Ida (Eda)
LEIB, verh. SPIEGEL

1912 - 2001 I
Marktstätte 19
Stolperstein verlegt am 21.10.2021

Ida Leibs Kampf gegen Diskriminierung und ihre Flucht vor dem Nationalsozialismus

Ida Esther Leib wurde am 14. Februar 1912 in Konstanz geboren. Ihr Vater war Ivan Leib, der auf der Markt­stätte 19 in der Konstanzer Innenstadt ein Geschäft für Herrenmode führte, speziell für maß­geschneiderte Herrenhemden. Ihre Mutter war Hedwig, eine geborene Bloch, und stammte aus Zürich.

Ida hatte zwei Geschwister: Otto Siegfried, geb. am 05. August 1909, und Hanna, geb. am 08. November 1916. Ihre Mutter Hedwig war Anthroposophin, sie legte daher großen Wert darauf, dass ihre Kinder nicht als Juden erzogen wurden. So ist wohl zu erklären, dass in der Geburtsurkunde von Ida als Religion nicht „israelitisch“, sondern „freireligiös“ angegeben war. Auch von ihrem Bruder Otto S. ist überliefert, dass er „Freidenker ohne religiöses Bedürfnis“ war.

Da Ivan Leib seinen Kindern Otto und Hanna die Führung des elterlichen Geschäfts an der Marktstätte nicht zutraute, sollte Ida das Geschäft übernehmen. Doch Ida hatte andere Interessen.

Sie wollte Medizin studieren, doch ihr Vater ließ das nicht zu. Sie machte daraufhin in Stuttgart eine Ausbildung zur Krankenschwester, und später eine Ausbildung zur Physiotherapeutin in Zürich. An der Universität Zürich besuchte sie auch medizinische Vorlesungen. Nach Beendigung ihrer Ausbildung eröff­nete sie in Konstanz eine Praxis für Krankengymnastik. Ihr Spezialgebiet war die Skoliose-Therapie, d.h. die Behandlung von Verkrümmungen der Wirbelsäule bei Kindern und Erwachsenen.

Allerdings konnte sie ihre Praxis nur wenige Jahre betreiben. Denn die Nazis machten nach ihrer Machtübernahme im Januar 1933 kein Hehl aus ihrer Absicht, „das Heilwesen mit nationalsozialistischem Geist zu durchdringen“. In diesem Konzept war für jüdische Ärzte, Krankenschwestern und sonstige im medizinischen Bereich Tätige kein Platz. Die Ausgrenzung der Juden aus dem Gesundheitswesen hatte zur Folge, dass Ida Leib ihre Praxis schließen musste.

1933 lernte Ida Leib ihren späteren Mann Kurt Julius Spiegel (14. Juni 1895 – 14. Juli 1979) kennen, der während einer Geschäftsreise auch seine Heimatstadt Konstanz besuchte. Er war 1916 mit seinem Zwillingsbruder Walter Edward in die USA ausgewandert und im Juli 1924 amerikanischer Staatsbürger geworden. Der Vater der Zwillingsbrüder war Bernhard Spiegel (1851-1916), der in Konstanz zusammen mit seinem Bruder Albert eine Eisengroßhandlung in der Bahnhofstraße führte. Die Eisengroßhandlung wurde 1936 „arisiert“ und musste kurze Zeit später Konkurs anmelden. Die Lagerhalle befand sich in der Hafenstraße und ist heute als „Spiegelhalle“ eine Spielstätte des Theaters Konstanz.

Ende 1933, Anfang 1934 hielt sich Ida Leib für einige Monate in England auf. Private und politische Gründe waren wohl der Grund dafür. Nach Aussage ihrer Tochter Miriam wollte sie sich in England Klarheit über ihre Beziehung zu ihrem späteren Mann verschaffen. Sie arbeitete dort als Kindermädchen, allerdings ohne Lohn, weil Ausländer keine bezahlte Arbeit annehmen durften.
 
