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Stolpersteine Konstanz

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Die Enkelin erinnert sich

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Ergänzungen zur Biografie Rupert Renner

Zwischen 1908 und 1914 nach der Militärdienstzeit hat er in Ettlingen auf einem Bauernhof als Pferdeknecht gearbeitet. Dort hat er dann seine erste Frau, eine wunderschöne Frau aus dem Elsass, geheiratet. Leider kenne ich ihren Mädchennamen und den Geburtsort nicht. Aus dieser Ehe stammen die beiden Mädchen (meine Mutter Juliane 1914 und ihre Schwester Elisabeth 1915). Als meine Mutter 1 Jahr und ihre Schwester 1/2 Jahre alt waren, ist diese Frau gestorben. Opa war der Meinung, dass es eine Folge der Geburt war (sie waren arm und sie hatte nicht die richtige Vorsorge bei dieser 2. Geburt.) Er selbst war zu dieser Zeit Soldat. Die beiden Mädchen waren dann bei ihrer Oma im Saargebiet.

Als Opa aus dem Krieg zurückkam, hat er seine Töchter bei der Oma abgeholt (sein Grundsatz war: "Kinder gehören zu ihren Eltern"). Er hat dann intensiv nach einer neuen Frau und Mutter für seine Kinder gesucht. 1919 hat er sie dann in Paula Höck gefunden.

Paula, meine Oma, musste, als Opa im KZ war, Zwangsarbeit bei Herosé leisten. Sie musste Militär­uniformen nähen und wurde mächtig gemobbt, was sie dann zum Selbstmord getrieben hat.

Ich war ca. 4 oder 5 Jahre, als meine Mutter die Wohnung vom Opa und der verstorbenen Oma leerräumen musste. Das Bild auf dem schwarz/weiß gekachelten Fußboden, auf dem noch die Kreide­zeichnung der gestorbenen Oma war, und meine belastete Mutter sind mir noch heute, fast 70 Jahre später, sehr plastisch in Erinnerung.

Nachkriegshunger

Als Opa nach seiner Befreiung aus dem KZ nach Hause kam, ich war damals 7 Jahre, mein kleiner Bruder gerade geboren, hat er zunächst bei uns in der Rauhgasse, Königsbau, gewohnt. Wir waren 5 Kinder mit den Eltern, alle sehr schlecht wirtschaftlich versorgt. Es waren die Hungerjahre nach dem Krieg.

Ich habe Opa als sehr schmalen, abgemagerten und ausgehungerten Mann erlebt. Er sah nur Essen, keine hungernden Kinder am Mittagstisch.

Vermutlich nach Diskussionen mit meinen Eltern, ist er dann für einige Zeit verschwunden, wohl zu seinem Bruder aufs Land. Er hat sich dann seine nächste Frau per Annonce gesucht, eine Wohnung in der Rheingasse bezogen und war fortan wieder in geordneten familiären Beziehungen.

Unser Weg zur "Messe" am Döbele führte fortan immer durch die Rheingasse um bei Opa und Oma "Messgeld" abzuholen.

KZ-Zeit

Meinen Opa, Rupert Renner, zum Erzählen aus der KZ-Zeit zu bringen, verliefen ziemlich erfolglos: Er wollte offensichtlich nicht darüber reden.

Einmal erzählte er von Versuchen, die mit den Häftlingen gemacht wurden. Es waren Unter­kühlungs­versuche: was Soldaten im Russlandkrieg aushalten können. Dafür wurden die Häftlinge in Wasserfässer gesteckt und beobachtet, wie lange sie diese Unterkühlung aushalten können und was später mit ihnen passiert.

Ein andermal hat man mit ihnen sehr schmerzhafte Experimente gemacht, bei denen scharfe Gegen­stände in die Nase eingeführt wurden.

Er lag einmal mit Typhus im Lazarett, nur notdürftig versorgt und nahe am Sterben. Da hat sich ein Leidenskumpan, ich denke es war Okle, unter einem Vorwand auch ins Lazarett verlegen lassen und so lange meinen Opa ständig durch ständige Zurufe am Leben erhalten, bis er die Krise überstanden hatte. O-Ton Opa: "Ohne meinen Kumpel wäre ich nicht mehr zurückgekehrt."

Widerstandsarbeit

Opa zeigte mir einmal, wo die Übergabe für illegale Zeitungen in Konstanz war. Es gab einen Gärtnerei­schuppen am Ende der Seestrasse, dort, wo heute ein kleiner Spielplatz ist. Die Zeitungen kamen mit getarnten Fischerbooten aus der Schweiz und wurden in diesem Schuppen zur illegalen Weitergabe verteilt.

Über die Verteilung der Widerstands-Zeitschriften gibt es heute eine spezielle Computeraufzeichnung im Besucherraum des Technoseum in Mannheim.

Nachkriegszeit

Nach der KZ-Zeit war es in Konstanz zunächst für Kommunisten still. Die Widerstandskämpfer haben meiner Meinung nach nicht die richtige Anerkennung erhalten. Das Ausland, vor allem Frankreich und die DDR, haben diese Leute allerdings verschiedentlich eingeladen, um sie in Jugendorganisationen vorzu­stellen.

