Strafe mussten die 50 streikenden Näherinnen in den Arrestblock, die anderen 400 Zeuginnen Jehovas mehrere Tage in der Kälte auf dem Appellplatz stehen. Anschliessend gab es noch Dunkelhaft. Sie erwähnt aber nicht die andere bekannt gewordene Verweigerung, als die Zeuginnen Jehovas es ablehnten, in Pilotenjacken Felle von Angorahasen als Kälteschutz einzunähen.

Sie erlebte auch, wie sich Heinrich Himmler bei einem Besuch im KZ auf eine kurze Diskussion mit den Zeuginnen Jehovas einliess. Und sie beschreibt einen internen Konflikt der Gruppe, als einige Zeuginnen Jehovas verkündeten, ihre Religion verlange die Verweigerung jeglicher Arbeit, worauf 14 von ihnen gehängt wurden. Darunter soll auch eine Frau aus Konstanz gewesen sein (Anna Meissner?).

Im Juni 1944 wurde Berta Maurer mit anderen Zeuginnen Jehovas nach München geschickt, wo die Zentrale der Organisation „Lebensborn“ der SS eingerichtet war, also der Entbindungsanstalten für ledige Mütter. Die Zeuginnen Jehovas durften aber keine Säuglinge betreuen, sondern waren in Wäscherei, Küchen und sonstigen Hausdiensten eingesetzt. Bei den Bombenangriffen auf die Stadt im Juli 1944 wurden auch Gebäude des „Lebensborn“ getroffen, und Berta Maurer musste beim Löschen von Bränden helfen.

Danach wurde die „Lebensborn„-Zentrale nach Steinhöring in Oberbayern verlegt, wo sich das Heim „Hochland“ befand. Hier erlebte sie das Kriegsende. Über die Kinder der „Herrenrasse“ schrieb sie in ihren Aufzeichnungen: „Sie wiesen keinerlei Vorzüge auf.“ Nach Kriegsende kehrte sie nach Konstanz zurück. Insgesamt war sie über sieben Jahre in Haft, wofür sie eine Haftentschädigung erhielt. Sie war weiterhin als Zeugin Jehovas aktiv und besuchte Kongresse in Deutschland.

Gestorben ist Berta Maurer 1985.

Berta Maurer: Stolperstein zum Hören in SWR2

Recherche: Dr. Arnulf Moser
Patenschaft: Jehovas Zeugen, Versammlungen Konstanz-Ost und Konstanz-West

Quellen & Literatur:

Akten des Verfahrens vor dem Sondergericht Mannheim (Generallandesarchiv Karlsruhe, Nr. 507/2355, Kopie im Archiv der Konstanzer Gemeinde der Zeugen Jehovas).
Archiv der Konstanzer Gemeinde der Zeugen Jehovas.
Akten Entschädigungsverfahren Berta Maurer (Staatsarchiv Freiburg, F 196/1, Nr. 319).
B. Maurer: Erinnerungen an die Tätigkeit im Königreichswerk, 43 S., masch.schr. (Archiv der Konstanzer Gemeinde der Zeugen Jehovas).
B. Maurer: Das Fest in Banden [langes religiöses Gedicht, mit Kommentierung], in: H. Hesse/ J. Harder: "…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…." Die Zeuginnen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück, Essen 2001, S. 227-230.
D. Garbe: Kompromisslose Bekennerinnen. Selbstbehauptung und Verweigerung von Bibelforscherinnen, in: C. Wickert (Hg.): Frauen gegen die Diktatur – Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 1995, S. 52-73.
H. Roser (Hg.): Widerstand als Bekenntnis. Die Zeugen Jehovas und das NS-Regime in Baden und Württemberg, Konstanz 1999.
J. Wrobel: München ("Lebensborn e.V."), in: W. Benz u. B. Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd.4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 572-574.
Staatsarchiv Freiburg, Bestand A96/1, Nr 674.
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