Anna Wieler wurde am 24.8.1882 in Konstanz als Tochter des aus Gailingen stammenden Salomon Guggenheim und seiner Frau Fanny, geb. Mayer, geboren. Ihre Eltern wohnten damals in der Wessenbergstraße 26.
Anna hatte drei Geschwister: Ignaz, Melanie und Hilda. Vor allem mit ihrer Schwester Melanie, verheiratete Picard, blieb sie zeitlebens eng verbunden.
1904 heiratete sie Berthold Wieler. 1905 wurde ihre Tochter Erika geboren, im folgenden Jahr der Sohn Ludwig. Die Familie wohnte zunächst in der Emmishofer Straße 10, dann in der Bodanstraße 34 und ab 1913 in der Schützenstraße 30. In den 1930er-Jahren wurde die Straße nach dem damaligen Reichsarbeitsminister in Franz Seldtestraße umbenannt.
Im Oktober 1939 musste das Ehepaar Wieler – die Kinder lebten inzwischen nicht mehr in Konstanz – in ein sogenanntes „Judenhaus“ in der Döbelestraße 4 ziehen, eine Folge des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30.4.1939. Ein Jahr später, am 22.10.1940 wurde Anna Wieler zusammen mit ihrem Ehemann Berthold, dessen Vetter David Wieler, ihrer Schwester Melanie, verheiratete Picard, und über 100 anderen Konstanzer Juden nach Südfrankreich deportiert.
Ein Bericht Anna Wielers über die Ereignisse bei der Deportation ist dank ihrer Tochter Erika überliefert
„Am Morgen des 22. Oktober 1940 kamen zwei Gestapoleute in unsere Wohnung und teilten meinem Mann und mir mit, dass wir packen sollten, da wir in 20 Minuten die Wohnung verlassen müssen. Alle Juden ahnten schon etwas dieser Art und hatten auch einiges zurechtgelegt. Aber bei dieser Aufregung konnten wir trotzdem nicht in dieser kurzen Zeit das Richtige an Kleidern, Wäsche und Decken usw. einpacken. Wir wurden mit einem Auto nach dem Güterbahnhof gefahren, wo schon sehr viele jüdische Mitbürger versammelt waren. Dort waren alle etwa 5 Stunden, bis der Zug mit den Juden aus dem übrigen Bezirk kam, zusammengepfercht und niemand wusste, wohin es ging. Zwei Tage und Nächte ging die Fahrt und wir bekamen nichts zu essen, nicht einmal Wasser, bis ein Pfarrer in Frankreich bei einer Haltestelle mit Hilfe alter Landleute Brot, Wasser und Milch für die Kinder gab. Wo das war, erinnere ich mich nicht mehr.“ (Bloch, S. 170)
Bereits im November 1940 – seit der Deportation war gerade mal ein Monat vergangen – wurde die Wohnungseinrichtung der Familie in Konstanz versteigert. Eine Inventarliste des Gerichtsvollziehers zeigt, dass es sich um eine gutbürgerliche Einrichtung der damaligen Zeit (Salon Mahagoni, Wohnzimmer Eiche, Klavier Marke Röhmhildt, Perserteppiche, Speise- und Kaffeeservice der Firma Hutschenreuter, etc.) handelte.
Am 25. Oktober trafen die Deportierten in Gurs ein, wo Männer und Frauen getrennt wurden. Anna Wieler wurde in Ilôt (Block) K, Bâtiment (Baracke) 13 untergebracht. Die Zustände im Lager waren schlimm, aufgrund starker Regenfälle war es sehr schlammig. Anna Wieler rutschte im Schlamm aus und brach sich den Unterarm in der Nähe des Handgelenks.
Über die Zeit im Lager Gurs berichtet Anna Wieler:
„In Gurs ist es furchtbar gewesen, so dreckig und primitiv die Baracken […]. In einer Baracke wohnte ich zusammen mit 60 Frauen. Wir alle lagen auf Stroh auf dem Boden. Die Männer waren durch Stacheldraht getrennt in andern Baracken und man konnte sich nur bei Beerdigungen sehen in Begleitung der Polizei. Alle Leute waren krank an Ruhr und Erkältungen und sind wie Fliegen gestorben. Die Latrinen waren unbeschreiblich, 2 Blocks zum Laufen, ein Loch und sonst nichts. Dabei bin ich einmal im Schmutz ausgerutscht, der Schuh ist steckengeblieben und beim Herausholen aus dem Dreck bin ich gefallen und habe das Handgelenk gebrochen. Als Behandlung bekam ich ein halbes Aspirin und nach zwei Wochen bekam ich einen Gipsverband. Da der Doktor in Gurs keine Instrumente besaß, musste ich nach 6 Wochen allein den Gipsverband abstreifen, wobei die ganze Hand blutig gerieben wurde. Die Hand ist heute noch krumm und hat keine Kraft.“ (Bloch, S. 170/171)
Ab dem 5. März 1941 erhielt Anna Wieler zusammen mit ihrem Mann Berthold eine Aufenthaltserlaubnis für die Gemeinde Gan bei Pau, wo sie vermutlich aufgrund ihrer angeschlagenen Gesundheit und ihres Alters im Krankenhaus/Pflegeheim „Le Blancat“ untergebracht waren, aber unter polizeilicher Aufsicht standen. Die Aufenthaltserlaubnis wurde jeweils für einen Monat verlängert.
Am 7. Juli 1942 konnten die Eheleute in die Schweiz ausreisen, die genaueren Umstände sind nicht bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Verwandten in der Schweiz sich für eine Einreisegenehmigung eingesetzt hatten.
Zunächst wohnten Anna Wieler und ihr Mann in Lengnau im Kanton Aargau, ab 1944 waren sie in Baden/Schweiz in der Dynamostr. 1 gemeldet.
Berthold Wieler war nach seiner Rückkehr aus Südfrankreich psychisch und physisch krank und starb im April 1948 in Baden. Im Oktober desselben Jahres emigrierte Anna Wieler in die USA, wo sie bei ihrer Tochter Erika, verheiratete Rinaldy in Los Angeles/Kalifornien lebte. Der Sohn Ludwig wohnte inzwischen in Israel.
Die betagte und ebenfalls schwer kranke Anna Wieler war im Alter auf die Unterstützung ihrer Tochter Erika angewiesen. Diese hatte nach schweren Anfängen als Haushaltshilfe und Köchin inzwischen einen eigenen Catering-Service für Familienfeste und Partys aufgebaut und war laut Aussage des Konstanzer Frauenarztes Semi Moos eine tüchtige und erfolgreiche Geschäftsfrau.
Anna Wieler starb am 15. Juni 1974 im Alter von 91 Jahren in den USA.