Ida Leib kehrte Anfang April 1934 nach Konstanz zurück. Nachdem ihr späterer Mann Kurt Julius Spiegel sie nach Amerika eingeladen hatte, beantragte sie noch im April 1934 beim amerikanischen Konsulat in Stuttgart ein Einreisevisum in die USA. Anfang November 1935 schiffte sie sich in Rotterdam nach New York ein. Am 27. November 1935 betrat sie amerikanischen Boden. Ihr künftiger Mann erwartete sie am Pier und begrüßte sie scherzhaft mit den Worten: „Beeil Dich, die Trauzeugen warten schon.
 
Vom Pier gingen sie direkt zum Standesamt und heirateten noch am selben Tag. Ida Spiegel änderte nun ihren Vornamen in Eda, weil Eda in Englisch ausgesprochen wie Ida klingt. 1939 wurde Eda Spiegel amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Mann betrieb seit seiner Einwanderung 1916 in die USA einen Großhandel für Eisenwaren. Das Paar wohnte in New York, wo auch ihre beiden Töchter Miriam und Carol 1937 und 1938 geboren wurden. Miriam wohnt heute (2021) in Berlin, ihre Schwester Carol in Virginia (USA).
 

1939 wurde Eda Spiegel amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Mann betrieb seit seiner Einwanderung 1916 in die USA einen Großhandel für Eisenwaren. Das Paar wohnte zunächst in New York und zog dann später nach Falls Church, Virginia, um. Ihre beiden Töchter Miriam, geb. am 6. April 1937, und Carol, geb. am 1. Mai 1938, wurden in New York geboren. Miriam wohnt heute (2021) in Berlin, ihre Schwester Carol in Kalifornien.
 
Während des Nationalsozialismus stellte Julius Kurt Spiegel für nicht wenige jüdische Emigranten das begehrte Affidavit aus. Das Affidavit war eine beglaubigte Bürgschaftserklärung, die für die Einreise in die USA notwendig war.

 
Im August 1955 besuchte Kurt Julius Spiegel, allerdings ohne seine Frau, auf einer Geschäftsreise auch seine Heimatstadt Konstanz.
 

1965 lud der Konstanzer Oberbürgermeister Dr. Bruno Helmle alle ehemaligen Konstanzer jüdischen Bürger, die die nationalsozialistische Verfolgung überlebt hatten, zu einem Besuch in ihre alte Heimat ein. Kurt Julius Spiegel und seine Frau Eda kamen der Einladung nicht nach. Sie bedankten sich aber schriftlich mit den Worten: „Es ist natürlich unmöglich, aus dem Gedächtnis Vorkommnisse zu tilgen, für welche die Hitlerherrschaft verantwortlich war. Aber es besteht aller Grund zu hoffen, dass die jetzige Generation alles tut, was in geistiger, moralischer und praktischer Hinsicht notwendig ist, damit der ehemalige gute Ruf des zivilen Deutschlands wieder neu aufersteht.
 
Anfang September 1968 übersiedelte das Ehepaar Spiegel von New York nach Kreuzlingen, die Nachbarstadt von Konstanz in der Schweiz. Julius Spiegel starb am 14. Juli 1979 im Thurgauer Kantonsspital Münsterlingen. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Kreuzlingen-Bernrain beerdigt. Eda Spiegel überlebte ihren Mann um mehr als zwanzig Jahre.

 
Eda Spiegel starb am 29. Januar 2001 in Tägerwilen und wurde an der Seite ihres Mannes beigesetzt.

Recherche: Uwe Brügmann
Patenschaft: Miriam Volkmann und Carol Knowles

Quellen & Literatur:

Ancestry.com.
Stadtarchiv Konstanz.
Persönliche Mitteilungen ihrer beiden Töchter Miriam Volkmann aus Berlin und Carol Knowles aus Virginia/USA.

Literatur:
Erich Bloch: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. Und 20. Jahrhundert. Konstanz, Rosgarten Verlag, 1971.
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Familienmitglieder

Ivan
LEIB

1878 - 1958 I
Marktstätte 19

Hedwig
LEIB, geb. BLOCH

1883 - 1965 I
Marktstätte 19

Otto Siegfried
LEIB

1909 - 1988 I
Marktstätte 19

Hanna
LEIB, verh. DREIFUSS

1916 - 2012 I
Marktstätte 19