Per Moped in Paris

So war Opa einige Male in Dresden, Berlin und Paris, wohin er jeweils mit seinem Moped fuhr. Als ich ihn einmal fragte, ob er denn schon mal auf dem Eiffelturm war, hat er dies verneint. Ich habe ihm aber klar gemacht, dass man den einmal besteigen muss. Daraufhin hat er bei der nächsten Paris-Fahrt sein Moped irgendwo in Paris abgestellt und ist mit dem Taxi zum Eiffelturm gefahren. Der Rückweg hat einige Tage gedauert, denn Opa sprach kein Französisch, hatte sich die Straße nicht gemerkt, in der er sein Moped abgestellt hatte, woraufhin er mehrere Tage mit der Suche nach seinem Moped verbrachte. Das hat er mir bitter vorgehalten.

"Kommunistenpack"

Als ich geboren wurde, 1938, war es üblich, dass direkt nach einer Geburt der Pfarrer der zuständigen Kirche die Wöchnerinnen noch in der Klinik besuchte und eine Taufe des Neugeborenen veranlasste. Die Frauen waren oft noch in geschwächtem Zustand und haben um des lieben Friedens willen zugestimmt. So wurden die ersten 3 Mädchen in meiner Familie katholisch getauft, obwohl keineswegs religiös erzogen.

Als wir dann in der Schule waren, war es üblich, dass der Religionsunterricht vom jeweiligen Stadt­pfarrer und die Bibelstunde vom Rektor oder anderen Lehrern erteilt wurden. Ich denke noch heute mit Wut an die Unterrichtsstunden beim Stadtpfarrer von St. Gebhard. Seine erste Frage war: "Wer war am Sonntag in der Kirche?", die sollten aufstehen. Zuhause nach dem Prinzip "Ordnung, Fleiß und Ehrlichkeit" erzogen wurde, blieb ich natürlich sitzen. Darauf erfolgte prompt die Beschimpfung durch den Pfarrer: "Da seht ihr das Kommunistenpack, schicken ihre Kinder nicht in die Kirche. Mit denen ist der Teufel.", und weitere Dinge, die ich mir nicht merken konnte. Auf alle Fälle war das sehr peinlich.

Schulbenotung

Als sich das mehrfach wiederholte, habe ich meine Mutter gedrängt, mich am Sonntag in die Kirche zu schicken. Sie hat das dann auch getan. Bei der nächsten peinlichen Befragung durch den Pfarrer stand ich dann als Erste auf. Da fragte der Pfarrer nach, was er denn gepredigt habe. Mit meinen sechs oder sieben Jahren konnte ich die Predigt nicht zu seiner Zufriedenheit wiedergeben. Daraufhin beschimpfte er mich vor der ganzen Klasse aufs Heftigste als Lügnerin. Das traf mich sehr und ich konnte das nie vergessen.

Zu Ende des Schuljahres bekam ich im Zeugnis in Religion eine "Fünf" [Anmerkung Red.: "mangelhaft", die zweitschlechteste Note, konnte dazu führen, dass man ein Schuljahr wiederholen musste] und in "Bibelstunde" gab nur eine Drei [Note "befriedigend"]. Meine Schwestern, die etwas lernwilliger waren, wurden im Fach Religion mit "3" und in Bibelstunde mit "1" ["sehr gut"] benotet. Das ging zwei Jahre lang so, dann trat ich gemeinsam mit meinen ebenfalls schulpflichtigen Schwestern in "Religionsstreik". Unsere Eltern haben uns umtaufen lassen und wir waren fortan freireligiös und hatten damit einen besseren Notendurchschnitt. Meinen beiden jüngeren Geschwistern blieb diese Diskriminierung erspart, denn sie waren von Anfang an freireligiös.

Meine Wut auf den Pfarrer hielt meine ganze Schulzeit hindurch an. Als er starb, sollte der Schulchor zur Beerdigung in der Kirche singen. Als eine der wenigen vierten Stimmen war ich eine wichtige Stütze des Schulchors, verweigerte ich mich aber zunächst. Nachdem der Rektor auf meiner Teilnahme bestand, habe ich durch bewusstes Falschsingen den Chor abstürzen lassen, und beim Vorbeidefilieren am Sarg des Toten habe ich dann heimlich nach ihm gespuckt. Das war die Rache eines kleinen "Kommunistenbalgs".

Erziehungsprobleme

Meine Eltern, die im Widerstand gewesen waren, hatten deshalb erhebliche Sorgen mit ihren Kindern. So wagten sie es beispielsweise nicht, mir die Freundschaft zu meiner besten Schulfreundin Ruth Heim auszureden, obwohl Opa Heim, bei dem Ruth wohnte, durch seine Denunziation meinen Opa Rupert Renner ins KZ gebracht hatte. Heim war Polier auf dem Bau, auf dem auch mein Opa arbeitete und wo er illegal kommunistische Zeitungen verteilte.

Auch meine ältere Schwester Erika hatte eine beste Freundin, die war bei den BDM-Mädels. Erika wollte unbedingt auch Mitglied werden, aber unsere Eltern haben dies gegen ihren heftigen Widerstand verhindert.

 

 

 

Quelle: Mitteilung von Helma Uehlein,
Enkelin von Rupert Renner